Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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seiner Kraft gegen menschliche Glieder wußte, und dies in dem Uebermuthe seiner Zärtlichkeit nicht berechnete. Aber ich sah deshalb auch ein, daß er von jetzt an nur mit der stärksten Kette um den Hals und an den Käfig geschmiedet herausgelassen werden könnte. Seitdem ward er traurig und launisch. Ein Offizier bot mir 3000 Francs, aber ich konnte es nicht über’s Herz bringen, ihn zu verkaufen, wie bisher die Felle erlegter Löwen. Der Offizier wollte ihn dem Könige von Sardinien schenken. Dies erinnerte mich an den Prinzen von Aumale, dem ich Dankbarkeit für manche Beweise von Güte schuldig war. Ich bot ihm meinen Freund Hubert, falls er ihm eine gute Stelle im zoologischeu Garten von Algier verschaffen wolle.
Hubert verließ Ghelma im Oktober 1846 zum größten Leidwesen der Damen, gegen die er stets besonders galant und liebenswürdig gewesen, zur Verzweiflung Lehmann’s, der sich dudeldick betrank, um den Schmerz des Scheidens besser tragen zu können, und mit Bibart solchen Lärm machte, daß Beide arretirt werden mußten, um Hubert ohne Opposition und Empörung fortschaffen zu können.
In Algier fand man Hubert zu groß und majestätisch für Algier. So beschloß man, ihn in den zoologischen Garten von Paris zu bringen, und gab mir den Befehl, ihn dahin zu begleiten. Armer König der Wüste! Ja wohl warst du zu majestätisch für das unglückliche Leben, zu welchem man dich jetzt verurtheilte!
Auf dem Schiffe hatte Hubert Erlaubniß zu seiner Mahlzeit (in der Regel einem zehnpfündigen Beefsteak) an der Kette aus dem Käfig herauszukommen. Sobald ich öffnete, sprang er freudig heraus, streichelte an mir herum, um seine Dankbarkeit zu beweisen, legte sich zu Tische und streckte sich dann aus in die Sonne, um friedlich zu blinzeln und zu verdauen. Er wußte bald ziemlich genau, wenn die ihm so vergönnte Stunde um war, denn er ging freiwillig in seinen Käfig zurück und ließ sich von Jedermann, besonders gern von schönen Händen, an den Ohren krauen. So vergingen die letzten Tage unseres freundschaftlichen Zusammenlebens. In Toulon trennten wir uns. Noch sah ich ihn einmal in Marseille, aber nicht mehr denselben. Er sah so trostlos und unglücklich aus. Zwar leuchtete die Freude aus seinen Augen auf, als er mich erblickte, aber zugleich starrte er mich so vorwurfsvoll fragend an: Warum hast Du mich verlassen? Wo bin ich? Wohin soll ich? Wirst Du mit mir kommen? Seine traurigen Blicke thaten mir weh. Ich entfernte mich, aber da wüthete er so fürchterlich in seinem Käfig und donnerte so Mark und Bein erschütternd, daß Alle in seiner Nähe mit blassen Gesichtern flohen. So wie ich mich wieder nahte, ward er ruhig und drückte sich an die Gitter, daß ich ihn streicheln möchte. Ich streichelte ihn so lange, bis er einschlief und ich mich langsam entfernte. Schlaf in Vergessenheit deiner Leiden, edles Thier! Schlaf ist Balsam für deine Leiden, so gut wie für unsere.
Drei Monate später kam ich nach Paris. Mein erster Besuch galt meinem Freunde Hubert im Jardin des Plantes. Ich ärgerte mich mit Staunen über die kleinen Käfige der wilden Thiere und den Gestank, den wohl Hyänen und Schakale vertragen, nicht aber Löwen, denen Reinlichkeit Leben ist. Sofort wandte ich mich an den Minister Geoffroy de Saint Hilaire, der die nöthigen Verbesserungen versprach, die aber in der Februarrevolution untergingen.
Unter diesen traurigen Eindrücken kam ich vor dem Käfig meines Freundes Hubert an. Er lag gleichgültig im Halbschlummer und blickte zuweilen nachlässig und verächtlich auf die ihn umdrängende Menge. Plötzlich schlug er mit dem Kopfe in die Höhe, die Augen funkelten, die Muskeln seines Gesichts zitterten: er hatte die Uniform „seines Regimentes“ gesehen. Doch erkannte er mich noch nicht. Unfähig, meine Bewegung noch länger zurückzuhalten, trat ich zu ihm und steckte die Hand durch das Gitter. Es war ein Anblick, der mich erschütterte und alle Anwesenden rührte. Er sah mich lange, lange fest und prüfend an, beroch meine Hand, sah mich wieder an, klarer, zärtlicher und schien nur noch auf ein Zeichen zu warten, ob ich’s auch sei. Ein Wort und es war ihm klar. „Hubert, alter Bursche!“ rief ich freudig. Mit einem furchtbaren Satze sprang er gegen die Eisenstäbe, daß sich einige bogen. Meine Freunde und das Publikum flohen im größten Entsetzen. Nobles Thier, selbst deine Freude verbreitet Schrecken. Hubert stand aufrecht und schüttelte die Eisenbarren, daß Alles umher krachte und wackelte. Er sah glorios aus, jeder Zoll der wahre Löwe, donnernd mit seinem erhobenen Krachen in Freude und Schmerz. Er leckte meine Hand mit seiner rothen Zunge so sanft und preßte die Tatzen durch die Gitter, mich zu umarmen. O, er liebkoste mich so gewaltig aus seinem starken Löwenherzen! Wie sollt’ ich wieder fortkommen? Zwanzig Mal ging ich, aber so wie er mich aus den Augen verlor, zitterte Alles umher von seinen Sprüngen und brüllenden Donnern. Zwanzig Mal kehrt’ ich um, ihm begreiflich zu machen, daß ich wieder käme. Doch nichts wollt’ ihn trösten. So mußt’ ich ihn endlich toben lassen, daß es eine halbe Stunde lang hinter mir her donnerte und krachte. Ich besuchte ihn fast jeden Tag auf mehrere Stunden, aber jedesmal traf ich ihn müder und melancholischer. Die Aufseher im Garten riethen mir, seltener zu kommen, da er sonst wahrscheinlich das Heimweh bekommen werde. So kam ich seltener, bis ich an einem schönen Maimorgen von dem Wärter mit folgenden Worten empfangen ward: „Sie brauchen nun wohl nicht mehr zu kommen, Monsieur, Hubert ist todt.“
Ich eilte hinweg mit dem Gefühle, als hätt’ ich den treuesten Freund verloren und komme oft zurück in Gedanken der Reue, daß ich ihn aus der Freiheit der Berge stahl, um ihn von Civilisation und Kerker tödten zu lassen. O, ihr Löwinnen des Atlas, nie in meinem Leben werde ich wieder eure Kinder stehlen! Besser, sie mit einem ehrlichen Jägerschusse zu tödten, mit einem Blitze in der Freiheit des Waldes unter ihrem heimatlichen Himmel, statt sie in die Gefangenschaft des Nordens zu schleppen. Das Blei des Jägers ist nobler, als das Blei der Langeweile und des ausgedehnten Schmerzes über die verzehrende Schwindsucht des Kerkers.“
Vom Baue des menschlichen Körpers.
Beim Sprechen und Singen, sowie beim Schlingen (d. i. das Verschlucken von Speisen und Getränken) treten so ziemlich dieselben Organe in Thätigkeit, und es können diese deshalb, sowie ihres unmittelbaren Zusammenhanges wegen, gegenseitig großen Einfluß auf einander ausüben. Wahrscheinlich gründen sich auf diesen Umstand auch die Redensarten: „cantores amant humores (Sänger lieben das Gläschen)“ und! „Hast Du geredet, so trinke einmal.“ Vielleicht läßt sich daraus auch die Thatsache erklären, daß bei Schmäusen gern gesungen und getoastet wird. – Krankheiten gehen nicht selten von den Schling- auf die Singorgane über und umgekehrt. Wie beschwerlich aber und launeraubend dieselben sind, werden gewiß viele unserer Leser erfahren haben. Ja, es giebt nicht Wenige, die sich bei Halsbeschwerden ganz unnützerweise mit der Furcht vor Hals- oder Kehlkopfsschwindsucht ihr und ihrer Angehörigen Leben verbittern. Leider trägt man freilich heutzutage nicht die gehörige Sorge für den Sing- und Schlingapparat, und daher kommt es denn auch, daß man diese Apparate bei Vielen nicht gern sieht und hört.
Oeffnet man den Mund und blickt durch die Oeffnung zwischen den Lippen und den Zahnreihen in die Mundhöhle hinein (s. d. Fig.), so zeigt sich zunächst hinter den Zähnen des Unterkiefers (b) die aus Fleisch (oder Muskelsubstanz) gebildete Zunge (k) und als Dach der Mundhöhle, hinter der obern Zahnreihe (a), der knöcherne oder harte Gaumen (c), welcher zugleich auch den Boden der Nasenhöhle bildet. Wird nun die Zunge niedergedrückt, so erscheint ganz hinten in der Mundhöhle eine halbrunde Oeffnung (h), welche Rachenenge heißt und in den Theil des Schlundkopfes führt, welchen man Rachen nennt und der nach unten in die Speiseröhre übergeht. Nach oben wird die Rachenenge vom Gaumensegel oder weichen Gaumen, in welchen sich der harte Gaumen fortsetzt und Muskelfasern Bewegungen veranlassen können, begränzt; in seiner Mitte hängt das Zäpfchen(d)
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_501.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)