Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 40. | 1855. |
Es war ein unfreundlicher Herbstabend. Der Wind strich rauh und feucht über die Stoppeln, wo eine Schafheerde, weidend und von dem Hunde zusammengehalten, ihrem langen Hirten heimwärts folgte, der den Strickstrumpf schon eingesteckt und den Pelz, welchen er frühzeitig hervorgeholt, um den hagern Leib geschlagen hatte. Die Berge lagen in grauen Nebel verhüllt, welcher auch die spitzen Schieferthürme der nahen Stadt kaum noch unterscheiden ließ. Dorthin ging aber der Weg des Schäfers nicht, sondern nach einer Gruppe von stattlichen Gebäuden, welche ein umfangreiches Gehöft bildeten, das in einer Senkung, durch sanft aufsteigende Hügel gegen die Nord- und Ostwinde geschützt, lag. Es war ein ehemaliges Kloster, jetzt eine landesherrliche Domäne, deren geräumiges und bequemes Wohnhaus mit den hellen Fenstern, in denen soeben die rothen Lichter der untergehenden Sonne brannten, keinem Menschen mehr die frühe Bestimmung der Stätte ahnen ließ. Nur auf der Höhe, welche das Gehöft überragte, stand noch eine viereckige graue Warte aus unverwüstlichen Quadern gefügt, der Rest der alten Burg, deren Besitzer einst das Kloster gestiftet und beschirmt hatten.
Die Sonne war untergegangen; ferne Abendglocken mischten ihre feierlichen Klänge mit den leisern und unregelmäßigen des Heerdengeläuts, sonst war Alles still auf der Flur, selbst der Wind eine Zeit lang verstummt, als wolle er die Andacht nicht stören. Der Schäfer hatte den Hut abgenommen und sprach sein kurzes Abendgebet mechanisch, ohne sich viel dabei zu denken, vor ihm saß der Hund und sah ihn mit gespitzten Ohren an. Als der hagere Mann sich darauf die grauen Haare mit dem runden Kamme zurückgekämmt und den Hut wieder aufgesetzt hatte, sprang der Hund auf einmal zur Seite und fing mit eingezogenen Schweife an zu knurren. Von der Ebereschen-Allee, deren rothe Beerentrauben jetzt den einzigen Schmuck der farblosen Gegend bildeten, kam ein Reiter querfeldein gesprengt, gerade auf die Schafheerde zu, welche aufgescheucht eiligst in einen gedrängten Knäuel zusammenlief.
Der Schäfer sah zornig dem Reiter entgegen, den der Hund jetzt mit Gebell anfiel; der Alte ließ seinen Pelz auseinander fahren und stützte sich auf seinen langen, mit Eisen beschlagenen Hirtenstab, er war in seinem Recht und, wenn auch ein Schäfer, denen man sonst wegen ihres Umganges mit der sanftmüthigen Kreatur eine gewisse Weichheit, ja Feigheit vorwirft, gehörte er doch zu den echten Söhnen der hiesigen Landschaft, die ein gar hartes und trotziges Geschlecht sind.
„Ruft Euern Hund an!“ rief der Fremde, dessen Pferd vor dem Köter, der ihn hitzig mit gesträubtem Haar umtobte, schon ein Paar gefährliche Seitensprünge gemacht hatte.
„Der Hund thut seine Schuldigkeit,“ versetzte der Schäfer, ohne sich zu rühren.
„So schieße ich die Bestie nieder!“ rief der Fremde und riß, wie der Alte trotz der eingebrochenen Dämmerung deutlich sah, ein Pistol aus der Sattelholster. Ihm klopfte das Herz, denn er liebte den „Lustig“ wie seinen Sohn, aber er konnte es nicht über sich gewinnen, der Gewalt, die ihn bedrohte, nachzugeben. Zum Glück besann sich aber der Fremde eines Bessern, denn er hatte sein Pferd schon gezügelt und vollkommen wieder in seiner Gewalt, ein paar kräftige Spornstöße trieben das scheuende Thier mit Sätzen an dem ausweichenden Hunde vorüber gerade auf den Hirten zu, als wolle er seine Rache gegen diesen kehren und ihn niederreiten. Der Alte mochte wohl auch so etwas denken, denn er hielt dem Reiter seinen langen Stock wie einen gefällten Speer entgegen, aber von seinem Platze wich er darum keinen Fuß breit.
„Du bist ein muthiger Kerl, auf meine Ehre!“ rief der Fremde, indem er laut lachend sein Pferd dicht vor dem Schäfer so heftig parirte, daß es fast mit den Hacken auf die Erde stieß. Der alte Schäfer war ein Verächter der edlen Reitkunst und hätte dem steigenden Roß am liebsten Eins mit seinem Hakenstocke auf die Nase versetzt. „Schade, daß Ihr hier hinter den Schafen herlauft, Ihr müßtet Soldat werden!“ fuhr der Fremde fort.
„Das bin ich schon gewesen und habe Pulver gerochen vor’m Feinde,“ versetzte der Schäfer, von der Rede des jungen Menschen ganz und gar in Harnisch gejagt. Was! Er, der schon die Muskete nach Paris und wieder zurückgeschleppt, ihm wurde gesagt, daß er noch Soldat werden sollte, jetzt, wo er das unbärtige Volk im „Polrocke“, wie er die neue Waffenkleidung nannte, nicht einmal für richtige Soldaten ansah?
„Allen Respekt!“ erwiederte der Fremde und ließ wieder sein helles Gelächter hören, an welchem ihn eben der Schäfer für einen jungen Menschen erkannt hatte. „Seid Ihr von Sanct Pancraz?“
„Ja,“ lautete die Antwort.
„Ist der neue Oberamtmann angekommen?“
„Vor drei Tagen,“ sagte der Schäfer.
„Was ist es für ein Mann?“ fragte der Fremde rasch.
„Ja, was soll ich – ? Ein Oberamtmann ist er –“ und was der Schäfer noch in seinen unrasirten Bart, der erst morgen,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_523.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)