Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Im königsberger Hafen.
Das Leben aus dem Lande, in einer kleinen, in einer großen Stadt, jedes hat seine besondern Reize, und gewährt dem Beobachter, zumal wenn er alle Drei gegen einander auszutauschen versteht, reichen Ertrag. Das Land wird uns, ungeachtet der moderne Luxus auch hier schon in prächtigen Villen sich niedergelassen hat, doch immer auch den Urzuständen der Menschheit nahe bringen; die Kleinstädterei vermag uns, außer der behaglichen Einfriedigung in einem mittleren Vollglück, in den ewigen Figuren des Herrn Bürgermeisters und Stadtschreibers nebst Gemahlinnen und sonstigen Honorotionen, nicht wenig Nahrung für unsere Erheiterung, sogar für unsere Lachlust zu gewähren; die große Stadt endlich giebt uns das Weltganze nicht selten in einer Umrahmung, im Spiegel der Nationen, besonders wenn sie eine Hafenstadt ist. Nichts ist im Stande, uns das Schöpferische, die Macht, die alle Wesen verbindet, mehr zu vergegenwärtigen, als das Wasser, da es das Element der Beweglichkeit und Durchsichtigkeit ist.
Ich gestehe, daß in einer so ansehnlichen Stadt wie Königsberg in Preußen, die in sich selbst dem Beobachter stets neue Eindrücke gewährt, mein liebster Spaziergang nach den Schiffen gerichtet ist. Was ich hier zu jeder Tageszeit empfange, führt mich weit über den Continent hinaus, und verbindet mich im Moment mit allen überseeischen Ländern und deren Bewohnern. Der Hafen erstreckt sich, was man selten findet, mitten in die Stadt herein. Kaum daß man noch mit den Binnenländischen verkehrte, von den Ereignissen aus nächster Nachbarschaft Kunde erhielt, kann man auch schon mit Skandinaviern, Holländern, Engländern, Amerikanern, Franzosen Umgang pflegen, und alles was menschlich ist, freilich oft in sehr abweichender Weise, auch an ihnen in Erfahrung bringen.
Man kommt aus einer der imposantesten Straßen der Stadt, durch das sogenannte grüne Thor, auf eine Brücke, welche den Kneiphof mit der Vorstadt verbindet, und wird rechts hin sogleich von einem Anblicke überrascht, dessen sich wenig Orte des Festlandes zu erfreuen haben dürften. Eine neue Stadt, deren Häuser Schiffe sind, erstreckt sich in Straßen, Gassen und Gäßchen, die wieder durch freie Plätze, durch offene Quarré’s, unterbrochen werden, in eine Fernsicht, die bis an den Horizont reicht, und in bläulichen Tinten oder Abends im Sonnengolde magisch verschwimmt. Wir biegen am Ende der Brücke rechts um die Ecke und verfolgen den Prospekt auf dem Bollwerk. Welch’ ein Wimmelleben von Gerüchen, Sprachtönen, Trachten, Hantirungen, Stellungen und Bewegungen aller Art unter In- und Ausländern! Alle Farben des Prisma’s wehen und flattern uns von den Dächern und Spitzen dieser Schiffshäuser und Paläste in Tausenden von Flaggen, Fahnen und Fähnchen lebendig entgegen; sie zeichnen lustig den Verkehr und Handel aller Nationen in die blaue Luft, und wie sie sich von Kähnen und Gondeln bis zu den stattlichsten Kauffahrteifahrern erheben, dann wieder in die Weite hinaus allmälig absenken, könnten sie uns einen prächtigen Regenbogen abzubilden scheinen, der die Versöhnung und den Frieden der Völker signalisirt, welche die Bedingungen des Wohlstandes, des Handels und Wandels sind. Unter all’ diesen Flaggen von Weiß, Roth, Orange, Blau, Grün, ist doch besonders eine, welche auf hellblauem Grunde einen ganzen Sternenreigen vor uns entrollt. Es ist die stolze Flagge eines Amerikaners, der den Ocean durchmessen hat, und mit Recht die Sterne in seinem Banner führt, als die Sphären der Freiheit, die sich im Oceane am Vollständigsten abspiegeln.
Durchmustern wir nun unsere Schiffstadt noch näher, um auch mit den sonstigen Einrichtungen und Charakteren dieser Nationen Bekanntschaft zu machen, so sind es außer den Deutschen, zumal Königsbergern, Memlern, Stettinern und Hamburgern, die an Stattlichkeit und seemännischer Gravität den Ausländern nichts nachgeben, zunächst Dänen, Schweden und Norweger, welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Schon in den verschiedenen Schiffsnamen, die uns in goldenen Schriftzügen meist vom Vordertheil oder auch von den Seiten entgegenglänzen, prägt sich die abweichende Natur der in- und außereuropäischen Völker ab. Vom Borde selbst klingen dann auch sogleich die entsprechenden Zungen und Aussprachen lebendig herüber. Die Sprachen der Skandinavier haben ihren ganz aparten Wohllaut. Es heimelt uns aus ihnen sogleich das germanische Element an, welches hier freilich mit einem gewissen Etwas versetzt ist, das schwer zu deuten sein dürfte. Es ist eine Dehnung und Abplattung des Vokallauts, die uns nach der Strenge und Oede des Nordpols entrückt, aber durch Ausgleichung zwischen Vocal und Consonant unserm Ohr auch wieder angenehm wird. Die Schiffseinrichtungen haben unter diesen Nationen, wie es uns scheint, etwas Knappes, nur auf das Nothwendigste Berechnetes. Die Fahrzeuge sind oft überaus klein, an den Enden viereckt, und es will uns höchst keck bedünken, wie diese Schiffsleute, ungeachtet großer Behendigkeit ihrer selbst, mit solchen Wägelchen, Nußschaalen, sich über die Flüße, auf die Meere hinaus wagen dürfen. Diese Sicherheit und Dreistigkeit giebt ihnen wieder etwas Grandioses, trotz aller Winzigkeit, und wir denken an die kühnen Fahrten der alten Normannen, dieser Araber des Nordens, was Lust, auf Abenteuer auszugehen, und Kühnheit, die Fernen zu durchziehen, betreffen mag.
Einen ganz und gar andern Eindruck machen auf uns die Holländer. Sie sind in ihren Mannschaften wohlgenährt, aber langsam, fast phlegmatisch. Ihre Schiffe sind solid gebaut, von festem, kernigem Holze, massiv, an den Vorder- und Hintertheilen abgerundet, und man möchte sie den festen Käsen verglichen, welche sie mit sich haben. Man muß einen holländischen Kapitain in Mitte seiner Familie und Matrosen auf seinem Schiffe sehen, um sich ganz Niederland in dieser überreinlichen, üppigen Bequemlichkeit und pomadigen Zähigkeit vorzustellen. So ein Holländer macht die Reise nie mit seinen Matrosen allein, sondern er hat die ganze Familie bis auf Kindes Kegel, wieder großen und kleinen Käsen vergleichbar, an Bord, ja auch ein breiter Thierstand, in Hunden, Enten und Hühnern wird mitgeführt, ohne daß die Sauberkeit darunter litte, die bis zum Exceß aufrecht erhalten wird. Eine solche Familie muß man oben auf dem Verdeck, unter zierlichem Zelte, besonders nach dem Mittagsimbisse, in ihrer völligen Ungenirtheit beobachten, um die derbe Naivetät und den Geschmack der niederländischen Maler völlig der Wirklichkeit gemäß zu finden. Da sitzen Mann und Frau nebst Söhnen und Töchtern im Rundkreis und verdauen mit Behaglichkeit, was man sogar hören kann. Sie verführen nämlich öffentlich, ganz im Widerstreit mit dem, was wir unter Anstand und Schicklichkeit verstehen jenen Ton des Aufstoßens, den man Rülpsen zu nennen pflegt, und der da beweist, daß es im Magen nicht ganz richtig ist, oder doch erst richtig zu werden beginnt. So ein Holländer aber, ob Mann oder Weib, denkt sich gar nichts Uebles dabei, und findet das eben so natürlich wie etwa das Seufzen aus Empfindsamkeit oder Aufathmen, um zu leben. Ein hiesiger Arzt versicherte mich, er sei kürzlich auf ein holländisches Schiff gerufen worden, blos um Erleichterung zu gewähren; die Familie habe ihm Unisono theils unabsichtlich, theils künstlich entgegengerülpst; er habe sie im besten Wohlsein gefunden, sie habe nur jenes Aktes wegen ein Mittel der Beschleunigung gewünscht. Die Holländerin, die zum Nachtisch aus freier Hand vielleicht noch einige Waffeln genießt, ist malerisch genug angezogen. Sie ist in der Regel wohlbeleibt von Figur. Die Frauen tragen meist einen schwarzen Anzug, eine Art Jope, welche Kragen und Krägelchen, in der Weise der früheren Schanzeloper, entläßt, und der Gestalt viel Draperie und fremdländische Reize verleiht. Der Kopfputz vor allem ist höchst eigenthümlich. Eine knapp anliegende Haube, mit den zierlichsten Brabanterspitzen geschmückt, wird zu beiden Seiten von großen Goldschilden gehalten, welche wie ein heruntergeschlagenes Diadem weithin funkeln, und, nebst den Gold- und Brillantringen der Finger, der Dame den Ausdruck eines soliden Reichthums gewähren. Diese schwarzgekleidete Damenflora mit goldenen Lichtern, der sich die Männer im schwarzen Frack anschließen, läßt die im Vordergrunde thätigen Matrosen in rothen Blousen um so schärfer hervortreten. Worin besteht aber das Hauptthunm dieser Blousenmänner? Sie entleeren
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_572.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2023)