Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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der Alte zusammen, daß ihm schier die Flinte aus der Hand fiel und der Bock war fort. Es war ihm diesen Abend gar nicht geheuer, und das kam daher, daß ihm die Sage einfiel. Dennoch überwand er die Furcht und blieb, obgleich das Jagdglück ihn verließ.
Plötzlich kroch sein Hund eng an ihn, als ob er irgend etwas Unheimliches wittere. Den Alten überlief es eiskalt, denn in demselben Augenblick erhob sich ein seltsam gespenstig Treiben im Walde. Man hörte Töne, die wie Hundegeheul klangen, dann Pferdewiehern, Schreien, Halloh und Jagdruf – Alles durcheinander, und bald war es links von ihm, bald rechts. Es rasselte entsetzlich. Blitze zischten von der Erde auf und erloschen wieder und dergleichen Dinge, wie sie der Alte nie gehört und gesehen. Eine Todesangst ergriff ihn. Das waren, ohne Zweifel, die gespenstigen Obersteiner, die ihm die gestohlene Urkunde reichen wollten. Eiskalt rieselte es durch seine Glieder. – Der Hund kroch fast in ihn. Bald näher, bald entfernter vernahm er den Teufelsspuk und doch sah er in der greulichen Dunkelheit nichts. Gerne wäre er heimgelaufen, aber er war, wie an die Stelle gebannt. So verging eine geraume Zeit. Es mußte längst die Geisterstunde vorüber sein, und doch wagte er nicht, sich zu regen.
Endlich wurde es stille im Walde, und der Mond ging auf. Jetzt aber hätte ihn Einer sollen laufen sehen! Als er das Freie gewonnen hatte, wurde sein Hund wieder lebendig und der Muth kehrte langsam zurück. Nach einer halbstündigen Wanderung lag der Hof vor ihm im Silberscheine des Mondes. der Hof lag in der tiefsten Ruhe da, und guten Muthes schloß er die Thüre auf, wie er es gewohnt war, wenn er von seinen Jagdstrippereien spät heimkehrte; was er aber jetzt vor sich sah, war doch so absonderlicher Art, daß ihn ein neues Entsetzen überkam, – denn alle Thüren des inneren Hausraumes standen offen. Alles lag bunt durcheinander. Sein Schreibepult, darinnen er seine Schätze geborgen hatte, war offen und alle Schubfächer waren herausgezogen. – Zitternd trat er näher, und dem geübten Blicke kündigte es sich an, daß Alles ausgeleert war.
„Mariann’!“ rief er verzweifelt. Ein Stöhnen antwortete.
Als er in das nebenangrenzende Zimmer trat, hörte er das Stöhnen deutlicher und eine schwache Stimme sprach: „Ach, Herr Amtmann, lebt Ihr noch?“
Es war die Alte, die gefesselt am Boden lag.
So viel hatte er beim hellen Mondlichte gesehen, das durch die Fenster fiel. Jetzt eilte er Licht zu zünden, aber erst nach vieler Mühe gelang ihm dies.
Das Erste war, die alte Mariann’ loszubinden.
Diese erzählte dann, daß gegen elf oder zwölf Uhr Einer an der Thüre geklopft habe. Sie, in der Meinung, es sei ihr Herr, der den Schlüssel mitzunehmen vergessen habe, sei voreilig im Oeffnen gewesen; denn alsbald seien Dreie hereingestürzt, hätten sie zu Boden gerissen, ein Tuch in den Mund gestopft und sie gebunden. Darauf hätten sie denn Alles ausgeraubt und ihr dann das Tuch wieder abgenommen, und höflich gute Nacht gesagt. Einer aber sei zu ihr getreten und habe ihr den Auftrag gegeben, dem Herrn Amtmann zu sagen, die Obersteiner, deren Teufelsspuk er im Walde gehört, seien seine guten Freunde und er der Schinderhannes, der den Herrn Amtmann einmal habe besuchen wollen; er habe aber absichtlich die Abwesenheit desselben benutzt, weil ihn der Herr Amtmann ohne Zweifel wie einen tollen Hund würde todtgeschossen haben, wie er oftmals geäußert; er lasse ihm auf den Schreck im Walde eine gute Nacht wünschen!
Das war eine feine Hiobspost nach alle dem Schrecken im Walde! Alles war leer, und der Alte war schier des Todes. Schwer erholte er sich von solcher Niederlage, aber die Folge war, daß er nicht mehr bramarbasirte, nicht mehr wilddiebte und sich kaum mehr sehen ließ. Hinter seinem Ofen fand er es sicherer.“ – Ein lautes Gelächter folgte dieser Geschichte; aber allmälig nahm das Gespräch die Wendung zu Jagdgeschichten, wozu Jeder von uns seinen Beitrag lieferte. Nur Knipp saß stille und in sich gekehrt da.
„Knipp!“ rief der Oberförster, „Ihr waret doch auch oft genug dabei, und nun sitzet Ihr da, als hättet Ihr nie eine Büchse knallen gehört. Erzählt doch auch ’mal etwas!“
„Das will ich wohl,“ sagte der Holzhauermeister, „aber wenn ich eine lustige Geschichte erzählen soll, so erlassen Sie es mir doch. Ich bin heute nicht dazu aufgelegt, und die Geschichte, welche mir durch Ihre Jagdgeschichten in die Gedanken gekommen ist, hat nichts Aufheiterndes.“
„Nun denn, so erzählet sie nur!“ rief der Oberförster. „Ich könnte doch bei dem entsetzlichen Wetter da draußen noch nicht schlafen.“
„Man erlebt Vieles,“ hob denn nun Knipp an, „wenn man so alt wird, wie ich geworden bin. Die freundlichen Begebenheiten treten aber leichter in den Hintergrund, während die traurigen niet- und nagelfest im Gedächtnisse haften. Man meint, der liebe Herrgott wolle Einem das Abscheiden leichter machen, weil die Welt und das Leben so trübe vor dem Auge des Alters liegt. So weilen denn auch jetzt meine Gedanken bei einer Geschichte, die ich in meiner Jugend erlebt habe. In meiner Heimath, ich bin vom Idar da hinten her, stand damals ein junger Hülfsförster. Er hieß Simon und Jedermann hatte ihn lieb. Für einen Förster war er eigentlich zu weich und sanft, denn er hatte so etwas Mädchenhaftes an sich, aber im Dienste war er wie Pulver, und treu wie Gold, und auf der Jagd entging ihm nichts, was er einmal auf’s Korn genommen hatte. Daher war er auch ein Liebling des Oberförsters, bei dem er gelernt, und diesem hatte er auch seine frühe und gute Anstellung zu verdanken.
Das Forsthaus, wo er mit seiner alten Mutter wohnte, lag kaum tausend Schritte von unserm Dorfe; daher kannten wir ihn alle gut. Bei Niemanden aber war er lieber und häufiger, als bei unserm braven Schulmeister. Der war auch ein rechter Jagdliebhaber und der Simon nahm in gerne mit. Wild gab’s genug, und dem armen Schulmeister war dann und wann ein Stück Wild recht willkommen, denn es ging knapp bei ihm her. Lieber Gott, acht Kinder wollen etwas zu knuppern haben. Zwar war Eins, das älteste Mädchen, bei einer Base an der Mosel, die es an Kindesstatt angenommen, aber sieben blieben doch zu ernähren, und bei der geringen Besoldung des armen Mannes war Schmalhans Küchen- und Kellermeister im Hause. Gar manchen Rehbock ließ der gute Simon dem Schulmeister ganz. Er verkaufte ihn dann nach Trier, und für den Erlös gab’s Brot, Schuhe oder Kleidungsstücke für die Würmlein. Mittwochs und Samstags, wo der Schulmeister frei hatte, war er denn auch regelmäßig mit Simon im Walde, und er schoß immerhin so gut, wie der Förster Simon auch. Der alte Herr Oberförster kannte ihn auch gut von den Treibjagden her, bei denen er immer seine Stelle wacker behauptete. Er wußte auch, daß ihm Simon dann und wann etwas zufließen ließ und hatte nichts dawider, weil er des Mannes Lage kannte und ein gutherziger Mann war, und, wie gesagt, mit dem Wilde nicht zu geizen brauchte.
Eines Tages lud Simon den Schulmeister ein, mit ihm auf den Anstand zu gehen. Der hatte aber zu thun und mußte es ablehnen. So kam es denn, daß Simon schnell sich entfernte und nur noch sagte: er ging an die hohe Eiche. Das war ein guter Wechsel. Indessen änderte Simon doch seinen Ort und ging mehr rechts, in die sogenannten Bruchlöcher, wo der Wechsel ebenso gut war. Diese Stelle lag aber fast eine Dreiviertelstunde rechts von der hohen Eiche, wohin er hatte gehen wollen. Die „Bruchlöcher“ waren aber ein hohes, dichtes Buchenstangenholz, wie kein ähnlicher Buchenbestand im Reviere war. Dort hielten sich Rehe genug und die Jagd war stes erfolgreich.
Dem Schulmeister wurmte es gewaltig, daß er den Simon hatte müssen gehen lassen und die Jagdlust zuckte ihm in allen Adern, denn der Abend war so wunderschön. Er raffte sich daher zusammen, that schnell seine Arbeit ab, nahm ein Stück Abendbrot, die Jagdtasche und die Flinte um – und bald genug war er im Walde.
Hier stand er einen Augenblick stille. Sollst du zu ihm an die hohe Eiche gehen? fragte er sich; dann ist es leicht möglich, daß du ihm die Jagd verdirbst durch dein Kommen. Es ist besser, duch schleichst dich in die Bruchlöcher und sagst’s ihm nachher. Gedacht, gethan!
Leise schleicht er durch’s Dickicht des dichtbelaubten Schlages. Allmälig nähert er sich dem Wildwechsel. Noch kann er den festgestampften Wildpfad im Dunkel der Nach und des Waldes erblicken. Noch wenige Schritte, und er ist zur Stelle. Da kracht’s dicht vor ihm und – lautlos sinkt er zusammen. Die Kugel war ihm mitten in der Stirne in den Kopf gedrungen.
„Im Feuer gefallen!“ jubelte Simon und drängte sich durch die Buchenstangen; aber wer könnte seinen lähmenden Schrecken beschreiben, als er nach dem Rehbocke tastet, den er geschossen zu haben meinte, und eine Flinte berührte und dann den entseelten Leichnam seines lieben Jagdgefährten, des Schulmeisters? – Anfänglich steht er, wie an Leib und Seele gelähmt. Er ist keines
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_609.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)