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Seite:Die Gartenlaube (1855) 552.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„I, wen bringt er uns denn da mit?“ fragte die Frau Oberamtmann, mit dem Gaste an das Fenster tretend.

Es war ein Bekannter aus früherer Zeit, der hier in dem benachbarten Ballenstedt von seinem Gelde lebte, ein reicher Kapitalist ohne bestimmte Beschäftigung, der aber dafür ein wahres Conversationslexikon über alle Verhältnisse der Gegend war, die er in seinen unbeschränkten Mußestunden schon Jahre lang gründlich studirt hatte. Oberamtmann Siebeling war heut in Ballenstedt Geschäfte halber gewesen und hatte den alten Bekannten aufgesucht, der seine Einladung gleich auf denselben Tag gefaßt und angenommen hatte.

Dießbach erkannte ihn auf den ersten Blick; wer hätte sechs Meilen und mehr in der Runde Herrn Egelmann nicht gekannt? Daß er gerade heut und hier mit ihm zusammen treffen mußte, war ihm unangenehm, doch verrieth er das nicht, sondern nannte den Frauen, die ihn Beide nicht kannten, seinen Namen.

„Egelmann? Deine Pathe, Agnes!“ rief die Mutter. „Ja, Herr Baron, das ist ein alter Freund meines Mannes, den er auf viele Meilen weit zu Gevatter gebeten hatte, als dies kleine Wurm getauft wurde – er konnte nicht kommen, steht aber mit im Kirchenbuche – verzeihen Sie, Herr Baron, wenn ich meine Schuldigkeit als Wirthin thue –“

„Ich werde Sie begleiten,“ sagte Dießbach. – Agnes blieb zurück.

„O!“ brummte der Oberamtmann halblaut noch auf dem Wagen zu seinem Freunde, als er hinter seiner Frau die auffallende, ihm fremde Gestalt erblickte. „Wen haben wir denn hier?“

„Stille!“ raunte ihm Egelmann zu. „Das ist der Herr von Dießbach von der Rinkenburg. Kennst Du ihn noch nicht und seine Frau Mutter? Da kann ich Dir Geschichten erzählen!“

Sie stiegen aus und der Oberamtmann begrüßte Dießbach mit jener ungezwungenen Offenheit, welche Landbewohnern eigen ist und etwas Wohlthuendes hat; er war ein praktischer Mann von wenig Formen, das bemerkte Dießbach gleich nach den ersten Worten, durch welche er sein Hiersein erklärte.

„Mit mir über eine Angelegenheit sprechen?“ erwiederte Siebling. „Kommen Sie. Keine Umstände. Geniren muß man sich auf dem Lande nicht. Lache nur, Du alter Komplimentarius!“ wandte er sich an seinen Freund Egelmann, der bis jetzt vergebens gesucht hatte, seine Verbeugung bei Dießbach anzubringen, und in diesem mißglückten halben Versuchen unendlich komisch aussah.

Jetzt schien Dießbach den langen, spitzköpfigen Mann erst zu bemerken. „Ah, Herr Egelmann!“ sagte er mit frostiger Vornehmheit, während er gegen Siebeling frank und zuvorkommend gewesen war.

„Gehorsamster Diener, mein Herr von Dießbach!“ verneigte sich nun Egelmann. „Wohl auf? Und auch die Frau Mutter, wenn ich mir unterthänigste Nachfrage erlauben darf? Der Herr Bruder sind auch hier, ich habe ihn neulich gesehen, als er durch Ballenstedt ritt, um unserm gnädigen Herzog die Aufwartung zu machen. Roth und goldene Schnüre und die prachtvolle, von Gold starrende Zipfelschabracke mit dem Stern, und die schöne Pelzmütze – alle Fenster wurden aufgerissen und die Mädchen hätten Sie hören sollen: schlank wie eine Tanne gewachen –“ hier erschrak der höfliche Mann und biß sich auf die Lippe, denn konnte das der verwachsene Bruder nicht für eine malitiöse Anspielung auf seine eigenen unglückliche Figur halten?

„Wir glauben’s Dir!“ sagte Siebeling. „Die Mädchen sind auf buntes Tuch wie toll. Kommen Sie, Herr von Dießbach – Sie haben mit mir zu reden. Nimm meinen alten Egelmann unter Deine Flügel, Frau, bring’ ihn zu Agnes, daß sie ihren Pathen kennen lernt!“ Er reichte Dießbach seine große, wetterbraune Hand, welche nur bei feierlicher Gelegenheit mit Handschuhen belästigt wurde und führte ihn in seine eigene Stube, aus welcher ihnen trotz der vielstündigen Abwesenheit des Bewohners noch ein durchdringender Tabacksgeruch entgegen strömte. Vom Lehnstuhl, der an einem altfränkischen Schreibschranke stand, sprang ein krummbeiniger Dachshund und fuhr den Fremden mit heftigem Gebell an, wurde aber von seinem Herrn mit einem Fußtritt zur Ruhe gebracht und aus der Stube geworfen.

„Setzen Sie sich!“ sagte Siebeling und kehrte den Lehnstuhl nach dem Gaste. „Ohne Umstände! Eine Cigarre gefällig? Es spricht sich besser.“

Dießbach dankte und hatte seinen Entschluß gefaßt. Jetzt, wo dieser Herr Egelmann im Hause war und jedenfalls gleich nach seiner (Kuno’s) Entfernung den Inhalt seines Gesprächs mit dem Oberamtmann erfahren mußte, jetzt konnte Dießbach nicht besprechen, was ihn eigentlich hergeführt. Er hatte daher schon einen andern Grund gefunden.

„Sie werden es vielleicht von Ihrem Standpunkte aus nicht begreifen, wie ich zu der Anfrage komme, die ich Ihnen thun will,“ begann er. „Es verlautet in der Gegend, daß die alte Warte hier oben abgetragen, und ihre Quadern anderweitig als Baumaterial benutzt werden sollen. – ist das begründet?“

„Ja wohl, Herr von Dießbach. Es ist genehmigt worden.“

„Auf Ihren Vorschlag, Herr Oberamtmann?“

„Ja. sie wollten Anfangs nicht recht d’ran, aber endlich sahen sie doch ein, daß es vernünftig ist. Was soll das alte Krähennest oben stehen, das gar keinen Nutzen mehr hat?“

„Sie nehmen die Sache nur von der praktisch-ökonomischen Seite und darin mögen Sie Recht haben. Aber sie hat wohl noch eine andere. Es ist doch von Interesse, Denkmäler der Vorzeit zu erhalten, und abgesehen davon, verliert die ohnehin flache und reizlose Gegend dadurch einen Schmuck, der ihr Charakter verleiht, ein Merkmal, weithin sichtbar, einen Ruhepunkt für das Auge.“

„Einen Schmuck?“ wiederholte Siebeling, der nur das eine Wort herausgriff, da ihm sonst Alles ziemlich unverständlich war. „Nun, ich dächte, das alte viereckige graue Ding wäre häßlich genug.“

„Es würde allen Grundbesitzern, deren Familien schon von Alters her hier ansässig gewesen sind, gewiß sehr schmerzlich sein, wenn dies Monument einer gewaltigen Vorzeit vertilgt würde.“

„Ja, ja, aus einer Zeit der Gewalt mag’s sein. Ich habe mir sagen lassen, daß hier oben ein Raubritter gehaust, dessen Nest die Bürger abgebrannt haben – die Warte allein soll stehen geblieben sein. Nun begreife ich aber nicht, Herr von Dießbach, was die jetzigen Grundbesitzer – ?“

„Wir verständigen uns nicht, Herr Oberamtmann, wenigstens nicht von der ideellen Seite. Lassen Sie uns die materielle betrachten. Wenn nun die Bausteine, die Ihnen die Warte liefern kann, taxirt würden, und der Adel der Gegend zahlte Ihnen den Betrag?“

Siebeling lacht laut. „Davon ließe sich eher reden. Ich kann freilich nicht glauben, daß sie so – nehmen Sie mir’s nicht übel, was ich sagen wollte. Aber wenn Sie so viel Geld übrig haben, daß Sie es um nichts und wieder nichts wegwerfen können, so möchte sich die Sache vielleicht machen.“

„Ich werde mit Ihnen weiter Rücksprache darüber nehmen, sobald ich kann,“ sagte Dießbach aufstehend. „Bis dahin wird hoffentlich das Abtragen noch nicht angefangen werden.“

„O nein, vor nächstem Frühjahre baue ich nicht,“ erwiederte Siebeling.

„Unter Ihrem Vorgänger Stargau war auch schon einmal die Rede davon,“ warf Dießbach hin.

„O der!“ sagte Siebeling. „Der fing viel an und führte nichts aus. Nun hat er die Folgen.“

„Wie so? Wissen Sie etwas von ihm? Es geht ihm wohl schlecht?“ fragte Dießbach, die Handschuhe anziehend, im Tone jener Gleichgültigkeit, die nur fragt, ohne wirklichen Antheil zu fühlen.

„Kann nicht anders sein. Ich weiß gar nichts von ihm, er hat sich wohl ganz aus dem Staube gemacht. Verdenk’s ihm nicht; was soll er hier, wo er sonst die erste Violine in der ganzen Gegend gespielt, mit Vieren lang gefahren, ein halb Dutzend Oekonomen hinter sich, wenn er auf’s Feld ritt, immer offene Tafel und große Herren bei sich! Und nun ein Bettelmann – die Leute würden ihn nur auslachen.“

„Leben Sie wohl, Herr Oberamtmann. Auf Wiedersehen!“

Der Oberamtmann drückte ihm kräftig die Hand und verhieß ihm seinen baldigen Gegenbesuch.



VI.

Egelmann hatte es kaum erwarten können, bis sein alter Freund zur Familie zurückkehrte, die Eröffnungen, die er über Dießbach’s Familienverhältnisse zu machen hatte, drückten ihm fast das Herz ab, doch versparte er sie, weil er gern vor einem vollzähligen Auditorium vortrug, und begnügte sich nur mit allerlei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_552.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)