Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Sage mir in aller Welt,“ fragte der unterdessen herangekommene ältere Bruder, „wo hast Du Dich umher getrieben? Ich war eben im Begriff, nach Dir Erkundigungen einzuziehen.“
„Mich als Deserteur mit Steckbriefen zu verfolgen, nicht wahr?“ erwiederte Guido lachend. „Komm, ich werde Dir genauen Rapport abstatten. – Friedrich!“ Der Husar steckte den Kopf aus der Stallthüre. „Nimm Dich in Acht, die Pistolen sind noch geladen.“
„Hast du in unserer friedlichen Gegend Pistolen mitgenommen?“ fragte Kuno mit einem gewissen Lächeln, das den jüngern zuweilen erröthen ließ, zuweilen aber auch in Harnisch jagte, wie jetzt.
„Wir sind gewohnt, Waffen zu tragen,“ erwiederte er pikirt.
Sie waren in das Wohnzimmer getreten, wo das Kaminfeuer flackerte. Cuno stellte sich seiner Gewohnheit nach mit den Händen auf dem Rücken vor die wärmende Gluth, und erwartete ohne weitere Aufforderung Guido’s Bericht. Man konnte keinen größern Contrast sehen, als dies in jeder Beziehung ungleiche Brüderpaar. Guido war nicht groß, aber schlank und sehr proportionirt gewachsen, von zartem, fast mädchenhaftem Teint und feinen Zügen; schönes, blondes Haar, dessen natürliches Gelock kaum von den Scheeren des ersten Haarschneidesalons der Residenz zu der glatten und kurzen Form, sie sie die Mode der vornehmen Welt und der Dienst vorschrieb, gebändigt werden konnte, umzog eine hohe Stirn und milchweiße Schläfe, durch deren Haut die blauen Adern schimmerten; auf der etwas übermüthig aufgeworfenen Oberlippe kräuselte sich der erste noch unentweihte Flaum, und die Hände und Füße, von untadelhaft aristokratischer Form, vollendeten die anziehende Erscheinung, deren einziger Fehler, daß sie nicht männlich genannt werden konnte, sich ja mit jedem zurückgelegten Jahre verbessern mußte. Kuno dagegen war hoch und massiv gebaut, eine seiner breiten Schultern offenbar stärker ausgebildet, als die andere, so daß er von strengen Schönheitsrichtern wohl bucklig genannt werden konnte; rabenschwarzes Haar, mit auffallender Nachlässigkeit behandelt, hing in reichen und glänzenden Strähnen, wie sie eben fielen, um einen Kopf, dessen ausdrucksvolle Physiognomie Jeden überraschen mußte, der Kuno von Dießbach zum ersten Male begegnete. Das Gesicht war dunkel gefärbt, wie es in dieser nordischen Gegend selten zu finden ist; es hatte keine schönen Züge, aber diese waren fesselnd, dabei markig ausgeprägt und gewöhnlich tief ernst, ohne jedoch finster zu sein. Schwarze Augen, in denen ein verhülltes Feuer glimmte, das aber gelegentlich auch in flammende Gluten auflodern konnte, erhöhte den eigenthümlichen Eindruck, welchen dies Antlitz machte; in diesen Augen, deren Blick die Kraft hatte, jedes fremde Auge auf sich zu ziehen und zu bannen, aber auch zu Boden zu drücken, wenn sie wollten, schien ein Räthsel zu liegen, dessen Lösung wohl keine erfreuliche war.
Jetzt hatten sie sich auch fest auf den Bruder gerichtet, der ihrer bis jetzt unbestrittenen Autorität sich beugte und seinen Bericht mit der Nachricht begann, die er von dem Schäfer aus Sanct Pankraz eingezogen hatte, nämlich daß der neue Oberamtmann, welcher Siebel oder Wiebelich hieß, mit Sack und Pack eingezogen und also jedenfalls, wie Kuno wissen wollte, alle Tage zu sprechen sei, daß aber kein Mensch wissen, wohin sich Stargau begeben habe, der übrigens ja schon viele Jahre fort sei.
Kuno hatte ihn ruhig angehört und nur bei den letzten Worten einen stärkern Rauch aus seiner Cigarre gezogen.
„Du hast Dich mit dieser Schäfernachricht begnügt?“ fragte er jetzt. „Bist nicht auf den Hof geritten?“
„Aufrichtig gesagt, Kuno, ich wußte nicht recht, wie ich meiner Nachfrage einen rechten Grund geben sollte. Was geht mich dieser Herr Stargau an?“
Kuno erwiederte nichts, sondern drehte sich um, warf den Rest seiner Cigarre in das Feuer, schürte und schlug dasselbe mit dem Poker, daß die Funken spritzten, und nahm dann seine frühere Stellung wieder ein.
„Er ist Dir wohl mit einer Schuld durchgebrannt?“ fragte Guido.
„Ja!“ antwortete Kuno kurz.
„Viel?“ fragte Guido.
„Mehr, als Du ahnst!“ sagte der Aeltere mit einer ganz eigenen Betonung, die nur dem unbefangenen Bruder verloren ging.
„Das ist ja fatal. Von einem Kornhandel wohl?“
„Frage nach dem Handel nicht, niemals, Guido! Nun sage weiter, warum bist Du nicht nach Hause gekommen?“
„Mama hat sich wohl um mich geängstigt?“ war Guido’s Gegenfrage.
„Ich weiß es nicht, sie war krank,“ sagte der Aeltere.
„Mein Gott, sie ist wohl noch krank?“ rief Guido besorgt.
Die Antwort wurde Kuno erspart, denn die Mutter trat selbst in demselben Momente ein. Sie war eine große, etwas magere Dame von kerzengerader Haltung. Ihr Gesicht mußte einst wunderschön gewesen sein, man konnte dessen Züge, wenn sie auch ein wenig scharf geworden waren, noch immer interessant finden, und Frau von Dießbach, wie sie gar kein Hehl hatte, kam dem günstigen Eindrucke mit allen Künsten der Toilette entgegen; sie legte mit feinster Geschicklichkeit Weiß und Roth auf und unter der geschmackvollen Haube trug sie einen tief schwarzen künstlichen Haarscheitel. Als sie eintrat, verbreitete sie wieder den ganz eigenthümlichen Parfüm, den man stets an ihr kannte. Sie bereitete ihn selbst und war sehr eifersüchtig auf ihr Geheimniß, denn sie hatte selbst auf direkte Bitten ihrer genauesten Bekannten weder das Recept mitgetheilt, noch überhaupt jemals auch nur einen Tropfen dieser duftenden Essenz in ein fremdes Taschentuch gespendet. Ob dieselbe recht angenehme sein, darüber waren die Meinungen getheilt, sie hatte einen besondern Wohlgeruch, aber für zartere Nerven schien sie auf die Dauer angreifend zu sein. – Ein Kleid vom schwersten schwarzen Seidenstoff, wie sie es auch im Hause trug, vom anerkannt ersten Modisten der Hauptstadt gefertigt, floß in gefälligen Falten um die hohe Gestalt und gab ihr ein würdiges Ansehen, blendend weiße Manschetten und ein gestickter Kragen waren ihr einziger Schmuck, sie trug weder Broche noch Armband und keinen Ring an ihren feinen, schlanken Fingern. So machte die ganze Erscheinung einen durchaus vortheilhaften Eindruck, der nur durch den starren Blick ihrer Augen zuweilen beeinträchtigt wurde.
Als sie ihren Liebling bemerkte, milderte sich wie immer dieser starre Blick und sie rief ihm schon von der Thüre zu:
„Nun, Guido, sage mir, wo bist Du umhergeschwärmt?“
„Ja, Mama, solchen Vorwurf verdient man sich, wenn man allzu solide ist. – Ich habe Dich verwöhnt.“
„Ei, Du selbst verwöhntes Kind, ich will Dir Deine junge Freiheit auch gar nicht beschränken. – Guten Morgen, Kuno. Wir haben uns heut noch nicht gesehen.“
Es lag ein Vorwurf ganz anderer Art in dieser Bemerkung. Kuno nahm ihn auf und erwiederte, daß er seinen Gruß und die Frage nach ihrem Befinden noch nicht habe anbringen können.
„Mir ist wieder ganz wohl,“ sagte sie leicht. „Du brauchst mich nicht so besorgt anzublicken, Guido, Du weißt, daß ein Unwohlsein immer sehr schnell an mir vorüber geht.“
„Ja, Du bist Dein eigener Arzt und hast Deine Geheimmittel, Mama. Nimm Dich in Acht, daß Du nicht einmal wegen unbefugten Prakticirens belangt wirst.“
Der Blick der Mutter nahm während der Rede wieder jenen starren Ausdruck an, der ihn für Fremde, die ihn nicht gewohnt waren, unheimlich machen konnte. Ihre Söhne waren aber längst damit vertraut und wußten, daß sie dann von andern Gedanken befangen wurde, die sie in Anspruch nahmen und nicht recht auf das hören ließen, was man zu ihr sprach. Diesmal schien letzteres jedoch nicht der Fall zu sein.
„Ich rathe Dir, ein Glas Ungarwein zu trinken, denn Du siehst übernächtig und angegriffen aus,“ sagte sie.
Guido eilte vor den Spiegel. Er fand die Beschuldigung einigermaßen bestätigt, schob die Schuld aber auf sein abenteuerliches Nachtquartier, wo er die einfachsten[WS 1] Toilettegegenstände habe entbehren müssen. Während er sprach und sich noch immer mit Aufmerksamkeit betrachtete, stockte auf einmal seine Rede, er blickte sich überrascht um, sah wieder scharf in den Spiegel und rief endlich: „Auf meine Ehre! Aber das ist das merkwürdigste Spiel der Natur, das je erlebt worden ist. Denkt Euch, ich habe heute früh ein Mädchen gesehen, das mir so wunderbar bekannt vorkam, und jetzt erst – unbegreiflicher Weise! – wie ich vor den Spiegel trete, fällt es mir auf einmal wie Schuppen von den Augen, als ob ich meine eigene Visage ganz vergessen hätte. Sie sieht mir ähnlich – aber so frappant, daß Ihr gar keinen Begriff davon habt. Steckt die Blondine in den Husaren-Attila oder mich in ihren schwarzweißen Ueberwurf, so sind die Zwillinge fertig!“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: einfachste
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_540.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)