Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Biographie eines Löwen und Offiziers in der franz. Fremdenlegion.
Von den abenteuerlichen Franzosen Algeriens ist keiner besser bekannt als Monsieur Gérard, genannt der Löwen-Tödter. Seine Geschicklichkeit, sein Glück und sein Muth verdienen, daß er über Gordon Cumming, den südafrikanischen Nimrod, gestellt werde. Gérard hat unlängst seine Jagdabenteuer veröffentlicht, die in ihren Details äußerst spannend und interessant, im Ganzen aber freilich fast alle auf endliche Erlegung des Löwen oder auf ziemlich monotone Lebensrettung „bei einem einzigen Haar“ hinauslaufen. Folgendes Abenteuer ist aber, wenn nicht das effektvollste, so doch das entsprechendste, ich möchte sagen, humanste, und giebt die Biographie, statt die Erlegung eines Löwen. Jetzt, wo der Mensch von der immer reinern Wein einschenkenden Naturwissenschaft genöthigt wird, von der Höhe seiner „geistigen“ Privilegien vor den Thieren bescheiden herabzusteigen und die wegen ihrer „Geistlosigkeit“ verachteten Thiere näher zu sich heranzuziehen und würdigen zu lernen, wird man auch für das Leben und die treue Freundschaft eines „Königs der Wildniß“ die gehörige Theilnahme fühlen.
Im Februar 1846, erzählt Gérard, schickte der Commandeur von Ghelma, Monsieur de Tourville, zu mir und theilte mir mit, daß der Kabylenstamm „Beni-Bughal“ meinen Beistand gegen eine Löwin wünsche, welche unter ihren Heerden schreckliche Verwüstungen anrichte, um ihre Jungen zu mästen. Ich ritt sofort mit dem Sheik zu der Zeltenstadt des Stammes am Fuße des Jebel Mezrur-Berges. In der Abenddämmerung recognoscirte ich das Gehölz, in welchem die Löwin logirte. Sehr bald fand ich eine junge Löwin, etwa einen Monat alt; nicht größer als eine gute Katze. Ich wickelte sie in meinen Burnus und brachte sie in die Zeltenstadt, ritt dann zurück in die Nähe der Höhle, wo die Löwin ihre „Wochen“ hielt, setzte mich unter einen Korkbaum und wartete im Dickicht, nachdem ich mit meinem Dolche so viel freien Raum gehauen, daß ich meine Büchse handhaben konnte. Es ward Nacht. Mein Plan war einfach, der Löwin sofort das Gehirn auszublasen, wenn sie ihren Kopf zeige. Ich horchte gespannt durch die dicke Finsterniß. Einen Bären, der zuerst die schauerliche Stille unterbrach, erkannte ich bald an seinem schweren Tritt. Auch ein Schakal, der um die Höhle nach Leckerbissen der jungen Löwen schnüffelte, konnte mich mit seinem leichten, listigen Schritt nicht täuschen. Nach einer Weile aber glaubte ich mein Opfer deutlich zu hören, wie es durch das Dickicht rauschte, und die Knochen eines Schafes zerknackte, um es den Kindern mundrecht zu machen. Ich wartete zwei Stunden in der größten Aufregung und konnte den Arm nicht mehr halten. An den Korkbaum lehnend, wartete und wartete ich immerfort in der Hoffnung, die großen glühenden Augen der Löwin durch’s Dickicht aufleuchten zu sehen. Vergebens und abermals vergebens. Daß es immer wieder mäuschenstill ward, erhöhte nur meine Aufregung, die in der Erinnerung an frühere Abenteuer ohnehin nervös genug war. Mit furchtbarer Anstrengung suchte ich die dicke Finsterniß zu durchdringen, und die um den Verlust ihres einen Kindes rasende Löwin mit gestrecktem Halse, zurückgelegten Ohren und wuthzitterndem Körper zu entdecken, um ihrem Sprunge zuvorzukommen. Die Phantasie hatte in dem Dunkel völlige Herrschaft über mich. Obgleich es beißend kalt war, lief doch der Schweiß von meiner Stirn. Ich zitterte vor Furcht und habe keine Ursache, es zu leugnen. Doch kam mir der Einfall, auf den Baum zu klettern, eines Jägers zu unwürdig vor, so daß ich dadurch gerade mein Selbstvertrauen wieder gewann. Und was war ich wüthend auf mich, als ich endlich nicht nur das Rauschen und Rascheln wieder hörte, sondern auch das jämmerlich nach der Mutter quäkende Junge, den Bruder zu der schon gefangenen Schwester! Bald hatte ich meinen kleinen knurrenden Quälgeist in der Tasche und strauchelte drei Stunden lang durch Dick und Dünn nach dem Duar (der Zeltenstadt) suchend, oft unterbrochen durch vermeintliches Schnauben und Heulen der Löwin, die die Witterung ihrer Jungen verfolge.
Mein Erstes im Duar war, die beiden jungen Löwen – Bruder und Schwester, zu vergleichen. Ersterer war ein feiner Kerl und mindestens ein Drittel größer als letztere. Ich taufte ihn zu Ehren des Jägerschutzheiligen „Hubert,“ seine Schwester „Hubertine.“ Hubertine war sehr misanthropisch und kratzte und zischte Jeden an, der ihr zu nahe kam. Hubert dagegen guckte Tag für Tag mit einem ruhigen, aber erstaunten Blick umher, als könne er aus der Geschichte gar nicht klug werden, sei aber entschlossen, noch dahinter zu kommen. Die braunen, schlanken Araberinnen wurden nicht müde, ihn zu liebkosen und seine natürliche Liebenswürdigkeit zu belohnen. Sie banden eine Ziege und ließen ihn saugen. Erst benahm er sich sehr ungeschickt, aber als er erst gekostet, schien er sofort zu begreifen, daß dies die ihm bestimmte Amme sei. Er schloß sich kindlich an sie an und folgte ihr auf Schritt und Tritt. Wie am ersten Abend legte er sich jedesmal, wenn er müde war, auf meinen Burnus und schlief so ruhig als wäre er bei „Muttern.“ Hubertine profitirte nichts von der Klugheit und Liebenswürdigkeit ihres Zwillingsbruders: sie blieb menschenscheu, bis sie am Zahnen starb, einer Periode, die überhaupt wohl eben so viel Löwen- als Menschenkindern das Leben kostet.
Die Löwin war trotz allen Nachforschungen nicht zu finden. Endlich erfuhren wir von einem Schäfer, daß sie mit einem dritten Jungen das Gebiet verlassen habe. Diese Nachricht stellte „Ruhe und Ordnung“ im Stamme Beni-Bughal wieder her, und ich ging mit Hubert nach Ghelma zurück, wo er sofort der Liebling des ganzen Lagers ward, besonders Lehmann’s, des Trompeters, mit deutscher Sentimentalität, Bibart’s, des Grobschmidts und Rustans, des Spahis.
Es ward für ihn ein besonderes Register angelegt, worin seine Dienste und Vergehen pünktlich protokollirt wurden. Er ward in dem Charakter eines Cavalleristen, der auf Einreihung wartet, eingetragen. Ich mache aus den Protokollen blos folgende Auszüge:
April 20, 1846. Am Geburtstage Hubert’s (als er nämlich drei Monate alt war) stand die Eskadron im Hofe des Hauptquartiers, um verlesen zu werden. So wie Lehmann das Zeichen bläs’t, springt Cavallerist Hubert, in sein Zimmer eingeschlossen, an’s Fenster und brüllt! Ici! (Hier!) wird aber nicht gehört und als fehlend notirt. Der Offizier commandirt: Marsch! Lehmann trompetet und Hubert springt herunter durch’s Fenster und marschirt mit ab auf den Exercierplatz. Für diesen Diensteifer wird die Notirung: „Abwesend“ gestrichen.
Mai 15. Hubert tödtet seine Amme, die alte Ziege, und wird dafür zum „Reiter erster Klasse“ ernannt.
September 8. Hubert machte einen Ausfall auf den Marktplatz und jagte sämmtliche Araber in die Flucht. Tödtet bei dieser Gelegenheit mehrere Schafe und einen Esel, wirft einen Wächter zu Boden und ergiebt sich Niemandem als seinen Specialfreunden, Lehmann, Rustan und Bibart. In Anerkennung dieser Beweise jugendlicher Tapferkeit wird er zum Supernumerar-Offizier ernannt und ihm eine eiserne Ehrenkette um den Hals zuerkannt, an welcher er als beständige Schildwache an die Thürpfoste des Pferdestalles angelegt wird.
Januar 16, 1847. Ein Beduine schleicht um die Ställe. Hubert, ihn für einen Räuber haltend, zerreißt seine Kette und hält ihn am Boden fest, bis er den Gefangenen in einem sehr „unheilen“ Zustande an einen Offizier abliefert. Für diese That bekommt Hubert den Titel: „Farben-Sergeant“ und zwei Ketten um den Hals. Im April tödtet er ein Pferd und schlägt zwei Soldaten nieder. So steigt er zu dem Range eines wirklichen Offiziers und wird in einen Käfig gesperrt.
Armer Hubert! und ich, sein bester Freund, war commandirt, ihn in’s Gefängniß zu bringen. Die Behörden, so lange nachsichtig gegen ihn wegen seiner Liebenswürdigkeit, durften jetzt ihre Güte nicht weiter ausdehnen. Es gab blos eine Wahl zwischen Todesstrafe oder lebenslänglichem Gefängniß. Mein erster Gedanke war, ihn flüchten zu lassen. Aber an Umgang mit Menschen gewöhnt, hätte er leicht zurückkehren, einen dummen Streich machen und dann getödtet werden können. So schloß ich die eisernen Stäbe vor ihm. Während der ersten Monate seiner Strafe ließ ich ihn gewöhnlich des Nachts heraus und spielte Versteckens mit ihm. Er war dann immer so glücklich und ausgelassen zärtlich, daß er mich oft drückte, wie der feurigste Liebhaber. Aber eines Abends umarmte er mich mit solcher Gewalt, daß er mich vielleicht erwürgt haben würde, hätten mich meine Kameraden nicht aus seinen liebkosenden Armen befreit. Ich weiß, er meinte es gut, denn er zeigte weder Klauen noch Zähne, nur daß er nichts von dem Uebermaße
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_500.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)