Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Darstellung seiner späteren Entwickelung fortfahren, wollen wir einige Worte über seine Familienverhältnisse und sein früheres Leben beifügen.
George Cuvier, der am 23. August 1769 zu Mömpelgard, welches damals noch zu Würtemberg gehörte, geboren wurde, war der Sohn eines verdienten, protestantischen Offiziers aus dem in französischen Diensten stehenden Schweizerregiment Walden. Die Familie stammte eigentlich aus dem französischen Jura, welchen der Urgroßvater Cuvier’s, der der reformirten Lehre anhing, zur Zeit der protestantischen Verfolgung in Frankreich, verlassen hatte, um in Montbelliard einen Zufluchtsort zu finden. – Cuvier’s Vater selbst zeichnete sich in dem Militärdienst vortheilhaft aus. Ludwig XV. ernannte ihn sogar zum Ritter des militärischen Verdienstordens, da er als Protestant den nur für die Katholiken bestimmten Orden vom heiligen Ludwig nicht tragen konnte. Seine junge Frau – Cuvier’s Vater war, als er heirathete, schon funfzig Jahre alt – gebar ihm drei Söhne, von welchen Georg der zweite war. Kurz vor seiner Geburt war der Erstgeborene gestorben, und alle Liebe und Zärtlichkeit der jungen Mutter wurde nun ihm zu Theil, der als ein sehr schwächliches Kind zur Welt kam.
Wenn wir die Lebensgeschichte großer Männer studiren, so finden wir fast immer, daß es die Mütter waren, welche die jungen Keime des werdenden Talentes ihrer Söhne erkannten und pflegten. Man braucht nicht an Cornelia, die Mutter der Gracchen, zu erinnern – es ist genug, die Mütter unserer großen Dichterfürsten, unseres Goethe und Schiller und die des großen Amerikaners George Washington zu nennen. Auch Cuvier’s Mutter, eine junge, durch Herzens- und Geistesbildung gleich ausgezeichnete Frau, war die erste Lehrerin ihres Sohnes und ihrer mütterlichen Sorgfalt und ihrem Eifer gelang es, dem Knaben schon im vierten Jahre geläufig lesen zu lernen. Sie führte ihn täglich selbst an der Hand in die Schule, wo er den ersten Unterricht genoß, und indem sie den Knaben auf die Wichtigkeit desselben aufmerksam machte, erfüllt sie seine junge Brust mit einer glühenden Lernbegier. Georg war noch nicht zehn Jahre alt, als er schon auf das Gymnasium seiner Vaterstadt kam, wo er vier Jahre blieb, um sich in dem Studium der Alten, der Geschichte, der Geographie, Mathematik und Rhetorik, die damals einen wesentlichen Theil des Unterrichts auf den gelehrten Schulen bildete, zu unterrichten. In diesen Zeitraum fällt eine Episode, welche ein gewichtiger Anlaß für die spätere Richtung, welche die Entwickelung seines Geistes nahm, wurde.
Eines Nachmittags war der zwölfjährige Knabe bei seinem Onkel, einem Gelehrten, der eine ziemlich reichhaltige Bibliothek besaß. Das Bibliothekzimmer war nun von jeher George’s liebster Aufenthalt gewesen, und so saß er auch heute vor einem der großen Bücherschränke und las und blätterte in den großen, schweren Folianten. Da fielen ihm auch zwei große dicke Bände in die Hände, von denen der eine eine Menge colorirter Bilder enthielt. Es war dies Geßner’s Naturgeschichte und die Histoire naturelle générale et particulière par Buffon, den berühmten Naturforscher und Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts. Von diesem Augenblicke an war ein Band von Buffon’s[WS 1] Werken sein steter Begleiter, und wenn er an dem grünen Ufer der Alaine, die an Montbelliard vorüberfließt, spazieren ging, so las er stets in dem Buch oder betrachtete die Tafeln, welche die Abbildungen der Thiere enthielten. Vor Allem war es der blühende, glänzende Styl Buffon’s, der den Knaben bezauberte und fesselte, und dieselbe Eigenschaft derentwegen Buffon von den Encyclopädisten, von d’Alembert, Diderot, Condillac, angegriffen wurde – der blumen- und bilderreiche Schmuck seiner Darstellung war es, welcher in Cuvier ein so tiefes Interesse für die Naturwissenschaft erregte. – Die Verehrung Buffon’s begleitete Cuvier bis an sein Lebensende, wenn er auch erkannt hatte, daß Buffon’s Werke sich allerdings durch kühne, schimmernde Hypothesen, eine lebhafte Einbildungskraft, aber im Grunde doch weniger durch jene gründliche Forschung auszeichneten, welche bei keiner Wissenschaft nothwendiger als bei der Naturwissenschaft sind. Der junge Cuvier hatte indessen das vierzehnte Jahr erreicht und war fähig, die Hochschule zu beziehen. Seine Familie hatte ihn zum geistlichen Stand bestimmt, und er sollte deshalb in Tübingen, der Landesuniversität, Theologie studiren. Die geringe Wohlhabenheit seines Vaters, der eine nur mäßige Pension von Frankreich genoß und die Aussicht auf Erlangung gewisser Stipendien, die Georg erhalten würde, mögen zu dieser Bestimmung wohl das Meiste beigetragen haben. Ein geringfügiger Umstand änderte diesen Plan, und verhütete, daß Cuvier vielleicht als würtembergischer Landpfarrer in einem kleinen Dorfe des Schwarzwaldes sein Leben unbekannt beschloß.
Der Director des Gymnasiums zu Mömpelgard war ein wunderlicher, pedantischer Mann, der, wie es wohl hier und da noch jetzt auf manchen Gelehrtenschulen üblich, die Entwickelung der eigenen, selbstständigen Individualität des Schülers höchst ungern sah und Jeden ohne Unterschied nach den allgemeinen Formeln und Regeln bilden wollte. Ein Uebelstand, der jetzt noch auf so manchen Bildungsanstalten vorkömmt und vielleicht die Ursache ist, warum man im Leben so viele mittelmäßige Dutzendmenschen und so wenige selbstständige Charaktere findet. Gegen diesen pedantischen Director hatte der junge Cuvier nun einige beißende Epigramme gedichtet, und da die Ertheilung der Stipendien in Tübingen von einer Arbeit abhing, welche die Concurrenten fertigen mußten, so gab ihm der Director bei der Preisbewerbung die dritte Censur, während Cuvier früher stets die erste erhalten hatte. Damit war nun die Aussicht auf das Stipendium und zugleich auf ein Studium in Tübingen verschwunden, und es war noch ein glücklicher Umstand für ihn, daß er durch die Schwester Herzog Karl’s die damals in Mömpelgard wohnte, ihrem Bruder, dem regierenden Herzog empfohlen wurde und so in die Karlsakademie zu Stuttgart aufgenommen wurde.
Die Reise dahin und seinen Eintritt in die berühmte Lehranstalt haben wir oben geschildert. Vier Jahre blieb nun Cuvier in der Karlsschule, wo er im Anfang vor Allem die Rechts- und Cameralwissenschaft studirte. Die Beschäftigung mit der letzteren, der Cameralwissenschaft, bot ihm Gelegenheit, sich mit den Naturwissenschaften zu beschäftigen, und er versäumte es natürlich nicht, sich mit seinen Lieblingsschriftstellern, Buffon und Linné, dessen botanisches System ihn im höchsten Grade interessirte, immer vertrauter zu machen. In diese Periode fällt auch die Anlegung seines Herbariums, welches er sich auf seinen Spaziergängen sammelte und die Zeichnungen einer Menge Vögel, Insekten, Pflanzen, welche er noch in spätern Jahren mit vieler Freude in vertrauten Kreisen seinen Freunden zeigte. Dabei vernachlässigte er aber durchaus nicht die andern Fächer, und ein entschiedener Feind jener traurigen Halbwisserei, die sich, wie in unsern Tagen, auch dazumal schon in der Wissenschaft, Literatur und Kunst breit machte, lernte er zugleich die deutsche Sprache, und er, der bei seiner Ankunft in Stuttgart kein Wort sprechen konnte, war unserer, für Ausländer bekanntlich so schwer zu erlernenden Sprache nach neun Monaten schon so mächtig, daß er bei der Prüfung den Preis für den besten deutschen Aufsatz gewann.
Während Cuvier auf der Realschule zu Stuttgart war, hatten sich in Frankreich schon jene Erscheinungen gezeigt, welche den tiefer Blickenden das Nahen einer großen Umwälzung verkündeten. Die Finanzen befanden sich in der größten Verwirrung, kaum daß die nothwendigsten laufenden Ausgaben gedeckt werden konnten und an das Auszahlen der Pensionen war nicht zu denken. Auch Cuvier’s Vater erhielt seinen Ruhegehalt nicht und Georg konnte deshalb, nachdem er die Karlsschule verlassen, nicht die langwierigen und gehaltlosen Acceß-Jahre aushalten, um zu warten, bis er in seinem Vaterland Würtemberg eine Anstellung erhielt, sondern mußte sich nach einem andern Erwerb umsehen. –
Die Hofmeisterstellen haben im Leben unserer deutschen Gelehrten und Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts eine große Rolle gespielt. Meistentheils arm, in gedrückten Verhältnissen lebend, suchten sie, nachdem sie ihre Studien beendigt, als Hofmeister bei irgend einem jungen, reichen Edelmann, der sie mit auf Reisen in die Schweiz, Italien, England, Frankreich nahm, unterzukommen. Die Protection ihrer ehemaligen Zöglinge verschaffte ihnen dann irgend eine Bibliothekarstelle oder ein Professorat – es war eben die Zeit, wo Schiller z. B. ein fixes Einkommen von zweihundert Thalern hatte, Klopstock für den Druckbogen seiner Messiade zwei Thaler Honorar empfing, und die edelsten Geister unseres Volks sich mit den erbärmlichsten Sorgen des alltäglichen Lebens herumschlagen mußten. Auch Cuvier suchte nach einer Hofmeisterstelle und er war glücklich, als ihm der Graf d’Héricy auf Schloß Fiquainville bei Caen in der Normandie die Erziehung seines einzigen Sohnes anvertraute. Als er eines Abends in den Kreis seiner stuttgarter Freunde kam, verkündete er ihnen die Neuigkeit. Diese, welche Cuvier schon im Besitz der höchsten Staatsstellen sahen, die ihm
Anmerkungen (Wikisource)
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_612.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)