Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Wenn dem so ist, thut es mir leid, Beide verhaften zu müssen,“ sagte der Wachtmeister. „Ich kann nicht drüber, ich muß sie dem Gerichte überliefern.“
„Ich bürge mit Leib und Leben, Hab und Gut für sie!“ sagte Jacob. „Laßt sie nur hier.“
„Das kann mir nichts helfen!“ sagte der Wachtmeister. „Sie werden als Hehler angesehen. Ich muß sie fesseln und abführen lassen.“
In diesem Augenblicke schien Grethchen zum Leben und Bewußtsein zu erwachen und die Worte des Wachtmeisters verstanden zu haben. Sie stieß einen fürchterlichen Schrei aus und entsprang durch die Thüre der Stube. Draußen an der Hausthüre standen zwei Landdragoner mit gezückten Säbeln. Mit riesiger Kraft schleuderte sie Beide zur Seite. Der Wachtmeister wollte sie erhaschen, aber ein Stück ihres Kleides blieb in seiner Hand, sie aber entsprang, verfolgt von allen Dreien.
Oberhalb der Mühle war der reißende Bach in einem verhältnißmäßig engern, eingedämmten, sehr tiefen Kanal eingeengt, um den dicken Strahl auf die Mahlgänge zu leiten. Erlen und Weiden bildeten auf beiden Seiten eine dichte, dunkle Schutzwehr und ein schmaler Pfad führte daran hin.
Dorthin flog das Mädchen in der Hast der Verzweiflung, und zwischen den Erlen und Weiden verschwand sie, aber ein dunkler Schall, wie wenn ein Körper in’s Wasser stürzt, sagte den Verfolgern, was geschehen sei. –
Umsonst stürzte der Wachtmeister hinzu, bog die Zweige auseinander und griff in die eisige Flut. Die drängende Gewalt des Wassers hatte den Leib des Mädchens schon in die dunkle Tiefe gerissen, wo das gewaltige Getriebe zweier mächtiger Räder sich befand, die in diesem Augenblicke stockten.
Spät erst, als die Landdragoner von einer fruchtlosen Verfolgung zurückkamen, gelang es, den zum Entsetzen verstümmelten Leichnam des Mädchens aus den Rädern heraus zu schaffen, und selbst das geschah nicht ohne Gefahr. Der Müller war in einem Zustande völliger Stumpfheit. Es war so, als habe er nicht die geringste Theilnahme an Allem, was vorging.
Der Wachtmeister nahm ein Protokoll auf, und führte dann den Müller mit hinweg. Jacob blieb, weil es Pflicht war, bei dem Mühlburschen und der Magd in der Mühle. Wie es ihm um das Herz mochte gewesen sein?
Am andern Morgen ließ er im Dorfe, zu dem die Mühle gehörte, die Anzeige machen.
Grethchen wurde beerdigt ganz in der Stille. Wenige folgten der Leiche. Jacob ging hinter dem Sarge. Er stand lange am Grabe des Mädchens und seine Thränen rollten auf den frischen Hügel. Sie mußten ihn zur Mühle zurückfahren, wo er blieb, bis der Müller entlassen worden war.
Das war ein Wiedersehen!
„Ich kann kurz enden,“ sagte Knipp. „Der Müller folgte noch in dem folgenden Winter seinem Kinde, und vermachte seine Habe dem Jacob – der aber die Mühle nicht mehr betrat, denn als das frische Leben in der Natur sich regte, schloß er sein Auge für diese Welt, allgemein betrauert.“
Knipp schwieg.
„Und der Schinderhannes?“ fragte mein Freund.
„Er hat das Thal nie wieder betreten,“ entgegnete Knipp. „Wie es in seinem Innern stand – das weiß ich nicht!“ –
Lange Zeit war es stille in der Waldhütte. Jeder hing seinen Gefühlen und Gedanken nach.
Draußen heulte der Sturm, als wolle er den Felsen über die uns bergende Hütte schleudern und die Buchen entwurzeln, die sie mit ihren Aesten bedeckten. Der Regen schlug heftig gegen die Wände der Waldhütte und vollendete so die schauerliche Stimmung, in die uns die Erzählung Knipp’s versetzt hatte. Erst nach und nach entspann sich wieder das Gespräch, welches sich natürlich um die Person, die Bande und die Räubereien des Schinderhannes drehte, den Knipp noch von Angesicht gesehen, da er sein ganzes Leben im Walde verlebt hatte. Doch wollte die ernste Stimmung nicht weichen. Dem Oberförster war dies unangenehm. Er schlug mehrmals einen heitern Ton an, aber er verklang wieder ohne Wirkung, und das Gespräch stockte nur zu bald wieder.
„Wenn wir nicht einschlafen sollen,“ sagte endlich mein Freund, „so muß ich denn auch eine Geschichte erzählen. Ihr kennt alle den Wald, der sich unweit Oberstein, droben an der Nahe, gegen Südosten hinzieht. Er heißt die Winterhauch. Eine seltsame Sage geht von diesem Walde im Munde des Volkes in jener Gegend. Ich muß sie zuerst erzählen, weil sonst das Nachfolgende dunkel bliebe. Die Winterhauch gehörte in ihrer früher noch weit größeren Ausdehnung den Dynasten von Oberstein, den Herren von Falkenstein, die auf der Burg oberhalb Oberstein saßen, von der heute noch in schwindelnder Höhe über dem durch seine Achatschleifereien berühmten Städtchen ein Thurm thront, als letzter Rest der einst mächtigen Burg.
Einst lagen die Ritter in gewaltiger Fehde mit dem Erzbischof von Trier, der ihr Grenznachbar war. Der Erzbischof bedrängte sie hart, und sie boten in dieser Noth alle die um den mächtigen Wald der Winterhauch liegenden Dörfer auf, um ihnen im Kampfe zu helfen, versprachen aber den Leuten große Gerechtsame in diesem Walde für ihre Hülfe. Ein Urkunde wurde darüber aufgesetzt, welche unter der Platte des Hauptaltars in der Kirche zu Oberstein, die achtzig Stufen über dem Städtlein in einer Ausweitung des Felsens erbaut ist, geborgen wurde, damit sie durch das Allerheiligste vor jeder Frevlerhand beschützt werde.
Die Leute halfen wacker und der Kampf war siegreich für die Herren von Falkenstein. Nun kam es aber, daß die Bauern heillos in dem Walde wirthschafteten, nicht allein das Holz hieben, sondern auch das Wild erlegten, um ihre Saaten zu retten. Da gereuete die Herren ihr Zugeständniß, und sie hätten die Urkunde gerne vernichtet, wenn sie sich nicht vor dem Frevel entsetzt hätten. Einst saßen sie in einer finstern Nacht zusammen und zechten und wieder sprachen sie sich höchst mißvergnügt über die Zugeständnisse aus, denn die Jagd in der der Winterhauch war fast nichts mehr.
Im Nebengemache hörten die Frauen die Wehklagen ihrer Eheherrn, und Eine, keck und tollkühn, sagte: „Laßt uns hingehen und die Urkunde holen!“ Zwar gab’s da manch’ Hinderniß zu besiegen, aber sie überwand sie alle, und so wanderten sie in dunkler Nacht zur Kirche, hoben die Platte und brachten die verhängnißvolle Urkunde, die nun unter lautem Jubel und Preis ihrer muthigen Frauen verbrannt wurde. Die Folge war, daß die Bediensteten der Herren die Bauern pönten. Das kam zum Prozesse, aber als die Bauern sich auf die Urkunde im heiligen Gewahrsam beriefen – fehlte sie, und sie verloren Prozeß und Gerechtsame. Solcher Frevel konnte aber nicht ungestraft bleiben. Alle bei dem Urkundenraube Betheiligten starben schnell hin und – gehen nun zur Zeit des Herbstes im Walde um unter gewaltigem Halloh und Jammern, Hundeheulen und Ach und Weh. Begegnet ihnen Einer, so reichen sie ihm ein Pergament hin – will er es aber ergreifen, so rasen ihre feuerschnaubenden Rosse mit ihnen davor, und sie werden die Urkunde nicht los, die ihnen diese Qual bereitet.
„Das ist die in der Gegend allgemein bekannte und geglaubte Sage,“ sprach der Oberförster. „Das Stücklein aber, das vor vielen Jahren, als der Schinderhannes auch in der Winterhauch sein Wesen trieb, daran sich knüpfte, ist dieses.
Nicht ferne von der Winterhauch wohnte damals ein pensionirter birkenfeldischer Amtmann auf einem ihm gehörenden Hofgute, das er selbst bebaute. Er war ein steinreicher Mann und kolossaler Geizhals, dabei ehelos, dem eine alte Schabele Haus hielt. Wer ihn kannte, hatte oft seinen Aerger über den Mannes Bramarbasaden. Er sprach im ächten Jägerlatein von seinen Jagdabenteuern, und, da er mit den Forstbeamten gut stand, war er bei allen Jagden. Dennoch aber konnte er es sich nicht versagen, auch einmal auf eigene Faust in den Forst zu schlüpfen, um einen Rehbock zu blaten. Darüber freute er sich denn über die Maßen. Er spielte den Freigeist und war doch dabei voller Aberglauben; pries seinen unüberwindlichen Muth, und war feig, wie es nur möglich war. Vor dem Schinderhannes hatte er einen Todesschrecken, aber man konnte ihn alle Tage radotiren hören, er würde ihn niederschießen, wie einen tollen Hund, wenn er ihm nur einmal schußgerecht käme. Mit solchen Reden hoffte er den Räuber zu schrecken, und kramte sie darum überall freigebig aus. Der Mann war indessen genauer gekannt, als er meinte, und die Leute wußten, was sie von ihm zu halten hatten.
Einmal, zur Blatezeit, war der Herr Amtmann wieder ziemlich zeitig in den Wald geschlichen, um einen Spießer in seine Küche zu bringen, ohne Vorwissen des Forstbeamten. Er kannte die besten Wechsel in der Winterhauch und suchte sich einen aus, wo er sicher war.
Die Nacht kam schwarzdunkel und der Amtmann blatete. Das war nicht ohne Erfolg; als aber der Rehbock schreckte, fuhr
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_608.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)