Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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brauchen nicht etwa zu glauben, daß Sie mir ein Geheimniß entdecken. Wie das kommen würde, habe ich mir aber schon im voraus gedacht, und mit einer Stiefmutter hätt’ ich mich doch hier nicht vertragen. Ich hätt’ es der Kinder wegen nicht mit ansehen können, und habe mich deshalb schon unter der Hand nach einer neuen Stellung umgethan. Gott sei Dank, Leute, die ihre Sache verstehen, finden überall in der Welt ein Unterkommen, und ich brauche keine Minute außer Platz zu sein. Wenn ich Ihnen jetzt im Wege bin, kann ich schon morgen der Madame Olbers den Platz räumen, von der ich wünschen will, daß Alles mit ihr so einschlagen mag, wie der Herr Olbers jetzt vielleicht glauben.“
Olbers war eben nicht angenehm überrascht, daß seine Wirthschafterin die neue, so geheim gehaltene Verbindung als eine alte, stadtbekannte Sache betrachtete , und schon so lange darum wußte. Er überhörte darüber auch den zweiten, bitteren Theil ihrer Rede, und erwiderte nur rasch und etwas verlegen lächelnd:
„Nein, Mamsell Louise, so rasch kann ich Ihre Dienste nicht entbehren; Sie sind mir noch sehr nothwendig im Haus, und ich bin auch keinesweges undankbar genug, zu vergessen, wie eifrig Sie sich meiner Wirthschaft und Kinder in der ersten schweren Zeit nach dem Tode meiner seligen Frau, wie auch später angenommen haben. Ich werde Ihnen das nie vergessen.“
„O bitte, Herr Olbers – war nicht mehr als meine Schuldigkeit,“ versetzte die Haushälterin, keineswegs dadurch zufriedengestellt. „Wenn nur andere Leute, die nach mir kommen, ihre Schuldigkeit eben so gut erfüllen. Die armen Kinder sind am Meisten zu beklagen.“
„Ich hoffe nicht, Mamsell Louise,“ sagte Olbers rasch – „Sabine Helbig liebt die Kinder und ich bin gerade im Begriff, sie zu ihr hinzuführen. Sie wird ihnen eine treue Mutter sein.“
„Das gebe Gott,“ sagte Mamsell Louise, nahm ihre Schlüssel auf und warf die Thür hinter sich in’s Schloß, daß die Scheiben klirrten.
Eine Stunde später ging Herr Olbers, mit den beiden Kindern an der Hand, der Wohnung seiner Braut entgegen. Die Augen der Kinder sahen aber roth und verweint aus, denn Mamsell Louise hatte ihnen gesagt, daß sie jetzt zum ersten Male der neuen Stiefmutter vorgeführt werden sollten, die dann wahrscheinlich bestimmen werde, was mit ihnen anzufangen wäre. Sie hatten sich im Anfange auch gesträubt, und gar nicht mitgehen wollen, das Herz war ihnen gar so schwer geworden, bis ihnen die Mamsell selber Muth einsprach und sie versicherte, die Stiefmutter werde ihnen nicht gleich etwas zu Leide thun. Sie sollten ihr nur zeigen, daß sie sich nicht vor ihr fürchteten.
Sabine hatte die Kinder schon mit Sehnsucht erwartet. Sie ging ihnen bis draußen an die Saalthür entgegen, und umarmte und küßte sie.
„Habt mich lieb, Ihr Kleinen,“ sagte sie dabei zu ihnen, während ihr die Thränen in den großen, klaren und so gutmüthigen Augen standen, „und ich will mit ganzer Seele an Euch hängen und Euch wieder lieben. Die verstorbene Mutter kann ich Euch freilich nicht ersetzen, aber eine treue Mutter will ich Euch dennoch werden nach meinen besten Kräften.“
„Aber doch nur eine Stiefmutter,“ sagte Lisbeth, und sah scheu den Bruder an.
Der armen Frau gab es bei dem Worte einen jähen Stich durch’s Herz. Es lag ein so herber Vorwurf darin, der doppelt schmerzlich von des Kindes Lippen klang und ihr unendlich weh that. „Wohl nur eine Stiefmutter,“ sagte sie endlich mit leiser, tiefbewegter Stimme, „aber doch eine Mutter, und wenn Ihr selber erst einmal erwachsen seid, Ihr lieben Kleinen, werdet Ihr begreifen lernen, was der Name bedeutet. Fürchtest Du Dich etwa vor einer Stiefmutter, Lisbeth, und glaubst Du, daß sie böse mit Dir sein würde?“
„Ja!“ sagte das Kind, halb in Angst, halb in Trotz der freundlich nach ihr ausgestreckten Hand entweichend – „wir wollen keine Stiefmutter haben.“
„Wer, um Gottes willen, hat den Kindern das in den Kopf gesetzt?“ rief Olbers jetzt erschreckt und tief erschüttert aus – „Lisbeth, Lisbeth! Du bist ein böses, unartiges Kind, und machst Deiner Mutter Schmerz, ehe sie nur unsere Schwelle betreten. Sieh, Franz ist weit artiger.“
„Franz mag auch keine Stiefmutter haben,“ sagte der Knabe trotzig, „daß sie mir den Kopf mit dem Kistendeckel abdrückt oder Lisbeth vergiftete Aepfel giebt.“
„Laß die Kinder, Heinrich,“ bat die Frau, als sie sah, wie der Vater ärgerlich darauf erwiedern wollte. „Sie haben den Kopf voll von den Märchen und Geschichten böser Stiefmütter, mit denen unsere Kinderbücher leider gefüllt sind, und der Zeit allein muß es überlassen bleiben, das zu verdrängen. Wenn sie mich näher kennen lernen, werden sie finden, daß ich ihnen keine solche Stiefmutter bin, und mich am Ende doch lieb gewinnen müssen.“ Sie küßte dann die Kleinen nochmals, die sich das nur ungern gefallen ließen und frug dann nach ihren Stunden und Spielen, bekam aber doch unvollkommene, scheue Antworten, und der Vater, der wohl fühlte, wie weh das unfreundliche Betragen der Kinder dem Herzen der armen Frau thun mußte, nahm sie bald wieder mit sich fort.
Vier Wochen später war die Hochzeit. Mamsell Louise verließ an demselben Tag, an dem die junge Frau einzog, das Haus, und nahm von den Kindern, die festlich gekleidet vor der Thüre spielten, während der Vater noch in der Kirche war, Abschied.
„Arme Kinder,“ sagte Madame Schmidt, die gekommen war, ihre Freundin abzuholen, indem sie Lisbeth aufnahm und küßte und Franzens Lockenkopf streichelte – „arme Kinder, Ihr bekommt nun heute eine Stiefmutter – aber wenn sie Euch knapp hält oder gar schlägt, dann kommt nur zu mir herüber. Ich bin es Euerer seligen Mutter schuldig, daß ich mich ihrer Kinder annehme. Ach, was die Männer doch für schreckliche Geschöpfe sind und daß sie eine solche Frau vergessen können.“
Die Kinder hörten auf zu spielen; es war ihnen gar so ängstlich und beklommen zu Muthe, und all’ die alten Geschichten und Märchen, die sie über böse Stiefmütter gehört, und die nur zu häufig und thörichter Weise den Kinderherzen eingeprägt werden, fielen ihnen wieder ein. Eine Stiefmutter war für sie, mit den Vorbildern von Aschenbrödel, Schneeweißchen, dem Wachholderbaum und wie die unglückseligen Erzählungen alle heißen, das Schrecklichste, was sich ihre jugendliche Phantasie nur ausmalen konnte, und als sie nun sogar auch noch von fremden Leuten bedauert wurden, fingen sie bitterlich an zu weinen.
Der Nachmittag und Abend verging in einem wahren Gewirr von Dingen. Es war eine Menge Leute geladen worden, die Hochzeit mit zu feiern, und wie das bei Hochzeiten ist, die Gäste tanzten und waren guter Dinge. Nur die junge Frau blieb still, so viel Mühe sich auch ihr Gatte geben mochte, sie aufzuheitern und fröhlicher zu stimmen. Sie hatte die Kinder zu Bett bringen wollen, diese aber weinten und schrien, als sie zu ihnen in’s Zimmer trat, und wollten sich nicht anrühren lassen. Sabine war dann still, und ohne Jemandem ein Wort zu sagen, zu der Gesellschaft zurückgegangen, aber sie vermochte nicht die schmerzlichen Gedanken zu bannen, daß ihr die Kinderherzen so entzogen sein sollten. Sie kam sich wie eine Fremde in dem Hause vor, daß von jetzt an ihre Heimath war, und selbst das Bild der früheren Gattin Olbers, das in der Wohnstube nach wie vor seinen Platz behauptete, schien ernst und zürnend auf sie niederzuschauen, als ob es sie aus den einst behaupteten Räumen zurückweisen wollte.
Sabine fand auch bald, daß ihre Furcht nicht ganz grundlos gewesen war, und sie in ihrem neuen Wirkungskreis mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.
Die Mutter von Olbers verstorbener Frau, die stets großen Einfluß auf ihren Schwiegersohn ausgeübt, wohnte in derselben Straße mit ihnen und besuchte sie besonders in den ersten Wochen ihrer Ehe häufig. Theils geschah das, wie sie sagte, ihnen die Wirthschaft mit in Ordnung bringen zu helfen, „wie es ihre selige Tochter gehalten hätte,“ damit Olbers nicht so viel von seinen früher gewohnten Bequemlichkeiten vermisse, theils „nach den Kindern zu sehen.“
Sabine, von mildem, freundlichem Charakter empfing sie stets auf das Herzlichste, und folgte, wo das irgend ging, ihren Anordnungen. Den Kindern selber suchte sie dabei, wie sie es auch versprochen, in jeder Hinsicht die Mutter zu ersetzen, und vor allen Dingen ihre Liebe, ihr Vertrauen zu erwerben. Dabei aber hatte sie einen schweren Stand. Die Kinder waren in den letzten Jahren von der Wirthschafterin entsetzlich verwahrlost, von der Großmutter arg [verzogen worden, und gerade, wenn sie als] Mutter
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_633.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)