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Seite:Die Gartenlaube (1855) 574.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

preußische Militär mit klingendem Spiel, im Blitz der Muhamedsfahne, unter dem Donner der großen Trommel, dem Schmettern der Hörner, über die Brücke hinüber; Regiment an Regiment, in Staatsuniform, in kerzengerader Haltung. Es ist ein Feuermeer, welches sich oben im Glanz der Sonne, im Wald der Bajonnette, entzündet, und über die unabsehlichen Rotten hinwegwallt, so daß unten die neuen Uniformen, bis auf jeden Knopf beleuchtet werden, und jeder Degengriff widerleuchtet, und die Farbe jeder Säbeltroddel zu erkennen ist. Die Matrosen und Führer aller andern Schiffe, selbst die Engländer, steigen auf die Tonnen, die Pumpen, die Strickleitern und die Masten, um besser ihre Neugierde an der fremden Soldateska zu befriedigen. Sie sind ganz Auge und Ohr. Den amerikanischen Matrosen kümmert das nicht, er arbeitet unbeirrt fort, am Wenigsten aber kümmert es den Kapitain, der mit einer grandiosen Gleichgültigkeit verharrt und seinen Falkenblick drüben nach der Börse schießt, wo er ihn in die offene Mittelthür einbohrt, und Militär Militär sein läßt.

Der Truppenmarsch ist vorüber und die Menge am Ufer drängt sich nach einer andern Stelle des Bollwerks, um den englischen Schraubendampfer zu besichtigen, der vor einigen Tagen angekommen ist und schon Waaren an Bord nimmt. Eine lebendige Zeile von Menschen hat sich gebildet, Männer und Weiber, von einem der Speicher bis in den untersten Schiffsraum. Sie werfen graugrüne, viereckte Tafeln einander zu, die als Dünger des Ackers gebraucht werden. Das Geschäft sieht sich lustig genug an, wie die Reihe entlang die Täfelchen fliegen, gleich wie die Ziegel beim Bau eines Hauses oder die Ledereimer beim Feuerlöschen. Unglaublich schnell kommt die idyllische Waare unten an, und das Schiff sinkt von der steigenden Last von Sekunde zu Sekunde tiefer. Dieser Dampfer ist ein Meister- und Musterstück der Schiffsbaukunst. Leichtgeschwungen, nett herausgearbeitet ist jeder Theil, aus pompösem Eisenblech, von unverwüstlicher Dauer das Ganze. Kein Bohrwurm vermag da einzudringen. Die Woge des Stroms spiegelt sich magisch in dem metallischen Glanze, aus dessen schwarzer Längenbreitung der rothe Schornstein, von seltener Dicke, wie ein Kirchthurm der Industrie und ihres Kultus hervorsteigt. Uns flammt der Name Countess of Durham wie ein gestandenes Feuerwerk aus der schwarzen Nacht des Eisens prächtig entgegen. Die festlich gekleidete Volksmasse, als ginge es hier wirklich zur Kirche, durchwallt die Gänge des Schiffs von hüben und drüben. Der Helm des weißen Kürassiers, und wär’ es ein Gemeiner, wird zufällig vom grünen Schleier der vornehmsten Dame zärtlich umweht, der polnische Jude, mit langer, orientalischer Gewandung, sieht sich neben den modernsten Stutzer placirt, alle treibt dieselbe Augenlust in’s Innere zu gelangen, und die Schraube dieses Meerwunders in Sicht zu nehmen. Der Flug dieses Dampfers auf seiner Reise ist so schnell, daß dagegen das schnellste Segelschiff wie eine Treckschuyte auf dem Schlamme eines holländischen Kanals blos schleicht. – Auch Franzosen, Portugiesen bemerken wir bisweilen in unserm Hafen, nur kommen sie seltener; sie bringen uns in nicht großen Fahrzeugen Weine; die ersten meistens aus Bordeaux. Die Azoren sogar schickten uns vor einiger Zeit einen Sendling, an dessen Borden sich nicht blos kupferrothe, auch schwarze Matrosen befanden.

Blicken wir wieder einmal um uns, wie wir dem Ende des Bollwerks schon nahe gelangen, so gewähren uns beide Ufer des stattlichen Stromes, auf dessen Fläche jenes Schiffslager aufgeschlagen ist, ebenfalls einen höchst mannigfaltigen Anblick. Dort in der Ferne von Nordwest, am jenseitigen Ufer, öffnet eben die berühmte Sternwarte, der der Name Bessel für ewige Zeiten eingravirt ist, ihre Thurmfenster. Sie schlägt, ungeachtet hell die Sonne scheint, ihre Dachluken wie Augen auf (als wäre sie das lebendige Wesen eines andern Planeten), und streckt aus diesen Oeffnungen Instrumente gleich Fühlhörnern hervor, die lüstern nach den goldenen Früchten des Himmels auch bei Tage langen. Näher dem Ufer zu liegt drüben der Hauptplatz für den Ballastauswurf. Das Sprüchwort sagt: Steine, Berge und Bäume entfernter Gegenden kommen nicht zusammen, wohl aber Menschen. Hier jedoch findet eine Ausnahme statt. Hier sehen sich allerdings die Mineralien und besonderen Erdarten der entferntesten Länder gemüthlich vereint, und können Zwiesprache mit einander führen, Vegetabilien mischen sich dazwischen; der Sand der Gironde verkehrt mit dem Kalkfelsen von Northumberland, der Schiefer von Schweden mit dem Rothholzstaube von Brasilien. Die Grabhügel des Sandes gleichen auch hier alle Unterschiede aus.

Weiter rechts kommt unser Schiffswerft. Da brennt und raucht es zu allen Jahreszeiten, da werden die Kiele gehauen, die Bretter gekrümmt, die Balken gerichtet, die Schiffe kalfatert und getheert und von Stapel gelassen. Das ist ein majestätisches Schauspiel, wenn so ein Schiff, für Amerika bestimmt, zum ersten Mal, mit Laubgewinden bekränzt, auf eingeseiften Walzen, unter dem wilden Aufjauchzen der Menge oben auf dem Verdeck, in’s Wasser rollt, zum ersten Male die jungfräuliche Woge berührt, daß diese scheu zurückbebt, und ihm dennoch wieder sehnsüchtig entgegen wallt. Hier war es auch vielleicht, wo der einst so berühmte königsberger Mystiker Schönherr sein Schiff unter dem Zulaufe des Publikums von Stapel ließ, das Schiff, welches er nach jahrelangem Sinnen und Studiren nach dem Modell der Arche Noah’s erbaut hatte, und mit dem er hinaus wollte, vielleicht um die einstige Lage des Paradieses zu entdecken. Aber das herausgekünstelte Schiff blieb am Ararat seiner eigenen Unhehülflichkeit stehen, schon als es in’s Wasser kam, und auch die Fahrt wurde zu Wasser. – Drüben in der Gegend des Licents, wo auch der Platz für die Dampfschiffe ist, wohnte einst der tiefsinnig geniale Johann Georg Hamann, der sich selbst den Magus aus Norden zu nennen pflegte.

Aber wir kehren uns nach dem diesseitigen Ufer des Pregels, wo auch außer den Schiffen immer noch viel zu beobachten ist. Da präsentirt sich dort von der Ecke her, in eigenthümlichen Verzierungen der Dachzinne, mit vorspringenden Balkons, das Haus des französischen Consuls. Da rücken Waarenlager vor, deren kolossale Behälter den Fortschritt des modernen Baugeschmacks in Vergleich mit den alten Speichern, die uns unheimlich ansehen, auf’s Erfreulichste bekunden. In dem Bereiche dieser riesigen Faktoreien wütheten zu verschiedenen Zeiten jene maßlosen Feuersbrünste, die man denen von Pera und dem alten Stambul vergleichen könnte, und brachen, wie aufrührerische, rothe Janitscharen sogar in die Vorstadt ein, welchem Unheil die massiven Bauten ein Ende gemacht haben. Näher unserm Standpunkt eröffnen sich Räume, welche dem Leben dieses ganzen Wasserprospekts eine muntere Seitenstaffage geben. Zartweiße Linnen sind ausgebreitet, auf deren reinlicher Fläche die goldenen Früchte der Ceres, Hafer, Gerste, Erbsen, Korn zu immer höher steigenden Bergen aufgeschichtet, gelüftet und gesäubert werden, um sie auf die Schiffe zu bringen. Männer mit Schaufeln werfen die Kornfontaine in die Luft, so daß der goldene Regen schwer wieder herunterströmt und die leichtere Spreu vom Winde hinweggenommen wird. Leuchtet die Sonne in diesen Kornsegen, der geradeswegs vom Himmel zu fallen scheint, so hat man ein Bild des reichsten Erntesegens vor Augen, um welches uns die Winzer des Rheins beneiden könnten. Diese Berge von Korn werden in Säcke gebracht, aber nicht darin gelassen, sondern drüben unmittelbar in die luftigen Kajüten geschüttet, was denn ein zweites höchst anmuthiges Bild veranlaßt.

Es läßt sich aber denken, daß in Mitte eines so mannigfaltigen Lebensverkehrs zwischen Einheimischen und Ausheimischen, wie ihn eine Hafenstadt bietet, und besonders auf dem Tummelplatz der Ausländer selbst, manches vorkommen wird, was dem komischen wie tragischen Interesse reichlichen Stoff gewährt. Sind doch Komik und Tragik, wie es die Wirklichkeit jedes Tages dem Beobachter zu erkennen giebt, auf’s Innigste mit einander verwandt, und es bedürfte nur einer geschickten Feder, um aus solchen Vorgängen die Bühne mit neuen Scenen zu beleben. Auch das bürgerliche Behagen sollte durch den Humor noch um vieles erweitert werden. Der Humor aber weiß es vor Allem, daß dem Reinen alles rein ist, und daß Ironie und alle Uebelstände unseres Erfahrens durch Heiterkeit und weise Nutzanwendung zu überwinden sind. In diesem Sinne theilen wie auch das Folgende mit. Die eine Geschichte bewährt es, daß die Völker der Erde auch unter dem Schutze des Friedens und freien Handels immer noch im Kriege mit einander leben, daß aber auch aus der Zwietracht Ergötzliches zu gewinnen ist. Die andere Begebenheit bringt es uns nahe, daß wir der Gefahr, wo sie uns von allen Seiten umlauert, entgehen können, daß sie uns aber da oft ereilt, wo wir sie am Wenigsten fürchteten, wo wir uns der Sorglosigkeit hingaben.

(Schluß folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_574.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2023)