Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Jeder kennt das Heimchen unterm warmen Herde daheim oder wenigstens beim Bäcker. Es ist von inwendig stumm und macht seine eintönige Musik durch rasche Schwingungen elastischer Häute zwischen den Flügeln. Diese befittigte Sprache dient größtentheils nur, um Herzens- und Liebesangelegenheiten zu arangiren. Mit der Zeit und dem Sommer flieht die Leidenschaft und die Stimme. Swift, der alte englische Satiriker, hat uns eine humoristische Schilderung des Liebe declamirenden Todtenuhr-Käfers hinterlassen. Der kleine Klausner fühlt Liebe in einsame Zelle. Wie aber dem Herzen Luft zu machen und das Erbarmen eines Weibchens erregen? Er haut unbarmherzig mit seinem gepanzerten Kopfe gegen den Boden, daß der Schall weit hin dröhnt durch das alte Holz und bei Abergläubischen Todes-, bei dem weiblichen Käfer aber Liebesgedanken erregt. Sind andere Männer im Holze, schlagen sie auch mit den Köpfen gegen ihre Zellen, daß Alles kracht, und das Weibchen die Wahl hat, wem sie ihre Hand reichen will. Die Männer, eifersüchtig unter einander, denken vielleicht, wer seinen Kopf am Wenigsten schont, wird am Ersten erhört, und pauken deshalb die Wände, daß man sich nur wundern muß, wie sie’s machen und aushalten. Aber was thut der Mensch nicht in der Jugend für Liebe, später für Geld!
Die frisch gebornen bunten Schmetterlinge scheinen nur durch die Blume ihrer farbigen Schwingen zu sprechen. Darwin aber hat in Südamerika Schmetterlinge auf der Liebesjagd bemerkt, die ein ziemlich weit vernehmbares Geräusch machten. Die Männchen haben eine kleine Trommel unter dem ersten Flügelpaare und rufen damit die Weibchen. Seht da, die Trommel, unter den Menschen, wenigstens den Soldaten, ein Hülfsmittel der Zerstörung, hier als Guitarre der Liebe im Gebrauch! Der Sphinx-Schmetterling mit feurigen Farben hat dafür eine wirkliche Stimme: er stößt ein leises Wimmern aus, wenn er gefangen wird. Die niedrigste Art von wirklicher, vernehmbarer Stimme im Thierreiche. Doch haben, wie gesagt, ohne Zweifel alle Thiere ihre unter sich vernehmbare Sprache, nur daß sie nicht für unsere Ohren gemacht ist. Wozu wäre das auch nöthig? Jedes Thier bewegt sich, und jede Bewegung muß Luftwellen erzeugen oder sich überhaupt durch anregende Körper fortpflanzen und so eine Art Ton erzeugen, der für Ohren, die fein genug dazu sind, vernehmbar sein muß. Ueber die Grenzen unseres Gehörs hernach noch ein Wort.
Unter den für absolut stumm geltenden Thieren hat zunächst der Krebs einen ärgerlichen Ton, wenn er gefangen wird. Auch soll er sich unter dem warmen Strahle der Sonne im Juni und Juli Nachmittags zuweilen ein Liedchen summen, aber gleich aufhören, wenn er Geräusch vernimmt, so daß es schwer ist, sein musikalisches Talent genauer zu bewundern.
Unter den Fischen sind mehrere Arten bekannt, die auch unserem Ohre vernehmbare Laute von sich geben, z. B. der Armado in Südamerika, der Trommelfisch, der Seescorpion u. s. w. Aristoteles erzählt von einem Delphin, der gefangen so laut geschrieen habe, daß Tausende seiner Collegen an’s Ufer schwammen, um ihn zu befreien, und fröhlich davon gezogen seien, als der Gefangene wieder unter ihnen war.
Frösche sind wahre Musikanten, nur nicht immer für unser Ohr. Sie haben ihren Vorsänger und Cantor und singen methodisch, nach der Ansicht der Muhamedaner, welche die Frösche unter die Heiligen versetzt haben, sogar mit Gefühl, wenigstens entschieden mit ungeheuerm Behagen. Die Laubfrösche in Paramaibo, die gewöhnlichen an der Wolga und am caspischen Meere führen manchmal solche Chorgesänge aus, daß viele Meilen weit jeder andere Laut erstickt. Für Familienangelegenheiten haben sie besondere Laute. In Südamerika sitzen Laubfrösche auf hervorragenden Seegewächsen und zirpen in bestimmten, harmonischen Intervallen.
Das sind Bemerkungen aus der Sprache und Musik der Thiere. Von den Tönen, welche vegetabile Organismen, Pflanzen, und vielleicht selbst Mineralien von sich geben, wissen wir nichts, aber da Leben und Bewegung in ihnen ist, muß diese auch mit dem bis jetzt nur als Idee vorhandenen Campanella’schen Fernrohre und Mikroskope für das Ohr vernehmbar sein. Das Gras wächst hörbar, das Eisen rostet hörbar, denn die Eisen- und Sauerstoffatome, indem sie sich aus ihren Elementen losreißen, um sich zu einer neuen Vereinigung innig zu umarmen, bewegen sich und bewegen sich ziemlich leidenschaftlich. Alles in der Natur lebt, bewegt sich und ist deshalb ein thätiges Mitglied in der ewig musicirenden Harmonie der Sphären, von der Sonne an bis zu der Sphäre des Abendthaues, von denen erst viele Millionen einen ganz kleinen Thautropfen bilden.
Der Umfang des Hörbaren für uns beschränkt sich auf 81/2 Octaven, also auf einen ganz kleinen Kreis. Mindestens 8, höchstens 2400 Schallwellen in der Secunde bilden die Grenzen für unsere Ohren. Daraus folgt natürlich nicht, daß 4 oder 6, oder 2500 oder 25,000 oder 250.000 oder 2,500,000 Schallwellen in der Secunde überhaupt nicht hörbar sein sollten. Wir haben nur kein Organ dafür, wie der Taube kein Organ für die uns erfreuenden Töne genießt. Vielleicht macht auch das Licht, das sich 959,000 Mal schneller bewegt, als die Schallwelle, die feinste Musik durch seine unermeßlich schnellen Undulationen. Wer Ohren dazu hätte, könnte vielleicht auch vernehmen, wie, nach Goethe,
„Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Weltgesang
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang,“
könnte vernehmen „den sausenden Webstuhl der Zeit“ und andere sonst unvernehmbare Naturconcerte. Der Weltraum, durch welchen die Sonnen und Sterne fliegen, ist nichts absolut Leeres, sondern erfüllt mit kosmischer Materie, aus der Welten entstehen, in welche sie dann und wann wieder auseinander springen oder dünsten. Die furchtbare Schnelligkeit, mit welcher die Welten durch diese Materie fliegen, muß mit dem denkbar vollkommensten Ohrfernrohre oder überhaupt mit dem Ideale von einem Ohre vernehmbar sein. Doch brauchen wir uns nicht zu grämen, daß wir kein Entree in diese Concertsäle haben; welche unerschöpfliche Quellen von Freuden und Genüssen springen fortwährend aus der uns offenen, deutlich vernehmlichen Musik und Sprache der Natur, ganz abgesehen von der Mozart’s und der vollendetsten Musik unter uns, dem weichen, herzlichen Sprachtone unserer Mutter, unserer Geliebten, unserer lachenden Kinder, des unterrichtenden, denkenden, aufklärenden Freundes und Lehrers? Wenn nach Shakespeare, Musik der Liebe Nahrung ist, sollte nach mir, die Liebe der Hauptbalgentreter für die Orgel unseres Hirns und Herzens sein – ist’s aber leider nicht.
Blätter und Blüthen.
Aus der guten alten Zeit. Den vielen Verehrern der sogenannten guten alten Zeit, erlauben wir uns, das Bild eines damaligen Landesvaters vorzuführen.
Der Rheingraf Carl Magnus zu Grehweiler fing, als er 1744 zur Regierung kam, sogleich an, Schlösser zu bauen und prächtige Gärten anzulegen und hielt einen Marstall von hundert und zwanzig Pferden, eine Kapelle, Husaren, Heiducken u. s. w., und all’ dieser Aufwand sollte mit etwa 60,000 Gulden, – so hoch beliefen sich die Einkünfte des gräflichen Hauses, – bestritten werden! Natürlich ergriff er mit Leidenschaft jedes sich ihm darbietende Mittel, das nöthige Geld für seinen Hofhalt aufzutreiben. Zuerst heirathete er eine häßliche und herzlose Prinzessin, weil sie reich war. Aber damit war ihm wenig geholfen, denn die Frau Gemahlin lieh ihm nur so lange Geld, als er ihr gute Sicherheit dafür anzubieten vermochte. Und das währte nicht lange. Als des Grafen Besitzungen der Frau Gräfin sämmtlich verpfändet waren, erklärte sie sehr entschieden, sie gebe ihm nun keinen Heller mehr! Der Graf mußte sich also nach andern Hülfsquellen umsehen, und es fehlte ihm nicht an Rathgebern, welche ihm die Mittel, Geld zu schaffen, vorschlugen, und sich als willige und gewandte Werkzeuge darboten. Hierbei wurden natürlich zunächst die Unterthanen des Grafen in Anspruch genommen. Es wurden unzählige Anschläge, ihnen Geld abzunehmen, gemacht und ausgeführt. Hier nur wenige von ihnen.
Im Jahre 1763 verordnete der Graf, daß er aus landesväterlicher Huld nicht ferner gestatten könne, daß die Einwohner seiner Grafschaft, welche Grundstücke besäßen, darauf im Auslande Geld aufnähmen; er habe daher mit dem Gelde seiner Gemahlin, der gnädigen Landesmutter, eine Landkasse errichtet, woraus jedem nach Umständen gegeben werden sollte, so viel er nöthig hätte, gegen leidliche Zinsen. – Diese Ankündigung war den Bewohnern der Grafschaft um so willkommener, da in Folge des eben damals geendigten siebenjährigen Krieges Kapitalien gesucht und selten waren. Es wurden also bedeutende Summen aus dieser Landeskasse entnommen, und dabei war wieder von Zinsen kaum die Rede. Und als
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_617.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)