Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
|
Gegner umsah, denn Dick’s Trompete gab ganz diesen Ton von sich, und um ihn noch täuschender zu machen, bewegte er es sich vor und rückwärts, wie der Bock es gethan haben würde. Als unser Bock bis auf zwanzig Schritt heran war, stutzte er, als wollte er sich doch erst von der Natur seines Feindes überzeugen, in demselben Augenblick drückte ich aber auch los und er blieb unter dem Feuer. Nachdem wir ihn abgeledert, hingen wir das Fleisch so hoch, daß die Wölfe es nicht erreichen konnten, und nicht lange darauf erlegte ich einen zweiten Bock. Nachher konnte ich aber nicht mehr zum Schuß kommen und Dick machte mir den Vorschlag, die Jagd in der Nacht bei Fackellicht fortzusetzen, wobei ich gewiß mehr Wild erlegen würde.
Da ich eine solche Jagd noch nicht mitgemacht hatte, ging ich sogleich darauf ein, und begab mich zunächst mit Dick, nachdem wir die besten Stücke aus dem erlegten Wild aufgepackt hatten, nach Hause, um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Wir wollten unsere Leuchtpfannen in einem Boot aufpflanzen, und den Strom hinabfahrend, das zum Saufen an’s Wasser gekommene Wild zu erlegen suchen. Dick hatte auf diese Weise häufig viel Wild erlegt und mir gefiel dieser Plan ebenfalls. Ich miethete daher ein Boot von einem Indianer, das freilich nur aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestand, aber von Dick doch für ganz gut erklärt wurde, und er selbst sorgte für Kienäpfel und eine Rostpfanne. Als Alles an Bord war, zündeten wir unser Feuer an, das bald hell emporloderte, und ich übergab Dick das Steuerruder und setzte mich schußfertig nieder.
Die Scenerie des Flusses, über den wir sanft dahin glitten, gewährte einen prachtvollen Anblick. Es war Herbst und das Laub der Bäume hatte schon den köstlichen gelblich röthlichen Schimmer gewonnen, welcher die amerikanische Baumwelt vorzugsweise auszeichnet, dazu der Schimmer des Feuers, es war, als ob die ganze Landschaft in Grün, Gelb und Roth strahlte, während wir auf einer goldenen Glut dahin zu fahren schienen. Und dazwischen die alten bemoosten Felsstücke, man kann sich nichts Malerischeres denken. Lange Zeit hatte ich nur dafür Sinn und sah staunend auf die Landschaft.
„Da unten,“ rief mir jedoch Dick zu, indem er mich aus meinen Träumen weckte, und bald sahe ich in der Richtung, nach der er zeigte, folgend, ein Paar runde leuchtende Kugeln, die durch das Gebüsch funkelten.
Ich zielte, drückte los, das Echo brachte den Knall zurück, dann raschelte etwas am Ufer und gleich darauf folgte ein Plumpen, als sei etwas in’s Wasser gestürzt.
„Wir haben ihn,“ sagte Dick, indem er nach dem Ufer steuerte und bald sahen wir einen prächtigen Bock vor uns im Wasser liegen. Dick zog ihn bei den Schaufeln heraus und brachte ihn in Sicherheit.
Wieder fuhren wir dann in die Mitte des Stromes, wieder leuchteten ein paar Augen durch das Dunkel, ich schoß und erlegte eine Rücke. Dann folgte ein zweiter und ein dritter Bock. Diese Jagd hat durchaus nichts Aufregendes und Ermüdendes an sich, und es war daher sehr natürlich, daß wir wenig an die Zeit und an den Rückweg dachten, obwohl wir in der Stunde wohl drei Meilen zurücklegten. Endlich wurden wir aber daran erinnert, weil uns die Munition für unsere Rostpfanne ausging. Dick hatte gerade den Rest aufgeschüttet und dies bemerkt, als ein Geräusch zu uns drang, das wie ein Wasserfall klang. Uns war dies jedoch nicht neu, da wir schon an mehreren Fällen kleinerer Ströme, die sich in den Fluß ergossen, vorbeigekommen waren; es war uns indessen jetzt, als sei das Geräusch gerade vor uns, und rühre von dem Flusse selbst her. Dick lenkte deshalb aus dem Strome, da er aber fand, daß der Fluß eine scharfe Wendung machte und dann ruhig dahin strömte, war er der Ansicht, daß der Fall doch seitwärts sei und von einem Nebenstrome herrühre, und ruderte daher wieder ruhig in die Mitte des Stromes zurück.
Bald darauf wurde meine Aufmerksamkeit durch ein paar leuchtende Kugeln am linken Ufer erregt, die feuriger waren, als ich sie bisher gesehen und offenbar keinem Wild angehörten. Der Raum zwischen ihnen war bei weitem größer und das Thier mußte einen größeren Kopf haben. Um so größer war für mich der Reiz zu schießen. Ich legte an und drückte gerade los, als mir Dick zurief: „Master, schießt nicht!“ – Begierig sah ich nach dem Ufer, die Augen waren noch da und leuchteten furchtbarer als vorher.
Hatte ich gefehlt? Dick’s Zuruf hatte mich etwas gestört und es war wohl möglich, daß ich nicht so sicher gezielt hatte als sonst. Gleich darauf traf aber ein Ton mein Ohr, den ich nur zu gut kannte und der es mir mit einem Male klar machte, weshalb Dick mich zurückhalten wollte, – das Schnorcheln des grauen Bären, das dem der Wildschweine ähnlich ist, wenn sie Furcht empfinden. Es war mir auch mit einem Male deutlich, daß ich ihn zwar getroffen, aber nur oberflächlich verletzt habe, denn er sprang plötzlich in’s Wasser.
„Ach Gott, er kommt hinter uns her!“ schrie Dick und gebrauchte sein Ruder mit aller Macht.
Der Sprung hatte den Bären aber so weit getragen, daß wir ihn unmittelbar darauf dicht bei unserm Boot sahen. Ein Schlag mit dem Ruder auf seine Schnautze trieb ihn indessen etwas zurück, während unser Boot rasch dahin glitt. Unsere Lage war aber dadurch unendlich peinvoll, daß unser Feuer nicht mehr hell genug leuchtete, und wir daher den Bären gar nicht sehen konnten. Wir hörten nur an seinem Schnaufen, daß er immer noch hinter uns her war und wußten, daß, wenn es ihm gelang, eine Tatze auf unser Boot zu legen, er dieses auch umstürzen und dies unser Tod sein würde. Dick ruderte daher mit Leibeskräften und ich hielt den Kolben meiner Büchse bereit, um ihn fortzustoßen, wenn er uns nahe käme, denn neu zu laden hatte ich im Finstern nicht gewagt.
So schossen wir mit Windeseile stromabwärts, als uns plötzlich eine neue Gefahr vor die Seele trat. Immer stärker hörten wir das Rauschen des Wasserfalles vor uns, und jetzt konnten wir nicht länger im Zweifel darüber sein, daß dieser von dem Fluß selbst herrührte. Wir schossen also gerade unserm Verderben zu und man kann sich denken, daß unsre Aufregung dadurch bedeutend wuchs. Wir ruderten mit allen Kräften, um nach dem Ufer zu gelangen, und uns gelang es auch, das Boot dahin zu wenden, als der Stern desselben an etwas Schweres stieß und gleich darauf gehoben wurde. Dies schüttelte die Kienäpfel, daß sie stärker emporflackerten und ihr Schimmer zeigte uns den furchtbaren Kopf und die Tatzen des Bären über dem Rand des Bootes. Der Bär hatte offenbar die Absicht, in das Boot hinein zu klettern. Unsere Gefahr war bis auf’s Aeußerste gediehen, und das Bewußtsein hiervon ließ uns beinahe erstarren. Lenkten wir das Boot jetzt an das Ufer, so wurden wir die Beute des Bären und fuhren wir in den Strom zurück, so geriethen wir in ein paar Minuten in den Wasserfall. Wir wußten ungefähr, daß er fünfzig Fuß hoch sei, seine Höhe konnte aber auch hundert Fuß betragen, jedenfalls reichte sie hin, uns in die Ewigkeit zu befördern. Die Noth trieb uns indessen zum Handeln. Ich schlug auf den Bären los und rief Dick zu, er solle nur weiter nach dem Ufer halten. Besser einen Kampf mit dem Bären wagen, als in den Fällen ein sicheres Grab finden. Meine Hiebe wirkten, der Bär zog sich zurück und Dick ruderte mit allen Kräften, da – o Schreck, hält Dick plötzlich nur noch den Stiel seines Ruders in der Hand. Die Schaufel war abgebrochen, und der Strom ergriff uns wieder.
Jetzt waren wir rathlos. Nun konnten wir das Boot nicht mehr lenken und mußten über die Fälle. Auch an Hinausspringen war nicht mehr zu denken, der Strom hätte uns nicht mehr hinaus gelassen. Wir sahen dies Beide und saßen sprachlos da, unserer letzten Augenblicke wartend. Auch den Bären hörten wir noch immer, er hielt sich offenbar am Sterne fest. Das Boot schoß vorwärts wie ein Pfeil. Dann hörten wir einen lauten Krach, als wären wir auf einen harten Felsen gerathen. Das Wasser spritzte über uns, aber zu unserer Freude fühlten wir gleich darauf, daß wir noch am Leben waren, ebenso im Boote saßen wie vorher und ruhig über das Wasser glitten.
Es war ganz finster um uns, aber selbst in der Dunkelheit gewahrten wir, daß der Bär nicht weit von uns schwamm. Er hatte also die Reise mit uns gemacht, aber dadurch offenbar die Lust verloren, weiter mit uns anzubinden. Das Sturzbad hatte seinen Muth gekühlt, und er wandte sich dem Ufer zu. Dahin mußten auch wir zu gelangen suchen, denn unser Boot war voll Wasser. Wir ruderten daher so viel als möglich mit den Händen, bis wir die überhängenden Zweige eines Baumes erreichen und an diesem landen konnten. Dort befestigten wir das Boot, hingen das Wild auf den Baum und traten unsern Rückweg zu Fuß an.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_601.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2023)