verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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mit den darüber angebrachten langenglischen Körpern und schnurrbärtigen Köpfen in Civil, aber sehr uncivilisirt herein.
„Müssen mit uns essen heute, Sir! Keine Entschuldigung denkbar! Keine Flucht möglich. Unten halten unsere Equipagen. Werden gefangen genommen und nicht eher losgelassen, bis Sie das Portrait vollendet haben.“
In dieser Weise wurde der Maler bearbeitet. Dabei sah mich der Eine und der Andere zuweilen fragend an, als wollte er sehen, ob ich „geboren“ sei oder nicht. Der Maler, ein Schalk, merkte das und stellte mich feierlich vor.
„Fürst von Thurmtaxen-Tecklenburg –“ Sir So und So – Baronet So und So – Sir X. Y. Z, u. s. w. und flüsterte dabei, auf mich deutend, den Herren in’s Ohr: „Lebt hier incognito – politische Verhältnisse im Vaterlande, verstehen Sie!“ und brach daher meinen Zurechtweisungen von vorn herein alle Glaubwürdigkeit ab.
Gegenseitige, vornehme, steife Verbeugungen, die auch meinerseits Anstrengungen machten, den Mann von hoher Geburt zu zeigen, obgleich ich auf der linken Hand noch einen ganz gemeinen Zwirnhandschuh trug. Ich war plötzlich entschlossen, als Fürst von Thurmtaxen-Tecklenburg meinen Stand der englischen Aristokratie gegenüber würdig zu vertreten.
„My Prince“ – „sehr viel Ehre!“ „Würde uns sehr schmeichelhaft sein, wenn Sie unserer Einladung auch Gehör schenkten“ u. s. w.
Warum nicht? Also, um es kurz zu machen, der Maler und ich saßen etwa eine Stunde später mitten unter englischen Kriegshelden in dem berühmten Trafalgar-Hotel zu Greenwich, wo das Parlament allemal vor dem Scheiden seine Weißfische genießt und sonst die goldenen Lebemänner höchsten Standes ausschließlich verkehren, weil ein gewöhnlicher Sterblicher dort kaum ein Butterbrot bezahlen kann und es überhaupt als ein Hotel „der Klasse“ von allen andern Klassen gemieden wird. Der Millionär aus der City würde sich trotz seiner noch überschwenglicheren Geldmittel doch lächerlich machen, wollte er unter der jungen und alten vornehmen Brut der Aristokratie speisen. Das „Diner“ galt einem von der Krim zurückgekehrten Invaliden von Stande, dem Haupthelden meiner Mittheilung. Ich widerstehe der Verführung, die goldenen und silbernen Geschirre, die Pracht des Saales, der Tafelaufsätze, die Fülle der Delicatessen: „Chablis“ mit Austern, in italienischer Sahnensauce gewälztes Geflügel, Torten und Pasteten, Eingemachtes, Gesottenes, Gebratenes, die rothen und gelben und Champagnerweine, die ganz aufgetragenen Fische wie ein erwachsener Mann groß, die ganz aufgetragenen jungen Schweine, die nach Art der Freier Penelope’s in der Odyssee im Freien gebratene, große Ochsenlende, die Sallate und Früchte (z. B. portugiesische Birnen, die ich kurz vorher in einem Laden mit 1 Schilling 6 Pence, d. h. einem halben Thaler das Stück angezeigt gesehen) – ich widerstehe der Vorführung, alle diese Herrlichkeiten zu schildern, weil man dies beim Lesen bald satt kriegt und doch nicht satt wird davon.
Auch die Unterhaltung bot nichts Gescheidtes, nur daß ich merkte, wie die junge Militär-Aristokratie Consonanten und Nebensylben eben so verächtlich behandelte und das wirklich Ausgesprochene eben so blasirt und höhnend durch die Nase quetschte, wie der junge höhere Lieutenant in Berlin. Im Allgemeinen drehte sich auch die in tausend unzusammenhängenden Fetzen umherfliegende Unterhaltung um Pferde, Hunde, Mädchen, Jagden. Nur zuweilen trat der Krieg mit Toasten für den Helden des Festes, mit einem „Pereat“ der Presse, besonders der Times in den Vordergrund. Als Kaffee und Cigarren kamen, war der Tumult der Angetrunkenen und Rothglühenden so arg, daß sich Jeder eigentlich nur mit sich selbst unterhielt, denn Keiner hörte auf den Andern und lallte deshalb auf eigener Orgel fort, nur um dem Weine Luft zu machen. Der invalide Held, nicht durch Wunden, sondern durch Mißverwaltung der Magen-Angelegenheiten ruinirt – der Tod der ganzen Kernarmee vom vorigen Winter – hatte sehr mäßig gegessen und getrunken und sehr oft deutlich seinen Widerwillen gegen die ungeschlachte, lärmende Lustigkeit seiner Collegen zu erkennen gegeben. Er zog sich mit dem Kaffee und der Cigarre an ein Ecktischchen zurück. Bald der Eine, bald der Andere setzte sich zu ihm, um ihn aufzumuntern oder wegen seiner Nüchternheit zu schelten. Endlich blieben zwei oder drei Herren bei ihm sitzen, angezogen durch Anekdoten aus seinem Krimleben. Ich saß zufällig dicht dabei, da er mich im Grunde allein interessirte, und sammelte auf diese Weise folgende charakteristische Mittheilungen aus seinem Munde.
„Eine der merkwürdigsten Erfahrungen, die ich unter diesen Scenen von Kampf und Gewalt, von Entbehrung, Langeweile, Confusion, Wunden, Tod und Verderben gemacht habe, ist die ungeheuere Gleichgültigkeit gegen Lebensgefahr unter beständigen Gefahren, in welchen täglich, stündlich, ja zuweilen jede Minute unsere Kameraden, unsere besten Freunde umkommen. Ich gestehe offen, daß ich selbst diese Gleichgültigkeit nie gefühlt habe, ich gestehe noch mehr, daß in dieser Gleichgültigkeit gegen das Leben Abstumpfung, Barbarei liegt. Wer sich, den Werth des Lebens, den Reiz und die Schönheit des Lebens kennt, wer Ideale, Pläne, Familie und sonstige Schätze hat, die seinem Leben einen Werth geben, kann nicht gleichgültig werden gegen das Spiel zwischen Tod und Leben. Ich fühle, daß ich mein Leben nur um einen sehr hohen Preis freiwillig auf’s Spiel sehen würde. Ich habe auch von Sebastopol nie das Gefühl gehabt, als könnt’ ich mich freiwillig der Zerstörung desselben opfern. Nennt’s wie Ihr wollt: ich weiß, daß auf den Trümmern von Sebastopol unsere jetzige Politik nichts aufbauen kann, das mein Leben werth wäre. – Unsere Soldaten liebten es, ihr Leben um einen Strohhalm, um eine Wette, um einen Spaß auf’s Spiel zu setzen. Die Leute nannten es Courage, ich nenne es Abstumpfung, Stupidität, Barbarei. Unsere Engländer besitzen durchweg keine feinen Nerven. Sie nennen die Ruhe, mit der sie schlachten und sich schlachten lassen, Tapferkeit, Muth. Das ist nicht mehr. Es ist Gleichgültigkeit, Mangel an Nerven, Abstumpfung, dabei bleibe ich. Einige Beispiele aus meiner unmittelbaren Erfahrung.
„Ihr kennt den Scandal über den grünen, ungebrannten Kaffee, der unter die Armee ausgetheilt ward, sobald sie sich im Süden von Sebastopol placirt hatte. Nach vieler Verlegenheit und Unzufriedenheit erfanden einige Genies, den grünen Kaffee in ihren blechernen Feldflaschen zu brennen. Aber nun Kaffeemühlen! Unsere weise Regierung hatte unter den Kriegstrommeln weder an eine Kaffeetrommel, noch an eine Kaffeemühle gedacht. Noth ist erfinderisch. Ein Genie in unserer Armee erfand denn also auch eine Belagerungs-Kaffeemühle: er streute den gebrannten Kaffee auf einen Stein und rollte eine große Kanonenkugel darauf herum. Kaum war die Erfindung – nicht patentirt – bekannt geworden, entstand eine leidenschaftliche Nachfrage nach Kanonenkugeln. Sie stiegen so ungeheuer im Werthe, daß sie vom Feinde durch die Luft geschossen, freudig begrüßt wurden. Sobald man einen russischen Kanonenball anpfeifen und zischen hörte, sprangen oft ein Dutzend Kerle aus ihren Schanzen auf, um aufzupassen, wo er niederkrachen würde, um dann gleich auf ihn loszustürzen. Glücklich schätzte sich der, dem der Spielball – so ward er behandelt – gerade vor die Füße fiel und sich in die Erde wühlte, um doch zuweilen wieder heraus- und emporzuspringen und Diesem und Jenem ein Bein, einen Arm abzureißen. Das genirte aber die ganz Gebliebenen nicht im Geringsten. Zuweilen hielten sie eine Bombe für ein Stückchen Kaffeemühle. Und dann brach hinter der geplatzten Bombe her, obgleich sie Manchen zerriß und zerstückelte, in der Regel ein schallendes Gelächter aus.
„Nach mehrwöchentlicher Erfahrung konnten die Leute schon im Fluge aus der Ferne Kanonenkugeln von Bomben sehr gut unterscheiden, so daß sie wenigstens nicht mehr danach liefen, letztere zu erhaschen. Aber viel machten sie sich just auch nicht daraus, wenn eine Bombe ihren Bogen auf sie herabsenkte. Sie warfen sich nieder auf die Erde, bis sie geplatzt war. Doch an eine Sorte Bomben konnten sie sich gar nicht recht gewöhnen, an ein furchtbares Ungeheuer, das nur aus einem einzigen bestimmten Mörser geschleudert ward. Sie maß sechszehn Zoll im Durchmesser und enthielt nicht weniger als achtzehn Pfund Pulver in ihrem tod- schwangern Leibe: Sie kam immer von einem Floß im Hafen und brauchte etwa vierzig Sekunden vom ersten weißen Rauchbüschel ihres Abgangs bis sie zu uns kam – whisch – whisch –- whisch, sich überstürzend, anstoßend, krachend, pfeifend, donnernd, um den letzten Bogen mit einem Niederschmettern von 500 Centnern Kraft zu vollenden und in demselben Augenblicke mit einem erderschütternden Krach Tod und Verstümmelung eine halbe Meile ringsum zu verbreiten. Deshalb kam sie nie zu der Ehre, von Kaffeemühlenbedürftigen
verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1855, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_580.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)