Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 42. | 1855. |
(Fortsetzung.)
„Sie sind’s?“ rief Kuno überrascht.
„Ja, leider! So kann’s einem armen Oekonomen gehen, wenn er Malheur hat. Herr Stargau ist nicht mehr hier, der würde sich meiner doch wieder angenommen haben. Wissen Sie vielleicht eine Condition für mich? Sie kennen mich doch auch?“
„Ich kenne Sie allerdings. Aber kommen Sie nach der Rinkenburg, das heißt nach Rinkleben, verstehen Sie? Nach dem Dorfe, dort erwarten Sie mich an Gasthofe.“
„Kann ich nicht hier auf Sie warten?“ entgegnete der Oekonom, „Ich habe mir die Füße durchgelaufen.“ Er zeigte seine zerrissenen Stiefeln.
„Mit mir fahren können Sie nicht,“ erwiederte Dießbach, die Stirn runzelnd.
„Na, so muß ich mich schon durchschlagen! Also beim alten Semmler, der lustige Wirth lebt doch noch?“
Dießbach machte eine unwillige Bewegung, die ihn deutlich gehen hieß.
„Recommando, Herr von Dießbach!“ sagte der zudringliche Mann und schwenkte nochmals seinen alten Filz, wobei ihm der Wind das dünne weißliche Haar von dem sonst kahlen Schädel strich. Dann ging er fort.
Das junge Mädchen hatte während des ganzen Gesprächs, von Kuno, der sie nicht kannte und für eine Dienende hielt, unbeachtet am Gitter gestanden. Als Kuno nun, auf die Schulter des abgesprungenen Knechts sich stützend, vom Wagen stieg, trat sie ihm entgegen und bat ihn mit einer gebildeten Stimme, näher zu treten, ihr Vater sei zwar nicht zu Hause, doch werde er jeden Augenblick erwartet.
„Verzeihen Sie, mein Fräulein,“ sagte Dießbach, indem er das junge Mädchen mit einer so rücksichtslosen Aufmerksamkeit betrachtete, daß sie vor ihm die Augen niederschlug.
Er folgte ihr dann in das Haus und Zimmer. Die Mutter war noch immer mit ihrer Toilette nicht fertig, und überließ getrost ihrer Tochter die Sorge, den Gast zu unterhalten. Dießbach wurde dadurch aber nicht so in Anspruch genommen, daß er die Einrichtung des Zimmers nicht hätte mustern können. Sie war reich genug, hatte Broncespiegel, Consolen von Marmor, Sopha und Sessel mit Plüsch überzogen, aber ein guter Geschmack in der Auswahl und Anordnung fehlte und die Polstermöbel sowohl, als der Kronleuchter waren mit Hüllen bedeckt, was wieder auf eine kleinliche Schonung deutete und von Kuno’s überstrenger Kritik gemein genannt wurde. Jetzt öffnete sich endlich die Thüre und die Frau Oberamtmann Siebeling rollte herein – wir können nicht anders von ihrem Gange sagen, denn sie war eine kleine, kugelrunde, ungemein bewegliche Frau. Ehe sie diese vollkommene Gestalt gewonnen hatte, mochte sie vielleicht ganz hübsch gewesen sein, ihre Gesichtszüge waren freundlich und hatten noch immer blühende Farben, die nur allzu leuchtend genannt werden mußten. Dem Gaste aus der Nachbarschaft zu Ehren, der ihr mit einer Visite zuvorkam, hatte sie sich in ein brillantes Kleid geworfen, und eine ganz neue Haube ausgesetzt, an welcher zum großen Schreck ihrer Tochter noch die Etikette aus dem Putzladen hing, die sie in der Eile vergessen hatte, abzuschneiden.
„Ich bitte sehr um Excuse, Herr Nachbar!“ redete sie den Gast an, dessen Figur sie mit einiger Verwunderung füllte. „Wo noch gar nichts eingerichtet ist, hat man alle Hände voll zu thun. Mein Mann wird sehr bedauern, daß er nicht schon seine schuldige Aufwartung bei Ihnen gemacht hat, wir sind ganz beschämt, Herr Baron, aber wir werden uns so bald als möglich die Ehre geben – darf ich nicht bitten? Agnes – ein Paar Weintrauben! Sie lieben doch Weintrauben? Wir haben prächtige frühe Sorten gefunden – gewiß haben Sie auch Wein auf der Rinkenburg, ich denke, die Lage muß gegen Mittag ganz schön sein – “
In dieser unhemmbaren Fluth plätscherten ihre Worte noch fort, während sie Platz genommen hatten, und dabei war sie so beweglich, daß sie trotz ihrer Fülle auf den kräftigen Springfedern des Sopha’s auf und nieder hüpfte, wie eine Marionette, und die verrätherische Firma mit dem Ladenpreise an ihrer Haube gleichfalls in tanzender Bewegung blieb. So ernst Kuno war, konnte er doch ein Lächeln nicht unterdrücken. Die Tochter hatte sich entfernt und kam erst nach einer geraumen Weile mit einer Fruchtschaale voll köstlicher Weintrauben zurück.
„Hast Du auch recht reife schneiden lassen, Agnes?“ rief die Mutter. „Langen Sie zu, Herr Baron – oder Ihnen lieber aussuchen, ich kenne die Sorten besser – hier diese! Sehen Sie, die hat der Fuchs geleckt und da sehen Sie auch schon Stiche von den Wespen – wie war doch Dein hübsches Verschen, Agnes? Die schlechtsten Weintrauben sind es nicht, die sich die Wespen aussuchen – oder so etwas?“
„Da kommt der Vater!“ rief Agnes, welche glühend erröthet war. Dießbach stand auf.
Durch den Thorweg rasselte im scharfen Trabe ein offener Wagen, mit zwei starken, schönen Braunen bespannt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_551.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)