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Seite:Die Gartenlaube (1855) 578.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Frauenzimmer entdeckt hatte, als er auch schon vom Pferde sprang, den Wunsch der Prohaska zu erfüllen. Während er die Wunde sorgfältig untersuchte, sagte sie mit matter Stimme: „Nicht wahr, das dachten Sie nicht, als Sie mich als Köchin in dem Hause der Frau von A., wo Sie Hausarzt waren, sahen, daß Sie mich so wiederfinden würden?“

Verwundert blickte der Generalstabsarzt sie an und sagte dann, sie erkennend: „Wie, Lore, Du bist es?“

„Ja wohl, doch sagen Sie mir offen, – muß ich sterben?“

„Wenn Du noch etwas zu wünschen oder anzuordnen hast, so thue es bald,“ sagte er, und schüttelte Ihr gerührt die Hand. „Rettung ist nicht möglich und Dein Tod nahe.“

„Ich danke Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit,“ sagte sie mit trübem Lächeln. „Meine Angelegenheiten sind geordnet, denn ich besitze Nichts, und habe Niemanden auf der Welt, der eine Thräne um mich vergießen wird!“

Sie irrte, denn das Auge manches der sie umstehenden Kameraden wurde feucht, als sie jetzt betend die Hände faltete und während des Gebetes schmerzlos hinüberschlummerte.

v. A.     

Der hühnerologische Verein in Görlitz.

Der hühnerologische? – Ist das Ernst oder Scherz?

Ich glaube es gern, daß meinen Lesern bei Lesung dieses Wortes sich das Primanerherz im Leibe herumdreht, denn es ist mir selbst ja nicht besser ergangen. Eben so gut könnte man ja die zoologischen und conchyliologischen Sammlungen in thierologische und schneckologische umwandeln; und was würde unser großer Ornitholog Fr. Naumann sagen, wenn wir ihn als den größten Vogelologen Deutschlands begrüßen wollten!

Nichts destoweniger hat es mit dem hühnerologischen Verein zu Görlitz seine Richtigkeit und nicht minder seine Wichtigkeit; und der letzteren wegen, will ich den Lesern der Gartenlaube von dem am 12. October stattgehabten großen Ausstellungsfeste so wie von dem Zwecke des Vereines kurz berichten.

Am genannten Tage befand ich mich unter den von allen Seiten in Görlitz Zusammenströmenden, und je näher ich dem Held’schen Garten kam, desto vollstimmiger tönte mir das Concert krähender Stimmen in die Ohren, in allen Stufen der Heiserkeit bis zum völligen Versagen des kühn und glockenrein begonnenen Kikeriki. In langer Gallerie mit Blumengewinden und Laubwerk geschmückt, erblickte ich eine Hühnermenagerie, wie sie mir noch nicht zu Gesicht gekommen war. In ähnlicher Weise, wie in den großen wandernden Menagerien befanden sich die edeln Thiere in kleinen Abtheilungen, deren Scheidewände freilich nicht eichene Bohlen zu sein brauchten und deren Gitterwerk aus schlichtem Bindfaden bestand. Eine angehängte Tafel gab den Namen der Rasse, des Vaterlandes und des Ausstellers an. Anfangs konnte ich mit Bequemlichkeit die lange Reihe der gallischen Vögel mustern, aber bald verdrängte mich das zunehmende Wogen der Schaulustigen. Ich wandte mich zu einem großen Zelte, in welchem eine große Menge numerirte Körbe stand, deren jeder drei bis sechs Hühner enthielt, welche an die Mitglieder des Vereins verloost werden sollten. Die vortreffliche Stadtkapelle von Görlitz löste von Zeit zu Zeit die befiederte ab, ohne es jedoch hindern zu können, daß die berechtigsten aller Anwesenden ihr krähendes ceterum censeo immer und immer wieder weit hinschallend darein mischten. Das Girren einiger Tauben und das melancholische Glucksen zweier Perlhühner, welche nebst einigen Exemplaren einer neuen Kaninchen-Rasse durch ihre Anwesenheit die Qualität als Hühner prätendirten, bemühte sich, in das Einerlei des hühnerologischen Concerts einige Abwechselung zu bringen.

Die Namen der Hühnerrassen fand ich nicht weniger abenteuerlich und verschiedenartig als ihre Inhaber. Die Tscherkessen, rabenschwarze Kerle wiesen sich als nahe Verwandte, gewissermaßen als schärfere Rassen-Ausprägung der Spanier. Die schlanken, schneeweißen Pariser wagte ich nur verstohlen anzusehen, damit man nicht meine, ich beliebäugele sie als gallische Hähne. Brabanter, Bantam’s, Elephanten, Creve-Coeur und vor allen die riesigen Cochinchina’s fesselten abwechselnd meine Aufmerksamkeit. Und wie viel schöner und stattlicher noch würden sie alle gewesen sein, hätten sie nicht in der Mauser gelegen. In der Legezeit, wo der Vogel sein prangendes „Hochzeitkleid“ trägt, wie es die Wissenschaft nennt, ließ sich die Ausstellung natürlich nicht anstellen. Dennoch machte die Ausstellung auf meinen unhühnerologischen Verstand einen großen Eindruck, und ich fing an, mein widerstrebendes Sprachorgan an das Wort hühnerologisch zu gewöhnen. Ich lernte begreifen, daß die Gründer, deren einer mich zu bekehren und zu belehren trachtete, kein runderes und glatteres Wort zur Bezeichnung des Vereinszweckes hätten wählen können. Der Kopf des Wortmonstrums deutet die heitere Praxis, der Schwanz die ernste Theorie an. Also ich söhnte mich immer mehr mit der Hühnerologie aus. Ich begriff auch den b.* Herrn Professor, welcher seinen Beitritt zum Vereine von einer gründlichen Sprachreinigung des Vereins-Namens abhängig gemacht hatte; denn da ich selbst einer bin, so mußte ich doch meinen Herrn Collegen begreifen.

Das vor den Schauvögeln sich herumdrehende Publikum fing bald an zu kritisiren. Zuletzt vereinigte sich das Urtheil dahin, daß den schwarzen Cochinchina’s des Herrn Oettel, des Präsidenten des Vereins, unzweifelhaft der Preis zuzuerkennen sei. Der Hahn hatte drei Weiber bei sich, von denen das eine ein Bild hühnerologischer Cochinchina-Schönheit war. Hohe knochige Beine, oben in ungeheuere Pluderhosen gehüllt, der Schwanz in einen fast wolligen runden Federklumpen aufgelöst, der mit jenen zusammen die kurzen kleinen Flügel beinahe ganz versteckte. So muß eine solche Schönheit aussehen.

Kurz, wohin ich sah, erblickte ich den Gedanken des Huhns hundertfältig verschieden verkörpert, und hatte als specifischer Leipziger nur zu bedauern, daß nicht auch „Hühner mit Allerlei“ ausgestellt war, um der Kritik die Krone aufsetzen zu können. Selbst die Eier fehlten, was ich hier für spätere Ausstellungen dem unermüdlichen Präsidenten zur Nachachtung gesagt haben will. Wie viel übrigens hinsichtlich der Eier vom Verein noch geleistet werden wird, dafür spricht wahrhaft prophetisch der Wunsch eines geehrten auswärtigen Mitgliedes, welchem leider die bis jetzt erst erreichte Stufe des Vereins noch nicht zu genügen vermochte: der Wunsch, man möge ihm drei Cochinchina-Eier schicken, nämlich zu einem Hahne und zwei Hühnern! – Ein thätiges Mitglied aus der Schwester-Sechsstadt Löbau sprach die zuversichtliche Hoffnung aus, daß es dem Vereine in nicht zu ferner Zeit gelingen werde, die Hühnereier so groß zu erzielen, daß sechs Menschen von einem – essen könnten, wenn sie auch nicht vollständig davon satt werden sollten. In stummer Bewunderung der Leistungen des noch so jungen Vereins konnte ich nicht umhin, dieser Hoffnung beizupflichten.

Da ich als Nichtmitglied kein Interesse an der Verloosung hatte, so gehörte ich nicht zu den Belagernden der zwei Waisenknaben, beneidete aber nachher die mit ihrem „Hahn im Korbe“ Davoneilenden.

Abends betheiligte ich mich desto mehr an dem hühnerologischen Festessen. Die Pietät des Vorstandes hatte dafür gesorgt, daß dabei kein Kanibalismus herrsche; denn der wäre es doch gewesen, wenn dabei Hühnergerichte aufgetragen worden wären.

Zum ersten Male fanden bei diesem Festmahle die Hühnerologinnen Zutritt, welchem Umstande man es zuschrieb, daß diesmal nicht die tolle Laune der Trinksprüche waltete, als sonst wohl. Die Festcantate erschien daher auch diesmal bei Tische in einer „modificirten Ausgabe.“ Gedicht und Musik ist eigens für solche feierliche Festmahle des hühnerologischen Vereins gemacht; es ist das hohe Lied des Vereins. Gesangsparthien werden von Musiksoli’s unterbrochen, durch welche das Leben des Huhnes vom Auslaufen aus dem Ei, ja vom Brechen der Eischale an dargestellt wird. Von wahrhaft tragikomischer Wirkung ist die „Trauer-Elegie der Kapaune und Poularden.“ Die Musik schloß mit einem „Hahn-Solo“, welchem die vox humana mit einem hundertstimmigen „Chor sämmtlicher Hähne“ die Krone aufsetzte.

Ich zweifle nicht, daß es manchen meiner Leser und Leserinnen etwas abenteuerlich ob meiner Erzählung im Kopfe summen wird. Es kann nicht anders sein.

Dennoch ist an der Sache mehr Ernst als Scherz, obgleich von letzterem gerade so viel, um ersteren zu würzen. Darum ist der hühnerologische Verein durchaus ein unbezopfter. Seine Wirksamkeit erstreckt sich über alle europäischen Länder, ja seine 600 weit übersteigende Mitgliederzahl ist auch jenseits der Meere vertheilt. Er verkehrt durch Versendung und Bezug von Eiern und Hühnern bis in das Inselmeer des stillen Oceans, und erwartete jetzt gerade eine Zusendung von der molukkischen Insel Ceram.

In den Dörfern um Görlitz lief mir der Glaube an die Wirksamkeit des Vereins in veredelten Hühnerrassen auf jedem Bauergehöfte entgegen.

Darum, Ihr Herren Gelehrten, laßt Euch nur die vox hybrida Hühnerologie gefallen! Ist das Wort auch ein Bastard, so habe ich in Görlitz die Bastard-Eier von der Cochinchina- und Brabanter-Race fabelhaft groß und sehr wohlschmeckend gefunden. Immer größer werdende Hühnereier bieten einen nahrhaften Ersatz für die immer kleiner werdenden Brote.

Wer von den 32,000 Abonnenten der Gartenlaube Vergnügen an der Hühnerzucht und jetzt von dem hühnerologischen Vereine das erste Wort gehört hat, der wende sich nur dreist mit seinem hühnerologischen Anliegen an den verdienstvollen Präsidenten des Vereins, Herrn Kaufmann Oettel in Görlitz, und bald werden seinem Hühnerhofe und seinem Mittagstische ungeahnte Vortheile zuwachsen. R.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_578.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)