Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 41. | 1855. |
(Fortsetzung.)
„Vielleicht der Herr Gemahl?“ fragte er, als der Mann im blauen Kittel sich entfernte.
Die Frau warf den Kopf etwas zurück, als beleidige sie diese Frage, und verneinte sie. „Gieb her, Fritzen sagte sie zu dem Kleinen, der den Fremden mit großen, runden Augen anstierte. Sie nahm ihm die Zügel aus der Hand, faßte in’s Backenstück und zum Steigbügel und ließ die Halbblutstute zum Erstaunen ihres Herrn sogar strecken.
„Sie haben einen hippologischen Cursus durchgemacht!“ rief er. „Zu Deutsch, Sie sind bei einem Stallmeister in die Schule gegangen.“
„Sitzen Sie nur auf!“ lächelte die Frau. Er wollte ihr für Nachtquartier und Bewirthung ein reichliches Geschenk aufbringen, aber sie lehnte es entschieden ab, und er warf sich denn in den Sattel.
„Auf Wiedersehen!“ sagte er. Die Alte schüttelte den Kopf, und wandte sich zu dem kleinen Führer, dem sie noch rasch einige heimliche Instruktionen gab.
Als Guido den Thorweg passirt hatte, hörte er ihn hinter sich verriegeln.
„Wo hinaus, Kerl?“ rief er den kleinen Mann in der Pelzmütze an.
Der Knabe zeigte thalauf. „Nach der Rinkenburg, Du weißt doch?“ fragte Guido verwundert, denn so viel Erdkunde hatte er doch noch gerettet, um zu wissen, daß die Thäler sich zu dem ebenen Lande senken, und daß sein heimathliches Schloß vor dem Gebirge lag. Aber der Knabe nickte und lief mit großer Sicherheit voraus, er mußte ihm also schon folgen. Ein gebahnter Weg war es nicht, der ihn aus dem namenlosen Thale wieder zu höhern Stufen des Gebirges führte, aber hier und da zeigten sich Pfadspuren, ob vom Wilde oder von Menschen, wer konnte das wissen? Der kleine Bote verstand es, dem Pferde an steilen Parthieen einen bequemen Aufgang im Zickzack auszusuchen und die erste Terrasse war gewonnen. Dießbach wandte sich noch einmal im Sattel um, aber er konnte das einsame Haus, das schon von der Bergmasse verdeckt war, nicht mehr sehen, und welche Fragen er auch an den Knaben richtete, wurde ihm doch nur eine einzige befriedigend beantwortet, nämlich daß er Fritze heiße und der Mann im blauen Kittel, der ihm die Pelzmütze aufgesetzt, sein Vater sei. Ueber das blonde Mädchen geberdete er sich so albern, als ob man von einem Gespenst mit ihm rede; er starrte Guido mit allen Zeichen der Furcht an, und schüttelte zu alten Fragen, ob sie wirklich die Tochter der Alten sei, wie sie heiße, ob sie heut ausgegangen sei, nur immer konsequent den Kopf. Seine Frage, wie weit noch? wußte er niemals zu beantworten; noch immer zeigte sich keine gebahnte Straße, nur gelegentlich ein quer über den seinigen laufender Fußsteig und in fernen Gründen, zu denen sein Blick zufällig von einer höhern Kuppe blicken konnte, zuweilen ein Dorf mit seinen grauen Dächern. Endlich öffnete sich überraschend zu seinen Füßen ein breites Felsenthal, von einem wasserreichen, über Klippen schäumenden Waldstrome durchbraust, unten lag ein Hüttenwerk mit rothen Dächern, weiter hinaus ein weitläufiges Dorf mit ansehnlichen Häusern.
„Das ist Thale!“ rief er. Der Knabe zog seine Pelzmütze von dem störrigen Flachshaare und zeigte auf einen Fahrweg, der wenige Schritt von ihnen sichtbar wurde.
„Gut!“ sagte Dießbach zufrieden. „Jetzt weiß ich meine Straße zu finden. Hier, mein Kobold, nimm diese königliche Belohnung, und wenn Du Dir noch diesen Thaler verdienen willst, so sagst Du mir, wie die alte Frau bei Dir zu Hause und ihre Tochter heißt, und ob Euer Thal wirklich keinen Namen hat.“
Der Kleine nahm das zuerst ihm gebotene Geschenk, auf das er gerechte Ansprüche hatte, der Versuchung des zweiten, das ihn zum Bruch ausdrücklich eingeschärfter Befehle verlocken wollte entrann er durch eilige Flucht indem er in das nächste Gebüsch sprang und mit der Schnelligkeit einer wilden Katze die steile Felswand erkletterte, die offenbar nach dem „Hexentanzplatz“ führte. Guido war jetzt vollkommen orientirt, jenseits auf den Felsen lag der allgemein bekannte „Roßtrapp“, die Hufspur der Prinzessin Brunhild, als sie zu Roß das Bodethal übersprungen und ihr dabei die goldene Krone entfallen, welche noch im Bett des kochenden Waldstromes ruht.
Es war schon Hochmittag, als er in die Rinkenburg einritt.
Hier traf er zuerst auf Kuno, der im Begriff stand, den kleinen Kaleschwagen, mit welchem er gewöhnlich ausfuhr, zu besteigen Er zog aber, so wie er den einreitenden Bruder bemerkte, den Fuß vom Wagentritt zurück, befahl dem Kutscher, auszuspannen und ging Guido langsam entgegen, denn er hinkte und zwar schon seit früher Jugend.
„Friedrich!“ rief Guido mit lauter Stimme. Sein Husar stürzte aus dem Stalle, ihm das Pferd abzunehmen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_539.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)