Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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ich Ihnen wohl eine Geschichte erzählen, die in meine jungen Jahre fällt und an die ich durch Mattes hier erinnert werde. Die Personen, deren Unglück ich Ihnen jetzt erzählen will, habe ich selbst noch genau gekannt, und den Mann, der das Unglück anrichtete, kennen Alle, die den Hundsrücken kennen.
„Sie wissen,“ hob er an, „die Bäche, welche von der Höhe des Soon der Nahe zufließen, oder, vom Hundsrücken kommend, die Soon-Höhe durchbrechen und sich dann in die Nahe ergießen, haben sich alle tiefe Rinnsale in unvordenklicher Zeit gewühlt. Es sind weniger Thäler, als enge, tiefe, wilde Schluchten, die sich dann und wann einmal kesselartig zu einem lieblichen Thalgrunde erweitern, wo dann auch die Seiten der Berge mehr abgeflacht und dem Pfluge und der fleißigen Menschenhand zugänglich sind, während ihre Sohle saftige Wiesen birgt. In einem solchen Thalkessel, welchen ein wasserreicher Bach durchschäumte, liegt eine Mühle, die aber seit der Begebenheit, welche sie berühmt gemacht hat, schon dreimal ihren Herrn wechselte, und doch sind nicht eben der Jahre viele seitdem in’s Land gegangen. Das hatte so seine Gründe, die freilich nicht eben gerade lustig zu hören und zu erzählen sind.
Die Mühle lag nicht eben sehr günstig, denn sie hatte zum nächsten Dorfe thalabwärts drei Viertelstunden, und zum nächsten im Gebirge eine gute Pfälzer Stunde, die, wie wir hier zu sagen pflegen, der Fuchs gemessen hat, wobei er bei jedem Schritte die Schweiflänge zugab. Dennoch war sie diejenige, welche am Meisten zu thun hatte in der ganzen Umgegend. Sie hatte nämlich Wasser die Fülle durch’s ganze Jahr und der Müller, ob er gleich als Hochmuthspinsel bekannt war und belacht wurde, war sehr thätig. So kam es, daß die Mühle nie leer wurde und der Müller immer reicher. Dennoch kam fast Niemand auf die Mühle. Er hatte drei Gäule, die ein schönes Gewicht wegzogen und der Mahlknecht führte die Frucht zu und das Mehl fort, und der Müller lebte wie ein Einsiedler. Er war Wittwer und sein einzig Kind war ein Müllerskind von wunderbarer Schönheit. Sie war in der Stadt erzogen worden bei einer Mutterschwester, und da wußte sie, daß sie schön und reich sei. Damals, sie war eben achtzehn Jahre alt und nichts Schöneres zu sehen, als Thalmüllers Grethchen, kamen alle Sonntage die jungen Bursche auf die Mühle, aber als sie merkten, daß entweder das Grethchen sie hänselte oder sich nichts um sie kümmerte, blieben sie weg und sagten: Die warte auf einen Grafen, ein ehrlicher Bauer oder Müller sei ihr zu geringe. Wahr ist es gewesen, und sie sagte es ohne Hehl, sie wolle nicht ihr Leben lang in den Kuhställen nachsehen oder Mühlenstaub athmen; sie sei für etwas Besseres erzogen. Von da an wurde es wieder so stille auf der Mühle, wie früher. Das gefiel dennoch dem eitlen Grethchen nicht, und es hätte gar gerne einen hübschen Schatz gehabt, freilich keinen Bauer und keinen staubigen, mehligen Müller, die ihm beide ein Gräuel waren.
Nun wäre dazu Rath gewesen, denn damals diente als Mahlbursche nach pfalzischer Zunftordnung der Sohn des Müllers vom Huxbache drunten in der Mühle und der Jacob von der Huxmühle war ein bildhübscher, reicher und kreuzbraver Mensch, allein er war so schüchtern, daß sie ihn nur den Einfaltspinsel nannte, und ihren Narren mit ihm trieb oder ihn verächtlich über die Achsel ansah. Und doch war für sie die Zeit gekommen, wo sich so ein Mädchen verlieben muß, wie man sagt, und der Jacob hatte sie sterbenslieb. – Aber – der Jacob war ein mehliger, staubiger Müller und der Vater überließ ihm die Mühle ganz allein, während er sich mit dem Ackerbau abgab, was seine Liebhaberei war. Der Müller hätte nichts auf der Welt lieber gesehen, als der Jacob wäre sein Eidam geworden, denn er hatte ihn lieb, wie einen eigenen Sohn, und einen braveren, treueren Mühlburschen hatte er sein Lebetag nicht gehabt.
Der Alte hatte bei seinem stolzen Töchterlein wohl einmal, so wie man sagt, auf den Busch geklopft, aber da stieg dem Gretchen das Blut in die Wangen und Stirne und das holdselige Mädchen war gar nicht mehr hübsch, als es so zornig wurde und rund erklärte, sie nähme nie einen Bauer, noch weniger einen bestäubten Müller. Der Alte war, ohne daß er es merkte, unter den Pantoffel seines schönen Kindes gerathen, das so klug war, daß es schreiben konnte, wie der Schulmeister, rechnen, wie der Acciser und reden, wie ein Buch. Da zog er sich zurück, so sehr es ihn auch ärgerte, und verwünschte den Gedanken, das Mädel der Lenebas in der Stadt zur Aufstutzung übergehen zu haben. Sie hatte es aufgestutzt, daß es in die Mühle nicht mehr paßte, auf einen Karren zu lang, auf einen Wagen zu kurz war und doch in eine Chaise nicht paßte. „Das war schlimm! Herr Oberförster,“ sagte der alte Knipp einschaltend, „es ist nicht gut, wenn der Mensch aus seinen Fugen gehoben wird! Es muß Oberförster und Holzhauer in der Welt geben, und es ist nur gut, wenn Jeder recht auf seinem Platze steht. Denn wären wir alle Oberförster, so stünd’s schlimm um’s Holzhauen, und wären wir alle Holzhauer, so wär’s bald aus mit dem Walde und dem Holzhauen. Ich sage das so als Beispiel. Wer’s weiß, der versteht’s!“
„Ihr habt Recht, Knipp, aber fahrt fort,“ sagte der Oberförster und Knipp gehorchte.
„Mit des Müllers Zorn währte es nicht lange. Wenn das Grethchen ihn anlächelte, dann war Alles vergessen. Er war in Summa ein Bischen wohl einfältig und das Mädel konnte mit ihm machen, was es wollte. Er tanzte, wie es pfiff. Das war das zweite Unglück im Hause, denn die Stadterziehung des Mädels war das erste.
An Freiern von Weit und Breit fehlte es nicht, denn das Mädel war Erbtochter und reich, aber Grethchen wollte absolut eine Liebschaft, wie sie in den Büchern stehen, aber ja keine plumpe Freierei. Das verstand der Alte nicht, und schüttelte gar oft den Kopf, wenn sie rechts und links Körbe austheilte. Als der Jacob in’s Haus kam, der so schlank und doch so kräftig, so blühend und frisch, so treu und hübsch war, dachte er, wenn’s dem nicht glückt, dann geht das Mädel in’s Kloster. Aber es glückte ihm nicht, und das Mädel war protestantisch, und da ist’s nichts mit dem Kloster, und zu dem hatte es auch gar keine Lust.
Vor der Mühle ist ein großer Hofraum und mitten drinnen steht ein Nussbaum von ungeheurem Umfange. Seine Aeste beschatten den weiten Hofraum, und es ist der schönste Baum der Art, welchen ich jemals gesehen habe. Am Stamme dieses Baumes stand im Sommer Grethchens Nähtischlein und sie selbst saß daran, arbeitete und träumte mit offenen Augen, wie die Hasen schlafen, und ich glaube nicht, daß sie vom Ins-Kloster-Gehen träumte. Was sie aber träumte, weiß ich nicht. Sie war an einem Tage mutterseelenallein zu Hause, der Jacob mit Mehl in’s Dorf hinunter, und der Müller mit dem Pfluge in den Acker gefahren, da hörte sie plötzlich rasche Tritte, blickte auf und sah vor sich einen jungen, ganz hübschen Jägersmann, bei dem ein großer, wildaussehender Hund war. Die Doppelflinte hing um die Achsel und im Büchsenranzen steckten Feldhühner, die er erlegt und von denen er gleich zweie dem Mädel darbrachte. Er war sehr höflich und sah aus, als gehöre ihm die Welt, wenigstens zu zwei Dritttheilen. Er war von mittlerer Größe, mehr gewandt als kräftig. Sein Haar war reich, ziemlich dunkel und seine Augen lodernde Fackeln. Wenn auch der Jacob hunderttausend Mal schöner war und liebenswürdiger, der war doch so angethan, als wäre er überall sicher, daß ihm die Mädchen gut sein müßten, und es schien, als müsse er auch hier seiner Sache gewiß sein. Gerade so war seine Art. Aber dazu schlug er auch den rechten Weg hier ein. Aus seinen Augen sprach Bewunderung der Schönheit Grethchens. Er stand da, als wäre er eine Bildsäule, bezaubert und behext durch diese Schönheit; dann aber floß ihr Lob von seinen Lippen, daß eine Glut die andere über das Gesicht Grethchens jagte. Es war doch kurios! Hätte der gute Jacob so etwas gethan, sie hätte ihn mit Unwillen, ja mit Zorn zurückgewiesen. Hier that es ihr im Herzen wohl, so verlegen sie auch war, und wie sie sich auch wehren mochte, er fuhr dennoch fort. Ob er gleich wie vom Himmel gefallen erschien, so konnte sie ihm doch nicht grollen, und daß er etwas Rechtes sei, glaubte sie sicher, weil er so eine Art hatte. Endlich schien er sich zu besinnen, und bat sie flehentlich, ihm doch das nicht zu verargen, wozu ihn sein Herz getrieben. Nun, das wirkte noch mehr auf das Mädel ein und machte ihr vollends den Fremdling theuer.
Er bat sie um Milch und sie brachte sie ihm mit einem Lächeln, wie es der brave Jacob nie errungen hatte. Er erzählte ihr dann, er sei der Jäger des Barons, der jenseits der Berge sein Schloß habe. Dort wohnte ein Baron, der allerdings Wälder besaß, das wußte das Mädchen, und so fehlte nichts, was Zutrauen einflößen konnte, zumal, wenn das Herz schon in’s Spiel gezogen worden ist. Er habe, erzählte er weiter, einen Stein im Brett bei dem Herrn Baron, und werde, ehe ein halbes Jahr in’s Land gehe, Revierförster. Dann sei für ihn ausgesorgt, zumal er reicher Leute Kind sei von der Mosel her – und was er Alles plauderte, um dem Mädchen zu gefallen und sie kirre zu machen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_593.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)