Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 43. | 1855. |
(Schluß.)
Dem Dießbach war es bei dieser grenzenlosen Frechheit, als werde er von dem Stich einer giftigen Schlange getroffen, doch ließ er sich von seinem Gefühl nicht überwältigen, sondern fragte mit dem Schein der Verwunderung:
„Meine Mutter? Weiß meine Mutter um Ihre Schicksale?“
„Bitte gehorsamst – erkundigen Sie sich nur nach mir. Ich will nicht vorgreifen.“
„Das Zeugniß meiner Mutter würde allerdings jedes andere aufwiegen,“ sagte Dießbach, konnte aber in diesem Augenblicke doch das Beben seiner Lippen nicht beherrschen, und Staub’s spähendes Auge hatte es gleich bemerkt. Er rieb sich vergnügt die Hände und rief:
„Gnädiger Herr, Ihre Frau Mutter kann mich nicht im Stich lassen, denn was Sie auch von meiner Großmuth und Verschwiegenheit denken mögen, Alles hat seine Grenzen.“
„Was soll das heißen?“ rief Dießbach heftig.
„Daß ich Stargau’s intimster Vertrauter gewesen bin und folglich Ihrer Frau Mama –“
Er konnte nicht vollenden, denn Kuno’s Seelenkraft war endlich erschöpft, der Vulkan, der in seiner Brust getobt hatte, ließ sich nicht länger in seinem Ausbruche hemmen. Alle Selbstbeherrschung in der ungezähmten Leidenschaft verlierend, der in diesem Momente Alles gleichgültig war, wenn er auch Vernichtung über sich und sein Haus heraufbeschwor, faßte er den Elenden, der es wagte, ihm das in’s Angesicht zu sagen, mit nerviger Faust bei der Brust, warf ihn zu Boden, und rief mit donnernder Stimme:
„Das ist Dein letztes Wort, Nichtswürdiger!“
Staub regte sich nicht, er lag auf seinem Gesicht, alle Glieder schlaff gelöst, wie ein Sterbender.
Schon hatte Kuno in seiner blinden Wuth den Fuß gehoben, um ihn schwer auf den Nacken des Elenden zu setzen, als der Anblick seines bewußtlosen Opfers ihn zur Besinnung brachte. Er athmete hoch auf, als wolle er die Felsenlast, die ihm auf der Brust lag, abwälzen, beugte sich schnell über den Gefallenen und wandte ihn um. Staub hatte allerdings von dem Schreck des jähen Anfalls, wie von dem harten Niederwerfen, das Bewußtsein verloren, Blutstropfen entquollen seiner Stirn - aber er schlug eben die Augen wieder auf und heftete sie mit einem trübseligen, angsthaften Blicke auf den, der über ihm stand. Durch und durch eine feige Natur, wo seine Feigheit gewaltsam abgefertigt wurde, war er auf einmal wie verwandelt.
„Lieber gnädiger Herr!“ stammelte er in demüthig bittendem Tone.
Kuno half ihm, ohne ein Wort zu sagen, aufstehen, reichte ihm sein Taschentuch, sich das Blut zu stillen, zog seine Börse und gab ihm, noch immer schweigend, ein funkelndes Goldstück. Es war für Staub die größte Erniedrigung, aber seine Seele war über dergleichen Gefühle längst hinweg. Gebettelt auf allen benachbarten Gutshöfen, wie er schon seit zwei Tagen hatte, war ihm der Anblick des Goldes ein Balsam, der ihn augenblicklich Mißhandlung und Schmerz vergessen ließ, selbst seinen Vortheil, und er konnte nichts thun, als sich in kriechender Weise bedanken.
„Wehe Ihnen,“ sagte Dießbach, „wenn Sie je wieder eine solche Anspielung wagen sollten – gleichviel, gegen wen! Ich will nicht den Unwissenden spielen: ja, Herr, ich kenne die ehrlose Verleumdung, gegen welche sich, wenn sie heimlich die Runde läuft, und nicht offen an das Tageslicht tritt, kein Mensch, auch vom reinsten Charakter, schützen kann. Diese Infamie ist das Werk Ihres alten Herrn und Genossen, und Sie haben sich willig dazu hergegeben, sie zu verbreiten. Danken Sie Gott, daß ich den Moment, der Sie jetzt in meine Hand gab, nicht benutzt habe, den Wurm zu zertreten, der es gewagt hat, sein Gift auf mein Haus zu spritzen. Aber ich schwöre Ihnen, daß keine Entfernung, nicht dreifache Riegel Sie vor der Vernichtung schützen sollen, wenn je wieder auch nur die leiseste Andeutung davon über Ihre Lippen kommt.“
Die furchtbare Drohung, unterstützt durch Kuno’s mächtige Gestalt und die flammende Wetternacht seines Auges, ließ Staub zittern. Er legte betheuernd die Hand auf die Brust.
„Demungeachtet,“ fuhr Dießbach gemäßigter fort, will ich Sie nicht im Elende lassen, da ich Ihnen einmal Hoffnung gemacht habe. Sie können hier in Rinkleben nicht bleiben, aber halten Sie sich in der Stadt noch einige Tage auf, bis Sie von mir gehört haben. Ich werde Sie im goldenen Ringe aufsuchen lassen.“
Es war spät, als Kuno den Schloßberg erstieg er hatte sein heißes Blut erst noch durch eine weite Wanderung abkühlen, hatte Vieles erwägen und prüfen, alte Pläne verwerfen und neue fassen müssen, ehe er vor das Antlitz seiner Mutter treten konnte: nicht als Sohn, sondern als Richter, zu welchem er sich aufgeworfen hatte. – Sie war nicht daheim, er hörte, daß sie Nachmittag, bald nachdem er weggefahren sei, mit seinem Bruder einen Spaziergang
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_563.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)