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Seite:Die Gartenlaube (1855) 508.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Ja, ja, er zeigte mir Geld.“

„Wie viel!“

Der Dieb besann sich.

„Zwölftausend Thaler,“ sagte er entschlossen. „Zwölftausend Thaler in Kassenanweisungen.“

„Teufel. Und Du hast nichts davon angerührt?“

„Keinen Pfennig.“

„Wo blieb das Geld?“

„Der Jure behielt es.“

„Und speiste Dich mit den Kleidern da ab, wofür Du lumpige fünf Thaler erhalten hast?“

Der Dieb wurde verlegen. Einerseits wollte er durch die Wahrheit sich nicht bloßgeben; andererseits empörte sich seine Diebsehre, als von einem Genossen geprellt dazustehen. Er schwieg.

„Die Wahrheit, Liedke,“ drängte der Polizeirath; „Du weißt, daß ich Mittel habe, sie zu erlangen. Wer hat das Geld?“

„Der Jure, Herr Polizeirath, bei Gott.“

„Wo ist der Jure jetzt?“

„Das weiß ich nicht.“

„Du willst also allein der Sündenbock bleiben? Höre, Bursch, habe ich in einer Stunde nicht den Jure, so gebe ich mir keine Mühe mehr, ihn zu bekommen; dann, Du kennst selbst die Gesetze und das Kriminalgericht, dann hast Du, und zwar Du allein, den Diebstahl von zwölftausend Thalern gemacht, und Du bist reif für die Zeit Deines Lebens.“

Noch einmal kämpfte der Dieb mit sich. Dann sagte er:

„Er hat mich zum Judenfriedhof bestellt.“

„Auf wann?“

„Auf neun Uhr.“

„Was solltest Du dort?“

„Er wollte mit mir theilen.“

„Das Geld?“

„Ich denke es.“

Der Polizeirath wandte sich an den Gensd’arm Schmidt Vier.

„Der Judenkirchhof liegt hoch, Schmidt.“

Der Gensd’arm errieth bei dem ersten Worte die Gedanken seines Vorgesetzten.

„Der Spitzbube kann alle Wege dahin übersehen,“ erwiederte er.

„Uebernehmen Sie es, ihn zu fangen! Ich muß zu dem Orte des Diebstahls.“

„Es wird schon gelingen.“

„Machen Sie Ihre Sache gut. Wo habt Ihr gestohlen?“ wandte sich der Polizeirath an den Dieb.

„Ich, Herr Polizeirath?“

„Nun dann der Jure?“

„Markgrafenstraße zweiundneunzig.“

„Alle vorwärts!“

Der Polizeirath nahm eine Droschke und fuhr nach der Markgrafenstraße Nummer zweiundneunzig. In der Hausthür lehnte der Bursch des Offiziers und sonnte sich.

„Ist der Lieutenant noch zu Hause?“

„Er schläft noch.“

Der Herr von Maxenstern schlief in der That noch. Träume seines nahen Glückes hielten ihn auf dem Lager im Alkoven gefesselt. Der Polizeirath weckte ihn.

„Herr Lieutenant, Sie sind gestern Abend bestohlen.“

„Was, ich?“

„Um Ihre sämmtlichen Uniformstücke und –“

„Und?“

„Und um zwölftausend Thaler.“

Der Offizier sprang aus dem Bette, sprang an den Schreibsecretär, schloß ihn auf, und fand ihn leer.

Er fiel zurück auf einen Stuhl.




IV.

Der Gensd’arm Schmidt Vier hatte ein sehr einfaches Mittel zur Anwendung gebracht, den als einen der verwegensten und gefährlichsten Diebe bei der Polizei zu Berlin noch immer im lebendigen Andenken Fritz Jure zu fangen. Vier seiner Kameraden mußten in bürgerlicher Kleidung den Judenkirchhof in angemessener Entfernung umgeben. Er selbst warf sich in die Livree eines Droschkenkutschers, instruirte den Lude Liedke unter Vorzeigung seiner Säbelklinge, setzte dann den Dieb in die Droschke und sich auf den Bock, und fuhr so mit ihm zum Judenkirchhofe. Vor diesem hielt die Droschke. Liedke stieg aus und ging auf den Kirchhof, während sein Kutscher in der gewöhnlichen langsamen und schläfrigen Weise der berliner Droschkenkutscher umkehrte, und dann, fluchend, daß ihm etwas an dem Lederwerk gerissen sei, anhielt. Alles das war so unverdächtig, daß Fritz Jure sich hinter einem Leichenstein erhob und arglos auf seinen Gefährten zuging. Gleich darauf war er gefangen.

Allein es wurde kein Pfennig Geld bei ihm gefunden. Nur im Grase hinter dem Leichensteine entdeckten die, auf das Sorgfältigste suchenden Gensd’armen einen Kassenschein von fünfundzwanzig Thalern. Wahrscheinlich hatte es der Antheil Liedke’s von den gestohlenen zwölftausend Thalern sein sollen. Jure wollte nichts davon wissen.

Jure und Liedke wurden an das Criminalgericht abgeliefert und zur Criminaluntersuchung gezogen. Liedke gestand schon im ersten Verhöre Alles ein, auch vollständig seine eigene Mitschuld. Um so erheblicher, überzeugender wurde dadurch der Beweis gegen Jure. Gleichwohl blieb dieser bei einem festen, hartnäckigen und konsequenten Leugnen. Er wollte den Liedke nicht kennen, er wollte in der Markgrafenstraße nicht gewesen sein, er wollte noch weniger etwas von dem Diebstahle wissen. In dem Keller war es dunkel gewesen und er hatte nicht gesprochen; der Wirth konnte ihn daher nicht mit Bestimmtheit, nur sehr ungewiß wiedererkennen. Der Droschkenkutscher, der ihn zum Windmühlenberge gefahren hatte, konnte sich seiner gar nicht erinnern. Von den beiden Dienstmägden im Hause Markgrafenstraße Nummer 92 wollte sich die eine gleichfalls nur dunkel, die andere gar nicht auf ihn besinnen. Er war ein hübscher junger Mensch, ein Gefangener und ein verwegener Dieb. Die letztere Eigenschaft erweckte die weibliche Furcht, die beiden ersten regten das weibliche Interesse an. Auf dem Judenkirchhof war er zufällig gewesen; hatte Liedke vorher gesagt, daß sie sich dort treffen würden, so war das eine durch den Zufalle unterstützte freche Lüge. Von dem Fünfundzwanzigthalerschein wußte er nichts; es kam ihm dabei zu Statten, daß in dem gestohlenen Packet kein solcher Schein sich befunden hatte. Die Bezüchtigungen Liedke’s hatten ihren Grund einfach darin, daß Liedke doch Jemanden haben müsse, auf den er die Schuld wälzen könne, und nun ihn, der einmal als Dieb bekannt sei, und dessen Entweichung aus der Festung er durch einen Zufall erfahren haben werde, genommen habe.

Ein solches beharrliches und konsequentes Leugnen, den dringendsten Beweisgründen gegenüber, war in der guten alten Zeit des Kriminalprozesses die fast allgemeine Sitte aller Verbrecher, die nur einigermaßen die Gesetze kannten, und diese kannte, wer nur einmal in Untersuchung gewesen war. Unter den berliner Dieben war sie gäng und gäbe. Sie hatte ihren guten Grund. Die „ordentliche“ Strafe des Verbrechens konnte nur verhängt werden, wenn ein „voller“ Beweis da war, und dieser war nur da, wenn ein vollständiges Bekenntniß abgelegt war, oder wenn zwei unverdächtige Zeugen aus eigener Mitwissenschaft und übereinstimmend die Verübung der That selbst bezeugt hatten. Bei jedem andern, dem sogenannten künstlichen oder Indicien-Beweise konnte höchstens auf eine gelindere „außerordentliche“ Strafe erkannt werden. Und dies auch dann nur, wenn mindestens mehrere „nahe Indicien zusammentrafen“ und zugleich der Angeschuldigte bereits schlecht beleumundet war. Außerdem, wenn nicht mindestens ein „halber Beweis“ vorlag, erfolgte vorläufige oder gänzliche Freisprechung. Dabei konnte ein „nahes“ Indicium wiederum nur durch die eigene und übereinstimmende Wahrnehmung zweier unverdächtiger Zeugen hergestellt werden.

Für den Verbrecher war es danach ein Hasardspiel, ob sein Richter die gegen ihn vorliegenden Indicien als jenen „halben“ Beweis begründend annehmen werde oder nicht. Wie hätte er das Spiel nicht wagen sollen, bei dem er nie verlieren, immer nur gewinnen konnte? Dazu kam die natürliche Lust an dem geistigen Kampfe mit seinen Inquirenten.

Freilich war auch diese Lust an dem Kampfe eine gegenseitige. Der Inquirent hatte sie ebensowohl wie der Inquisit. Auf beiden Seiten gleiches Aufbieten von Scharfsinn und List, aber auch von Hinterlist. Daher denn auch die mancherlei Inquirentenkünste.

Doch wurden Scharfsinn, List und Kunst manchmal auch durch materielle Gewalt ersetzt, weniger bei den Civil als bei den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_508.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)