Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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– verzeihe mir, Mama! – einen bloßen Spazierritt, höchstens bis Ballenstedt, vorgab.“
„Also diplomatische Aufträge, um sie nicht trivialer zu bezeichnen?“ frgte die Mutter lächelnd. Aber welch’ ein Lächeln war das! Hätte der Sohn in seiner Unbefangenheit nur Augen dafür gehabt!
„Recht, Mama. Gemeines Spioniren muß es genannt werden. Einem miserabeln bankerotten Oekonomen, wie ein Bluthund von San Domingo auf die Spur gesetzt, blos um ihn vielleicht lumpiger hundert Thaler wegen, die er ihm beim Kornschacher zu Dank schuldig geblieben, zu hetzen! Das ist gemein, empörend, und hätte ich das gestern gewußt, so würde ich eher meiner Kitty eine Kugel in’s Ohr gejagt haben, als nach Sanct Pankraz zu reiten.“
„Wen meinst Du eigentlich? Ich verstehe Dich nicht,“ sagte Frau von Dießbach und lüftete ihr Schnupftuch, aus welchem jener feine durchdringende Parfüm in stärkern Duftwogen strömte.
„Ich meine den ehemaligen Pachter Stargau,“ erwiederte Guido. „Nach ihm sollte ich Erkundigungen einziehen, wo er ein Ende genommen habe und was ich sonst über seine letzte Zeit in Sanct Pankraz in Erfahrung bringen könnte: ich glaubte, es wäre Theilnahme für den armen Mann, erst heut bin ich über die noblen Beweggründe meines Herrn Bruders aufgeklärt worden. Es ist schon nichts, daß ein Landedelmann Handel treiben muß, die Gesinnungen werden durch die ewige Geldspeculation verdorben.“
Frau von Dießbach nahm von dieser sonderbaren, aber ganz charakteristischen Ansicht keine Notiz, sondern sagte: „Wenn er Dir also doch Mittheilungen gemacht hat, worüber beklagst Du Dich denn?“ Ihr Ton klang einschmeichelnd, ihr Blick hatte etwas Lauerndes, sie wußte auf Guido immer ohne direkte Fragen zu wirken.
„Das interessirte mich am Wenigsten. Es thut mir leid, wenn Herr Stargau in’s Elend gerathen ist. Aber was geht es mich an? Ich wollte über die Eremitage und was sich dort zugetragen hat, Auskunft haben, über die ehemalige Kunstreiterin und ihre angebliche Tochter, die mir ähnlich sieht! Damit hat er mich schnöde abgewiesen – weißt Du, was er mir in den Bart geworfen hat? Du bist noch zu jung: dazu gehört nicht Porzellan, sondern Granit! Ich habe ihm aber meine Meinung über seinen geistreichen Vergleich gesagt!“
„Laß es gut sein, Guido. Du sollst Alles von mir erfahren. Kuno geht seine eigenen Wege und läßt sich nicht gern kreuzen. Natürlich hat er Dir über diese Wege nichts vertraut. – Aber er ist hart wie Granit – darin paßt sein Vergleich vollkommen. Gewiß ist er schon auf dem Wege nach dem Thale.“
„Das glaube ich nicht, Mama. Ihm scheint vor Allem sein Geld am Herzen zu liegen, womit ihm der Domainenpachter durchgegangen ist. Erst, glaube ich, will er sich nach dem erkundigen, wenigstens fragte er mich, wo ich gestern den Schäfer von Sanct Pankraz mit seiner Heerde getroffen, den ehrbaren Herrn Glupsch.“
„Den hast Du getroffen?“ rief Frau von Dießbach lebhaft – gedankenvoll setzte sie hinzu: „Das ist ein treuer Mensch.“
„Kennst Du ihn auch?“ fragte Guido. „Er sagte, daß er Dich kennt.“
Die Mutter sah eine Weile vor sich hin, dann blickte sie auf: „Hast Du schon etwas genossen, mein Sohn?“
„Wie wo, Mama? Ich rechne allerdings stark noch auf einige beaux restes von Eurem Diner, das ich leider versäumt habe. Die Dame vom Circus hat mich eben nicht üppig bewirthet.“
„Kannst Du Dich heut einmal mit einem Soldatenimbiß aus der Hand begnügen, wenn Deine Mutter Dich um Deine Gesellschaft bei einem Spaziergange bittet? Wenn Du es aber nicht gern thust und angegriffen bist –“
„Angegriffen, ich!“ rief Guido. „Ich bin Soldat, meine Herzensmama, und wär’ ich auch hungrig und müde zum Ausblasen, für Dich meinen letzten Athemzug, Mama!“
Die Mutter stand auf und schloß ihn zärtlich in ihre Arme. „Ich weiß es, Du bist mein gutes Kind und wirst mich niemals verlassen.“
„Mama!“ rief der Sohn, von dem Momente hingerissen. „Ich sehe, wie Du mit Kuno stehest. Warum bleibst Du hier? Warum ziehst Du nicht in meine Garnison, sie ist im Winter todt, man sieht dann nichts, als Schnee und Soldaten, aber im Sommer ist es dort um so reizender, und ich würde Dich auf den Händen tragen.“
„Das bin ich überzeugt,“ sagte sie. „Aber sprechen wir jetzt nicht davon. Ich gehe, für unsern Spaziergang und Deinen Appetit zu sorgen.“
„Und unterwegs erzählst Du mir vielleicht?“ – fragte Guido. Sie nickte ihm zu und ging hinaus.
Kuno hatte in der That seinen kaum ausgespannten Harttraber, den er vor der kleinen Kalesche immer selbst fuhr, wieder aufschirren lassen und nahm eben die Zügel aus der Hand des Knechts, als seine Mutter aus dem Fenster der Speisekammer nach ihm blickte. Ihre Lippen bewegten sich zu unhörbaren Worten: ein Segensspruch war es nach dem Ausdruck ihrer Mienen nicht.
Er fuhr wirklich über das freie Land in der Richtung nach der Stadt, lenkte aber bald in Feldwege, die ihn endlich zu der sich aus der Ebene erhebenden Hügelgruppe führten, an deren Fuß die stattlichen Gebäude des ehemaligen Klosters Sanct Pancratii lagen. Der hellste Sonnenschein verklärte sie und wob einen goldenen Schimmer um die graue viereckige Warte auf der Höhe, fliegende Herbstfäden wehten von jedem Baume der Ebereschenallee, in deren Zweigen viel Geflatter von Vögeln war. Kuno spähte mit scharfem Auge rings über die Flur nach der Heerde, deren Schäfer er gern gesprochen hätte, aber sie war nirgends zu erblicken und weidete wohl heut auf einer andern Trift. So verfolgte Dießbach denn den Weg nach Sanct Pankraz. Vor dem Thore der geschlossenen Umfassungsmauer hielt er still: „Steig ab, melde mich beim Oberamtmann an,“ befahl der dem Knechte, der hinter ihm saß. Dieser gehorchte, und blieb ungewöhnlich lange aus, doch wartete sein Herr, ohne das geringste Zeichen von Ungeduld zu verrathen.
„Der Herr Oberamtmann ist nicht zu Hause,“ klang endlich der Bescheid, „aber der Frau Oberamtmann wird es eine große Ehre sein.“
„Der Frau habe ich nicht gemeldet sein wollen,“ sagte Dießbach schroff und zog die Zügel an, um wieder umzukehren.
„Sie zieht sich expreß Ihretwegen an, gnädiger Herr“ – wandte der Knecht ein.
„Steig auf!“ befahl Dießbach, gab aber doch seinen unhöflichen Entschluß auf und fuhr in den Hof ein.
Wie anders sah es hier aus, als auf seiner eigenen Rinkenburg! Welch’ ein weiter Hofraum war von massiven, mit wahrer Verschwendung ausgestatteten Wirthschaftsgebäuden umschlossen, welch’ ein Schatz, den nur ein Landwirth zu würdigen verstand, lag vor den Ställen aufgethürmt – wir zagen, unsern feinen Leserinnen, die nicht vom Lande sind, zu sagen, aus welchem Stoff dieser Schatz bestand! Hoch mit Stroh bedeckt war ein anderer Theil des Hofraum, wo die reich gefüllten Scheunen lagen, und noch stand draußen ein wahres Feldlager von Fruchtschobern, weil die Scheunen den Segen nicht fassen konnten; in der Mitte des Hofes ragte ein runder großer Thurm mit vielen Mauerlücken und geblendeten Fenstern, auch etagenweisen Thüren, und seine Bewohner – viele Hunderte an der Zahl, aus allen Gattungen des Hausgeflügels – flatterten, liefen, pickten und lärmten, wie ihnen der Schnabel gewachsen war, auf dem Hofe umher. Hier war Reichthum und Fülle, die nicht ängstlich um jedes Korn, um jeden Halm zu sorgen braucht! Was mußte ein armer Oekonom aus dürftiger von der Natur ausgestatteten Gegend, wo man eine spärliche Nadelstreu in den Kiefernwäldern zusammenkratzt und dem magern Boden doch nicht zu Hülfe kommen kann, fühlen, wenn er einen solchen Hof betrat! Ein solcher schien der Mann im fadenscheinigen Rocke zu sein, der eben von einem jungen Mädchen mit einer Gabe bedacht wurde, als Kuno von Dießbach an dem eisernen Gitter vorfuhr, welches den Bezirk des Wohnhauses mit seinen Gartenanlagen von dem Hofe trennte. Er zog einen zerknitterten Hut, der fremde Mann, vor dem Mädchen, bedankte sich und fragte, so daß es Kuno hören konnte: „Also eine Condition für mich wissen Sie nicht? Ich habe die Oekonomie gründlich gelernt!“ Es klang wie eine Selbstironie, wenn man seine elende Erscheinung dabei betrachtete. Kuno’s Blick streifte über den Mann, während das junge Mädchen ihm eine bedauernde Antwort gab. Der Mann aber schwenkte den Hut auch vor Kuno: „Gehorsamster Diener, Herr von Dießbach.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_542.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)