Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Wo war das?“ rief Kuno, rasch einen Schritt näher tretend, während sein dunkles Gesicht sich noch dunkler gefärbt hatte. Die Mutter heftete ihre Augen so fest auf Guido, daß ihr Blick ihm peinlich wurde, aber sie fragte nichts, sondern schien seine Erklärung, als sich von selbst verstehend, zu erwarten.
„Ja, wo war das? Weiß ich’s? In einem namenlosen Thale, hoch oben im Gebirge, zwischen Tannen und grauen Felsen, in einem alten verwitterten Hause, bei einer eben so alten verwitterten Hexe, die sich für ihre Mutter ausgab – vier, sechs Stunden vielleicht von hier, wer kann es messen!“
Kuno hatte ihm aufmerksam zugehört, doch kein Zug seines strengen Gesichts verrieth, was in ihm dabei vorging.
„Wie kamst Du dahin?“ fragte er. Die Mutter äußerte noch immer kein Wort, sondern setzte sich auf einen Lehnstuhl„ wo sie einen Moment ihre geradeauf gerichtete Haltung aufgab und sich zurücklegte, aber so wie Guido zu sprechen anfing, setzte sie sich wieder aufrecht und sah ihn starr an.
Guido berichtete nun sein ganzes Abenteuer, wobei er den Umstand, daß er sich verirrt hatte, nach Kräften zu verschleiern suchte, er hatte sich keine Mühe zu geben brauchen, seine Zuhörer legten auf ganz andere Dinge seiner Erzählung, und nur auf diese, Werth. Auch unterbrachen sie ihn nicht, und erst, als er geendigt hatte, trat Kuno zur Mutter, blickte ihr voll in das Gesicht und fragte. „So viel ich errathen kann, muß Guido in der Eremitage gewesen sein! Meinst Du nicht auch?“
„Ich glaube es fast,“ sagte Frau von Dießbach kalt.
„Und die alte Frau, welche er dort getroffen hat, kann niemand Anderes sein, als Deine Nina, die gewesene Kunstreiterin.“
Guido lachte fröhlich auf, er hatte nun auf einmal eine Fülle von Aufklärungen. „Ganz entschieden!“ rief er. „Sie würde noch heut, freilich als horrible Schönheit, im Circus von Renz oder Loisset Furore machen, ich sehe sie durch vierzig Reifen springen, wie das Wunderkind Ella, ohne, wie diese, in einem Abende sechs Mal vom Pferde zu fallen! Also die Eremitage heißt das romantische Haus – nun, eine Zeit lang kann es sich ein Eremit dort schon gefallen lassen, wenn er von der hübschen Blondine bedient wird, die ich nächstens auch im Circus den Fußstapfen ihrer Pseudo-Mama folgen zu sehen hoffe!“
„Hör’ auf zu witzeln, ich bitte Dich!“ sagte Kuno, aus dessen finster zusammengezogenen Brauen schwere Wolken lasteten, und sich wieder zu der Mutter wendend: „Was meinst Du, kann es eine Andere sein, als Deine schwarze Nina?“
„Ich weiß es nicht, aber es ist wohl möglich,“ antwortete Frau von Dießbach.
„Möglich?“ rief Kuno wild, aber er mäßigte seinen Ton gleich wieder, als er seitwärts blickend des Bruders Verwunderung bemerkte. „Ich frage, wie ist es aber möglich, da die Eremitage doch verschlossen, ihr Schlüssel von meinen eigenen Händen in den Bodekessel geworfen und die Thüre vermauert worden ist? Wie kann das Weib eigenmächtig sich dort einnisten und eine förmliche Wirthschaft halten, da die Stätte doch ewiger Verlassenheit übergeben wurde?“
„Ich weiß es nicht,“ antwortete Frau von Dießbach mit eisiger Ruhe. „Es muß untersucht werden!“
„Das soll es!“ rief Kuno drohend, und seine Stirn wurde finster, wie die Nacht. „Ich bin seit langen Jahren nicht dort gewesen, man rechnete wohl darauf, daß ich jene Stätte nicht mehr betreten würde. Wäre ich doch nur ein einzig Mal hingekommen!“
„Deine Schuld!“ sagte die Mutter.
„Die Schuld?“ – rief Kuno mit einem heißen Athemzuge. „Nun,“ fuhr er gefaßter fort, „wir werden ja sehen. Wenn das Weib also nicht mit Deiner Bewilligung dort wohnt, sie hat doch Deine Erlaubniß nicht?“
„Meine Erlaubniß hat sie nicht, hätte ihr auch nichts helfen können, denn mir gehört der Grund und Boden nicht, Du bist der Gutsherr.“
„Das bin ich!“ versetzte Kuno, kreuzte die Arme über der breiten Brust, als wolle er die hochgehenden Wogen, welche sie aufschwellten, niederdrücken und trat wieder an den Kamin zurück.
Für Guido war die Scene ein unerklärbares Räthsel, er hatte nur einen stummen, staunenden Zeugen abgegeben. Daß zwischen der Mutter und Kuno, seinem Stiefbruder, kein gutes Verhältniß Statt fand, wußte er längst, aus manchem Zeichen. Aber so deutlich, wie heut, war ihre Spannung noch nicht hervorgetreten. Was mochte die Ursache sein? Gewiß nur Kuno’s schroffer Charakter, der auch der Mutter die schuldige Rücksicht versagte! Dann aber, welchen Zusammenhang hatten diese Anspielungen auf Verhältnisse früherer Zeit, von denen er auch nicht einmal eine Ahnung besaß? Hatte er, als Sohn des Hauses nicht ein Recht, hier Erklärungen zu fordern?“
„Sage mir, Mama,“ fing er an, „was hat es mit dieser Eremitage für eine Bewandtniß? Hat sich dort irgend etwas Schreckliches zugetragen, daß sie vermauert und ihr Schlüssel, wie der von Ugolino’s Hungerthurm, in den Strom geworfen worden ist? Ich hätte das in tiefer Einsamkeit gelegene Haus nicht für eine Stätte des Grauens, sondern eher für ein Asyl verborgener, beglückter Liebe gehalten.“
Kuno verließ in diesem Augenblicke, ohne ein Wort zu sagen, das Zimmer, und Frau von Dießbach stand so heftig auf, daß der Lehnstuhl eine Strecke zurückrollte. Aber kein Blick, keine Miene verrieth eine innere Bewegung, und der fein aufgetragene Carmin ihrer Wangen verdeckte jeden Wechsel der Farbe.
„Guido, geh’ Deinem Bruder nach,“ sagte sie. „Vielleicht habe ich ihn gereizt, er ist eine vulkanische Natur und kann meine Ruhe, die ich ihm entgegensetze, nicht immer ertragen. Frage ihn aber nicht über das, was wir eben besprochen haben – er würde Dir doch aus guten Gründen nicht Rede stehen – von mir, mein Kind, sollst Du erfahren, was Du wissen willst. Sieh zu, was er unternimmt, ich glaube, er will das arme Weib, das dort ein Obdach gefunden hat, vertreiben – darnach frage ihn geradezu – und sage mir, was er Dir antwortet. Aber laß ihn nicht merken, daß ich Dir den Auftrag gegeben habe. Ich schenke Dir mein Vertrauen und verlasse mich ganz auf Dich.“
Frau von Dießbach war nun allein. Sie stand unbeweglich auf der Stelle, wo sie Guido entlassen hatte; ihr Auge sah in das Leere, ihre Arme hingen schlaff herab, doch das Haupt trug sie aufrecht, und nur ein leises Zucken ihrer feinen Lippen bekundete, daß sie im Innern nicht so unbewegt war, als ihr versteinertes Aeußere erschien. So stand sie wohl eine Viertelstunde und es war ihre Gewohnheit so, wenn sie ihren Gedanken nachhing. Ihre Sinne mußten aber dabei doch nicht ganz der Außenwelt verschlossen sein, denn das leiseste und fernste Geräusch ging ihr nicht verloren: es war, als sei ihr Gehör stets auf der Hut, um sich nicht in solchen Momenten von einem unberufenen Zeugen überraschen zu lassen.
Auch jetzt hörte sie ihres zurückkehrenden Sohnes raschen und elastischen Schritt, noch ehe er vom Hofe aus die Schwelle des Hauses betreten hatte, und sie setzte sich ruhig auf ihren gewohnten Platz am Fenster und nahm die Stickerei auf, an der sie gewöhnlich arbeitete. Als Guido eintrat, sah sie gleichmüthig aus. „Du bist erregt, mein Kind?“ fragte sie. „Kuno ist doch nicht unfreundlich gegen Dich gewesen?“
„Im Gegentheil! Ich gegen ihn! Wenn Du mich Dein Kind nennst, Mama, so machst Du mich glücklich, denn ich weiß Deine Liebe zu verstehen, aber wenn ein Anderer – und wär’s mein Bruder, der zwanzig Jahre älter ist, als ich! – sich herausnimmt mich wie ein Kind zu behandeln, so zeige ich ihm, daß ich für ihn und alle Welt kein Kind mehr bin!“
„Ich bitte Dich, Guido!“
„Nein, Mama. Ich bin Kuno sehr gut und achte seinen entschiedenen, männlichen Charakter, thue ihm auch zu Gefallen, was in meinen Kräften steht, aber wenn er mich blos als sein Werkzeug, als eine Maschine betrachtet, die blind und taub seinen Plänen dienen soll, ohne nur das Recht zu erhalten, einmal darnach zu fragen, so weise ich Arroganz mit gleicher Waffe zurück und erkläre mich, durch nichts mehr gebunden, zum freien Herrn meines Willens und – meiner Zunge.“
„Hat er Dich als ein solches Werkzeug gebrauchen wollen, mein armer Guido?“ fragte die Mutter sanft.
„Ja, Mama. Und ich würde nicht eine Silbe davon sagen, aber er hat mich selbst provocirt, mich mit einer wahrhaft dämonischen Laune geradezu aufgefordert, Dir zu erzählen, was ich ihm gestern in Sanct Pankraz auskundschaften sollte, während ich Dir
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_541.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)