Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Eine deutsche Amazone.
Wer kennt jetzt noch den Namen Eleonore Prohaska? Wo ist ihr Grab? – Der Name ist verschollen, vergessen, und längst wohl hat der Pflug des Landmannes ihre Gebeine aus dem gemeinsamen Grabe heraufgewühlt, in welchem sie auf dem blutgetränkten Schlachtfelde mit zahlreichen Waffengefährten die letzte Ruhestätte fand. Und dennoch tönte der Name dieses Mädchens lobpreisend, ja mit Bewunderung, in dem Munde vieler noch jetzt lebender Zeitgenossen, dennoch verkündeten ihn einst alle deutschen Zeitungen, dennoch verdiente der Heldenmuth dieses Mädchens wohl, daß wenigstens ein einfaches Grabkreuz ihren Namen vor gänzlicher Vergessenheit bewahrte. Es sei daher dem Schreiber dieser Zeilen, der zufällig mit einzelnen Momenten ihres Lebens, theilweise als Augenzeuge, näher bekannt ist, vergönnt, durch dieses kleine Referat ihr Andenken zu erneuern.
Es war in dem denkwürdigen Jahre 1813. Die Trümmer der in Rußland vernichteten Riesenarmee Napoleon’s hatten, zum großen Theile in dem erbärmlichsten Zustande, Berlin erreicht, und durch ihren Anblick neue Hoffnungen in den Herzen aller Preußen erweckt; der Aufruf des Königs an die waffenfähige Jugend seines Landes war ergangen, da fand sich eines Abends eine kleine Gesellschaft in dem Hause des Rittmeister von A. in Berlin versammelt. Außer der Wirthin, einer liebenswürdigen und geistreichen Frau, noch in der Blüthe der Jahre, und ihrem Sohne, einem Knaben von dreizehn Jahren, waren nur drei Männer zugegen, alle drei aber wohlgeeignet, die Aufmerksamkeit des Beobachters auf sich zu lenken. Der Aelteste von ihnen mochte ein angehender Fünfziger sein; er konnte eher häßlich als schön genannt werden, denn Blatternarben entstellten sein Gesicht, die Nase hatte eine ganz eigenthümliche, beinahe viereckig hervorspringende Spitze, die grünlichen Augen waren klein, das Haar, welches stark grau zu werden begann, hing lang und ohne besondere Pflege bis auf die Schultern herab, die niedrige Stirn beinahe ganz bedeckend; aber die Beweglichkeit und Lebendigkeit, die er bei jedem Worte zeigte, das Feuer, das aus seinen Augen blitzte, verriethen deutlich den geistreichen Mann. Das war Plamann, der Vorsteher einer zahlreich besuchten Erziehungsanstalt, der ersten nach Pestalozzi’s Methode, welche Berlin besaß.
Der, welcher ihm im Alter zunächst stand, und den Vierzigen nahe zu sein schien, war von mittlerer Größe, von kräftigem, gedrungenem Körperbau, breitschultrig, beinahe vierschrötig. Sein ganzes Wesen war nachlässig, fast plump, das Gesicht offen, frei, freundlich, die Rede kurz, barsch, oft abgestoßen; die Stirn bis beinahe zum Scheitel vom Haar entblößt, das eben so wild, doch nicht ganz so lang, wie bei Plamann, in den Rücken und über die Ohren herabfiel. Dieser Mann war Lehrer in dem Institute Plamann’s, und sein Name Jahn, jetzt unter dem Namen des Turnvaters in ganz Deutschland bekannt. Und wohl verdiente er diesen Namen, denn nicht allein, daß er das Turnwesen in ganz Deutschland zuerst in das Leben gerufen hatte, zeigte er sich auch wie ein Vater gegen seine Turner und wurde von ihnen allen wie ein Vater geliebt.
Der Dritte und Jüngste war jedenfalls in seiner äußern Erscheinung der ausgezeichnetste der drei Männer. Groß, kräftig und schön gewachsen, mit edlem, männlichem Gesicht, geziert durch eine hohe Stirn, eine scharf gebogene Nase und große lebhafte Augen, erschien der etwa fünfundzwanzigjährige Mann als ein Bild männlicher Kraft und kriegerischen Muthes. Das war Friesen, ebenfalls Lehrer an dem Institute Plamann’s, und nebst Harnisch Jahn’s kräftigste Stütze bei der Einführung des Turnwesens. In geistiger Beziehung eben so ausgezeichnet, wie in körperlicher, lachte die Zukunft ihm verheißungsvoll entgegen, und gewiß wäre ihm eine glänzende Laufbahn geworden, hätte er nicht bei dem verrätherischen Ueberfalle, durch den das Lützow’sche Freicorps während des Waffenstillstandes heimgesucht wurde, einen allzu frühen Tod gefunden. So ging sein Name beinahe ungenannt und ungekannt unter, allein sein Andenken ist wohl bei vielen der ersten Turner noch nicht erloschen.
Jahn und Friesen trugen die dunkle Uniform des eben errichteten Lützow’schen Freicorps, dem Jahn’s Name allein Tausende kampflustiger Streiter zuführte, und da das Corps täglich dem Befehl zum Aufbrechen entgegensah, hatten die drei Männer, der Einladung folgend, sich hier zu einem kleinen Abschiedsfeste eingefunden, welches Frau von A. auf die Bitten ihres Sohnes den geliebten Lehrern gab.
Das Gespräch drehte sich, wie in jener Zeit ganz natürlich, beinahe ausschließlich um den Aufruf des Königs, um die Hoffnungen, die dadurch in der Brust eines jeden Preußen erweckt worden waren, daß es der Vertreibung der gehaßten Franzmänner gälte, und Jahn und Friesen sprachen mit solchem Feuereifer, daß der junge A. davon ergriffen, sich innig an die Mutter schmiegte, und mit feuchtem Blick und klagender Simme sagte: „Ach, Mutter, weshalb bin ich nicht ein paar Jahre älter, daß ich auch mit gegen die Franzosen ziehen könnte.“
Eben wollte die Mutter ihn mit der Versicherung trösten, daß seine Zeit auch noch kommen würde, da erweckte ein gewaltiger Lärm, der unter ihnen, in der Wohnung des Hauswirths ertönte, ihre Aufmerksamkeit, so wie die ihrer Gäste. Sie vernahmen laute Flüche in französischer Sprache, klagende Töne einer schwachen Männerstimme, und endlich von einer kräftigen weiblichen Stimme ganz deutlich die Worte: „Na warte, Du Hallunke, das werde ich dir anstreichen!“ Dann entstand ein heftiges Gepolter, und schon sprangen Jahn und Friesen nach ihren Säbeln, um hinabzueilen, da wurde es still, dann erschallte lautes Gelächter, und gleich darauf öffnete sich die Thür, und herein stürmte, einen großen Bratspieß in der Hand, die Köchin der Frau von A. Noch immer lachend wischte sie sich mit der Schürze das Blut ab, das in Strömen an ihrem linken Arm herabrann, und sagte endlich auf die Frage ihrer Herrschaft, was es denn eigentlich gegeben habe:
„Einen köstlichen Spaß, gnädige Frau; aber erlauben Sie nur erst, daß ich mir ein Tuch um den Arm binde, denn er Hallunke hat so derb zugestochen, daß ich das Zimmer beschmutzen würde, wenn ich das Blut nicht ein wenig stillte.“
Damit eilte sie hinaus. Verwundert und mit lebhaft angeregter Neugier sahen die Männer ihr nach. Wenige Minuten später trat das Mädchen wieder herein, und nun erzählte sie mit großer Lebhaftigkeit, und die Augen noch immer wie in Kampfbegier flammend:
„Ich ging eben an der offenen Küchenthür unseres Wirthes vorbei, da hörte ich, wie die französische Einquartierung mit ihm zankte und futerte. Ich trat also auf die Schwelle, um zu sehen, ob ich unserem Wirthe vielleicht helfen könnte, da erhob eben der nichtswürdige Franzose die geballte Faust gegen den alten schwachen Mann und würde ihn gewiß geschlagen haben, wäre ich nicht schnell zugesprungen. Ich packte den Franzosen am Arm, warf ihn zurück, stieß den Alten, der am ganzen Leibe heftig zitterte, in seine Stube, schloß diese schnell hinter ihm zu, und ging nun auf den Franzosen los, der mit offenem Munde und wie verdutzt dastand, und gar nicht wußte, wie ihm geschehen war. Ich packte ihn nun bei beiden Armen, drängte ihn gegen den Feuerherd, und drückte ihn rückwärts auf denselben mehrere Male ziemlich unsanft nieder, indem ich bei jedem Knuff sagte: das ist dafür, daß du dich an einem schwachen Greis vergreifen wolltest. – Oben hatte ich ihn so fest gepackt, daß er sich nicht rühren konnte, aber ehe ich’s mir versah, versetzte er mir mit dem Fuß einen solchen Stoß vor den Bauch, daß ich ihn loslassen mußte und einige Schritte zurücktaumelte. Diese Pause benutzte der Spitzbube, zog sein Käsemesser und stieß mich hier in den Arm, daß das Blut nur so spritzte. Aber da wurde ich wild. Na warte, Du Bube, das werde ich dir anstreichen! rief ich ihm zu, ergriff den Bratspieß, der zum Glück dicht neben mir stand, und hieb damit auf den Franzosen los. Der Kerl wollte sich zwar wehren, ab er mit seinem kurzen Käsemesser konnte er mir nicht an den Leib, und meine Hiebe mit dem Bratspieß hagelten so dicht auf ihn nieder, daß er sehr bald die Flucht ergriff und mit lautem Gepolter die Treppe ’runter fiel.“
„Aber Lore,“ sagte die Frau von A. im verweisenden Tone, „wie konntest Du Dich denn auf einen solchen Kampf einlassen? Bedenke doch – ein Mädchen!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_576.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)