Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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ihre Kübel, um sie schon wieder zu füllen, und gießen das Wasser, wo es nur irgend gießbar ist, über das Schiff weg, daß alles und jedes blitzert und blänkert. Eine solche Reinigungswuth ist beispiellos. Ober- und Unterverdeck, Vorder- und Hintertheil, Herrschaftskajüte und Matrosenkoje, Fenster und Thüren, Boden und Decke werden Tag aus Tag ein gescheuert, durchspült, gebohnt, gewischt und gestriegelt. Es ist aber auch eine Spiegel-Blänke und -Glätte auf einem solchen Schiffe von Niederland wie auf dem Parquet keines Salons. Die hellblauen Wassertonnen, die auf dem Verdecke wohlgereiht stehen, mit rother Umbortung, blicken uns so appetitlich an, als hätte sie der Conditor so eben aus Zucker gearbeitet, und die Kajüte des Kapitains mit ihren Spiegelfenstern, voll Blumentöpfe und mit Alabastervorhängen, gemahnt uns wie ein Brautgemach.
Im stärksten Gegensatze zu diesem Holländer, blank wie ein Haus von Rotterdam mit Klinkern, ist sein Nachbar ein Dreimast von riesiger Größe, der sein schwarzes Bugspriet wie einen plutonischen Scepter weit über ihn hinaus erstreckt. An diesem Engländer ist alles geschwärzt von Steinkohlen, als wär’ er gerade aus dem Pulverrauch einer Seeschlacht oder gar aus der Unterwelt gekommen. Selbst die Segel sind düster angeflogen vom Kohlenstaube, und sehen uns unheimlich an wie jenes Schiff des rückkehrenden Theseus, der vergessen hatte, statt des schwarzen ein weißes Segel aufzustecken. Das Schiff des Engländers und alles auf ihm kündigt uns sogleich an, daß wir es hier mit dem Herrn der Meere zu thun haben. Durch alles und jedes, vom Spiegel bis zum Kiele, vom Hauptmast und dessen Korbe, bis zum kleinsten sauber geflochtenen Tauwerk, zieht sich der rothe Faden des Dauerhaften, des Zweckmäßigen, des Comfortablen. Da waltet nirgend kleinliche Geschäftigkeit, wohl aber Praxis, die reelle Zwecke hat und sie sofort erreicht, Ordnung, die jedem Nagel seine Stelle zuweist, der der Küchenjunge von jedem Scheuerlappen Rede zu stehen hat. Das ganze Schiff, von gewaltiger Ausdehnung, dem man trotz seiner gediegenen Einzelstücke die Leichtigkeit, ja Zierlichkeit seiner Bauart sogleich abmerkt, wird eben so behend bewegt, wie jede Segelstange. Wer könnte widerstehen, stets auf’s Neue die englischen Matrosen zu zeichnen, wie oft sie auch schon gezeichnet worden sind! Das ist eine Menschenklasse sonder Gleichen. Man sollte meinen, das Meer, und keine menschliche Mutter, habe sie geboren, so sehr sind sie mit dem Meere eins. Ewig ruhelos, behend, listig wie die Woge, ist der Matrose Albions im Geschäft; in der Erholung, am Sonntage dagegen, wenn er feiert, versinkt er in ein stummes Brüten wie das Meer, wenn es schweigt. Mit Wenigem ist er begnügt. Seine Ration Salzfleisch, Zwieback und sein bescheidenes Maaß gebrannten Wassers geben ihm ein Aussehen, als schwelgte er nur in Beefsteaks und Porter. In jenen beiden Positionen der Bewegung und der Ruhe muß man ihn sehen, um ihn leibhaft sich vorzustellen. Man muß ihn sehen, wie er, sogar wenn das Schiff fährt, oben im Tauwerk campirt. Diese Takelage eines segelnden Engländers ist ein wahres Labyrinth von Tauen, Stricken und Strickchen. Strickleiter lehnt sich an Leiter, Querleinen laufen dazwischen und werden von Stangen unterbrochen. Kein Seiltänzer fände sich hier zurecht, am Wenigsten wenn er oben angekommen wäre am Mittelmast von oft hundert Fuß Höhe, und nun um sich gebreitet fände dieses Strick- und Maschennetz von tausend und aber tausend Gewinden, und unter ihm die blaue Wassertiefe gähnte. Der englische Matrose dagegen läuft oder vielmehr fliegt durch diese Windungen mit einer Sicherheit und Leichtigkeit wie die Spinne durch ihr Gewebe. Oben angekommen, schaukelt er sich noch eine Weile, wie es scheint, aus purer Lust, nachdem er auf- oder angeknüpft hat, mit zusammengeballtem Körper an der äußersten Spitze des Mastes; er schwebt in der Luft sicher wie in einer Hangematte, und fährt dann eben so behend und wohlgemuth die geflochtenen Treppen wieder hinunter. Aber auch Sonntags in der Ruhe wollten wir ihn oben auf dem Verdeck in Augenschein nehmen.
Ein Sonntag ist auch auf einem englischen Schiffe ein Stillleben, in dem sich keine Maus und kein Bohrwurm regt, noch regen darf. Die Kajüte ist wie ausgestorben. Oben ist alles aufgeräumt, nur der Kohlenstaub liegt auf allem wie sonst, und auch der Sonntag ist mit diesem Sande festlich bestreut. Auch sitzt wohl ein Alter in der Ecke dort und liest in einem Gebetbuch der Hochkirche oder in der Bibel. Nachmittags kauern die Matrosen mit verschränkten Armen ober aufgestützt gruppenweise auf dem Verdeck und stieren gerade vor sich hin über Bord. Nichts sehen sie von dem, was an ihnen auf dem Verdeck und stieren gerade vor sich hin über Bord. Nichts sehen sie von dem, was an ihnen auf dem Bollwerke vorüberwandelt. Wie der Pariser flaniren geht, so flanirt der englische Matrose sitzend, d. h. er ergeht sich in sich, er spaziert in Gedanken in Alt-England. Es ist eine Situation behaglicher Selbstbeschauung, dem Behagen mancher Geschöpfe vergleichbar, wenn sie wiederkäuen. Der englische Matrose käut Tabak wieder, während er so brütet.
Die Mannszucht dürfte nirgend in der Welt strenger ausgeübt werden als auf einem englischen Schiffe, dennoch athmet alles das Gefühl der Selbstständigkeit, Sicherheit und Freiheit. Ist das Haus das unabhängige Reich jedes Engländers, so ist das Schiff das Haus jedes Kapitains, aber auch jedes einzelnen Matrosen. Die Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, die Freiheit, die Würde, der Stolz der Nation liegen diesen Leuten nicht blos auf dem Gesichte plastisch ausgeprägt, sie sprechen auch aus ihrer Haltung, ihrem Gange, aus jeder Bewegung. Ein hochherziges, wahrhaft humanes Zugeständniß ist es, daß jeder Mensch ein englisches Schiff betreten darf. Auch sieht man davon zahlreich Gebrauch machen. Den ganzen Tag tummelt es sich auf einem solchen Schiffe, zu dem man auf bequemer Stiege gelangt, von Hoch und Niedrig, Reich und Arm. Weder der Kapitain und der Steuermann, noch irgend ein Matrose oder Schiffsjunge nehmen davon die geringste Notiz, wie Frauen und Männer, unter diesen Offiziere, gemeine Soldaten, Civilbeamte, Studenten, Handwerker, Landleute, Arbeiter alle Räume des Verdecks, des Waarenlagers und der Kajüte durchwandern, alles sich auf’s Genaueste besehen. Wie gesagt, Niemand der Schiffsmannschaft scheint darauf auch nur im Geringsten zu achten, und doch ist sicher ein Auge da, das alles und jedes bemerkt, und es dürfte dem schlecht bekommen, der von so nobler Gestattung auch nur den geringsten Mißbrauch machte. Kurz, man fühlt am Borde eines englischen Schiffes sogleich den freien Boden Englands unter seinen Füßen, die großartigen Institutionen, die weltbewußte Sicherheit einer solchen Nation. – Die englischen Kapitaine geben in ihren Kajüten nicht selten Gastmahle in jenem amerikanischen Riesenstyle ausgeführt, mit dem sie uns Sealsfield in seinen Romanen so appetitlich beschreibt oder in der Weise der noch kürzlich so vielbesprochenen Napier’schen Bankets. Unsere mäkelsüchtigsten Feinschmecker sind entzückt von diesen Plumppuddings ächter Nationalität, dieser ganz aparten Sorte von Austern, diesen Rostbeefs pikantesten Geschmacks, diesen Hummern ohne Gleichen, diesen fremdländischen Weinen voll Feuer und Geist, diesen ausgelassensten Humoren der gastfreundlichsten Wirthe. Aber man muß auch etwas einzunehmen verstehen und etwas seemännische Natur mitbringen, sonst dreht sich der Boden noch Tage lang wie von Seekrankheit unter dem Fuße jedem, der an solchem Mahle Theil genommen hat. Die Gäste erhalten oft die herrlichsten Meermuscheln zum Angebinde, welche, in Silber gefaßt, die Glasschränke unserer Kaufmannsfrauen zu seltener Zierde bereichern.
Ein solch’ eben von uns beschriebenes englisches Segelschiff wird freilich an Gediegenheit des Baues, an ungeheuern Dimensionen, an Eleganz und Pracht der Einrichtung noch übertroffen von jenem gewaltigen Amerikaner, der ihm zu Häupten schaukelt. Auch er ist ein Segler, der diese Segel, wenn er fährt, wie der Condor seine Flügel ausbreitet, daß er damit ein weites Wogenfeld umschattet, jetzt aber hat er sie niedergelassen, und ein ganzem Bataillon Soldaten könnte gemächlich in diesem Zelte seiner Segel hausen. Dieser Amerikaner ist aus New-York und nimmt Auswanderer auf. Europamüde drängen sich massenweise nach diesem Asyle ihrer Wünsche, der Verheißung einer schöneren Welt. Masuren und Litthauer haben sich in ihrer Nationaltracht am Steuer häuslich bereits niedergelassen und verzehren ihr kärgliches Mittagbrot. Ein junger Tischlergeselle mit wohlkultivirtem Bart, aber ärmlichem Anzuge, wehklagt oben auf dem Verdeck, daß er für Ausübung seines Handwerks mitgenommen sein wolle, daß der Kapitain aber nicht barauf einzugehen erkläre. Dieser Kapitain steht so eben am Hintermaste unrührbar, wie eingepflockt. Es ist eine Figur wie aus Erz, wie aus Eisenguß. Der breitgekrämpte Filzhut sitz ihm tief im Nacken, damit der Mann um so besser gerade vor sich hinblicken könne; stechend ist sein Blick, er nimmt etwas auf’s Korn, wohlgenährt ist seit rothes, ernstes Gesicht, die Hände ruhen in den Seitentaschen. Matrosen mit blanken, platten Rundhütchen, von denen lange Bänder wehen, mit starken Backenbärten, die Brust entblößt, winden Taue auf. Eben zieht das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_573.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2023)