Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Thiere! An der Spitze alles guten Rathes steht auch hier: Selber ist der Mann! Man krebse sich die nöthige Zahl von Colonisten selber aus dem Meere heraus. Freilich wer in Leipzig oder gar in Böhmen wohnt und von dort aus in verschiedene Meerestiefen hinunter spazieren soll, um die seltsamsten, kleinsten, verstecktesten Wunder des Oceans herauszufischen, der wird sich lange besinnen, ehe er zur Sache kommt. Man muß also andere Mittel und Wege, Leute, die dies für uns thun, ausfindig machen. Diese werden sich mit der Zeit wohl finden. So lange die Sache neu ist, hat man freilich wenig Auswahl, und was England, die Geburtsstätte der Marine-Aquarien betrifft, weiß ich vorläufig Niemanden, der den Deutschen dienen könnte, als mich selbst[1], und zwar auch nur, in sofern ich auf einen vom Professor Gosse empfohlenen Herrn rechne, der sich erboten hat, die nöthigen Thiere und Pflanzen für mäßige Preise zu besorgen. Diese sind nun aber auch noch das Wenigste, in sofern sie eben nicht an Ort und Stelle geschafft würden. Wie transportirt man sie? Viele lassen sich allerdings in blos feuchter Verpackung versenden, einige empfindliche aber können nur in ihrem Elemente reisen. Also muß man für den Ocean Eisenbahnbillets lösen und ihn mit seinen sonderbaren Bewohnern über Land reisen lassen. Für Reisen der Art kann man zunächst nur im Allgemeinen rathen, daß die Passagiere, die gar nicht an Landreisen gewöhnt sind und eben so leicht landkrank werden, wie wir auf ihrem Elemente seekrank, so schnell als möglich spedirt und bei der Ankunft sogleich in Empfang genommen werden, wie große Herren. Werden sie unterwegs lange aufgehalten, sind Bäder in frischem Seewasser und Licht nöthig. Und obgleich sie im Wasser leben, wie wir in der Luft, dürfen sie doch nicht naß werden, d. h. von solchem Wasser, wie es bei uns auf dem Lande regnet. Doch schützt man sie leicht auch in offenen Gefäßen unter dem Regen vor dem Regen, wenn man unmittelbar über der Oberfläche des Meerespiegels der Gefäße Oeffnungen anbringt, durch welche das leichtere Regenwasser abfließt, ohne in das schwerere vom Oceane einzudringen.
Lebende Seepflanzen lassen sich ohne Wasser schicken. Man verpackt sie in geeignete Botanisirkapseln, die man durch Korbgeflechte beschützt. Unten legt man gemeines Seegewächs (Fucus serratus) frisch und noch ganz naß, auf dieses Bett mit den nöthigen Stückchen Fels (der aber gegen Verschiebung und Schüttelung geschützt werden muß) die zu versendenden Exemplare, auf diese wieder frische Seegrasfüllung mit genauer Ausfütterung der Zwischenräume, bis der große Raum so gefüllt ist, daß nach Schließung Alles sicher und ziemlich fest liegt. So verpackte Seegewächse kommen stets über Hunderte von Meilen wohlbehalten an, selbst die ungemein zarten Delesseriae. Von den Thieren lassen sich die Mollusken, viele Echinodermata, einige Arten von Crustaceen und alle Actiniae auf dieselbe Weise wohlfeiler und bequemer senden als in Wasser. Eine handvoll Seegewächs, noch ganz naß von Seewasser mit dem betreffenden Exemplar von Thier in einen Korb oder Krug gesteckt und mit einem durchlöcherten Kork oder sonst einer Schließung zugemacht (doch nicht ganz gefüllt mit Seegewächsen, damit kein Druck entsteht) ist hier die ganze Kunst.
Fische freilich, viele Crustaceen, die meisten Anneliden, alle Medusen und die zarteren Species von Zoophyten müssen in Seewasser versendet werden. Weithalsige Krüge von Steingut mit wasserdicht zugeschraubten Knöpfen, von denen mehrere in einen Flechtkorb gepackt werden können, Zinkeimer, durch Lattenkasten geschützt, mit fein durchlöchertem, angeschrobenen Deckel, Zinkkannen von Quadratform, mit durchlöcherten Deckeln, in eine offene Kiste eingefüttert – alle diese Methoden des Versendens in Seewasser wurden mit Glück angewendet. Mit ein Bischen Einsicht und Nachdenken lassen sich vielleicht noch bessere Methoden ausfindig machen, z. B. Glaskugeln, die so in einem Kasten hängen, daß sie die offene Seite stets nach oben richten, wie man den Kasten auch drehe und wende. Austerschaalen oder Steine aus dem Meere, die sehr oft dicht von Zoophyten und Anneliden bewohnt sind, lassen sich in einem gewöhnlichen Netze, das man in der Mitte des Gefäßdeckels befestigt, sehr gut befördern. Bei aller Beflügelung des jetzigen Verkehrs versteht es sich doch von selbst, daß man den allerschnellsten Weg wählen und, wo es möglich, unmittelbare Beförderung per express ausmachen muß. Sofort nach Ankunft müssen die erschöpften Ankömmlinge in offene, mit frischem Seewasser halb gefüllte Gefäße gebracht und ihnen Zeit gelassen werden, sich zu erholen und nachzudenken, was aus ihnen geworden und wo das große Meer wohl geblieben sein könne. Man untersucht dabei jeden einzelnen angekommenen Fremden, ob er krank, gesund, todt oder lebendig sei. Die Todten mag man anständig begraben, Kranke werden in der Regel wieder gesund durch ein Luftbad des Wassers, wie wir Landesbewohner ja auch oft wieder durch ein Seebad zu Kräften kommen.
Man badet das Seewaoer in Luft durch eine Spritze, d. h. man macht Seesturm im Kleinen, bis derselbe Zweck, welcher dem Meere durch den Wind, der die Wogen thurmhoch und thaltief durcheinander, meilenweit über die Gestade und in himmelanspritzendem Schaum nun gegen die Felsen peitscht, erfüllt wird. Diese Lüftung und Ventilation des Meerwassers im Aquarium ist eine Hauptbedingung des Gedeihens der pflanzlichen, thierpflanzlichen, pflanzenthierlichen und thierischenl Bewohner. Deshalb ist es gut, dauernde Ventilation anzubringen. Die einfachste Methode ist ein Tropfglas, d. h. ein Glas mit einer Oeffnung unten, die man durch einen Schwamm so schließt, daß das Wasser stets tropfenweise hindurchsickern und so stets mit der atmosphärischen Luft in möglichst viel Berührung kommen kann. Man hängt das Glas über dem Aquarium auf und füllt es von Zeit zu Zeit immer wieder daraus. Je höher es hängt, desto besser, weil dann jeder Tropfen sich eine hübsche Bewegung in frischer Luft machen muß, ehe ihn sein Instinkt wieder geradewegs in das mütterliche Element zurückführt. Noch praktischer und eine unverwüstliche, stets lebendig spielende, glänzende und zuweilen regenbogenspielende Schönheit ist der im Aquarium durch Felsen in die Höhe sprudelnde kleine Springbrunnen, wie wir ihn in unserm abgebildeten Muster-Aquarium angebracht sehen. Diese Schönheit scheint dem Laien für Privatzimmer vielleicht schwer oder wegen des Teppichs u. s. w. unthunlich. Doch nichts leichter und reinlicher. Man bringt irgendwo über dem Aquarium, vielleicht in dem Zimmer oben darüber, ein Reservoir an, leitet durch dieses in einem Gutta-Percha-Schlauche (dieser ist der beste und wohlfeilste, metallene rosten) das Wasser aus dem Reservoir zwischen der Wand unterm Boden hin in die durch’s Aquarium laufende Röhre (die man durch Felsen u. s. w. hübsch verstecken kann, so daß sich Hinz und Kunz halb zu Tode wundern müssen) – und die Fontaine ist fertig, fein wie ein silberner Seidenfaden, mit welchem man auch durch Anschraubung anderer Oeffnungen, Spalten und Ritzchen die verschiedensten kleinen Wasserkünste abwechseln lassen kann.
„Aber, lieber Himmel, was muß das kosten?“ höre ich irgend einen Gevatter oder eine Muhme, Tante oder Stiefmutter des deutschen Michel ausrufen. Vielleicht kostet’s etwas, sehr wahrscheinlich, aber immer noch lange nicht so viel, als das schlechte Bier, der verdummende Spiritus, oder der theure Wein, oder die Putzsucht, oder die Faulheit dieser Ausrufer. Wer erst den Geist dieses lebendigen Seewassers zu Hause zu genießen weiß, spart die Kosten der ganzen Geschichte in höchstens ein paar Monaten und von da lebt er reineweg von den Zinsen dieses ersparten Kapitals.
Doch fort in unserer Vorlesung. Hat man die angekommenen Gäste gehörig erquickt und die todten von den lebenden geschieden, bringt man sie fein säuberlich in ihrer kleinen, neuen Kolonie an. Das Wasser ist ein oder zwei Tage etwas trübe, wird aber dann klar und krystallhell; die Pflanzen fangen an, ihre Blumen, Blätter und Fächer, die Thierpflanzen ihre farbigen, befranzten Sonnen- und Regenschirme und allerlei ganz erfreulich wunderbare Fangruthen, Fühlhörner und Federbüsche zu entfalten und damit in den herrlichsten prismatischen Farbenspielen zu renommiren, wie mexikanische Prinzen. Einige, die sich in selbstgebauten wunderbaren Burgen und Schlössern verriegelt hielten, kommen mit ihren „Stopfern“ hervor und legen sich zum Fenster hinaus, um sich die neue Welt erst ordentlich zu besehen. Finden sie, daß keine Gefahr vorhanden ist, holen sie ihr Handwerkszeug und ihre Raubinstrumente heraus, und fangen das Geschäft der Ritter an, nämlich Raub. Andere besehen sich die Vegetabilien, kosten und essen. Noch Andere, die mehr zum Vergnügen leben, treiben allerlei Allotria. Doch davon ein andermal mehr. Alle überleben die neue Ansiedlung nicht. Während der ersten Woche giebt’s mehr Begräbnißfeierlichkeiten, als Lebensfreuden. Unendlich viele mikroskopische Thierchen in Seegewächsen, an Muscheln und Steinen versteckt, sterben und verderben das Wasser, was man an neuer Trübung und Milchigkeit desselben erkennt. So wie man das bemerkt, ist das Wasser vermittelst eines Hebers sorgfältig in andere Gefäße
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_505.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)