Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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dem er sich melden muß. Sagen Sie Herrn Falkenberg, ich lasse ihn bitten, den Liedke wegen der verspäteten Meldung nicht einzustecken, ihn vielmehr schleunig abzufertigen. Dann nehmen Sie Schmidt Zwei und Drei, die Sie auf dem Polizeipräsidium antreffen werden, und lassen Sie den Menschen nicht aus den Augen. Bis neun Uhr finden Sie mich oder Nachricht von mir bei Gaspari an der Königsbrücke, bis elf unter den Linden, bis eins in der Conferenz am Molkenmarkt.“
„Sehr wohl, Herr Polizeirath,“ sagte der baumlange Gensd’arm, indem er den Weg nach dem Polizeipräsidium einschlug.
Der Polizeirath ging auf der andern Seite des Trottoirs die Königstraße langsam hinunter.
Der Polizeirath Duncker hatte natürlich mehrere Gensd’armen zu seiner Disposition. Sie gehörten zu den gewandtesten der Residenz. Unter ihnen zeichneten sich wieder besonders drei aus, die alle drei den Namen Schmidt führten, und zur Unterscheidung von einander Schmidt Zwei, Drei, Vier genannt wurden. Ein Gensd’arm Schmidt war meist anderswo beschäftigt. Von jenen drei Gensd’armen Schmidt war Schmidt Vier der Leibgensd’arm des Polizeiraths Duncker. Dieser hätte auch schwerlich einen geschickteren und zuverlässigeren Ausführer seiner Befehle finden können. In jeder Combination, in jeden Plan seines Vorgesetzten ging der Gensd’arm Schmidt Vier eben so leicht ein, als der Polizeirath sie gefaßt hatte, und er führte sie fast eben so genau und umsichtig aus, als der Polizeirath das selbst nur gekonnt hätte. Und das wollte viel sagen. Dabei war er ein durchaus treuer, dem Polizeirath, seinem speciellen Landsmanne, völlig ergebener, verschwiegener Mensch, der überhaupt nicht viele Worte machte und nicht liebte, daß sie gemacht wurden.
Der Gensd’arm hatte schnell die Befehle des Polizeiraths befolgt. Ludwig Liedke war nach der richtigen Combination des Polizeiraths in der That zum Polizeipräsidium gegangen. Er war hier vom Hofrath Falkenberg bald abgefertigt worden. Der alte, strenge, aber gutmüthige Beamte hatte die Verspätung der polizeilichen Meldung, die allerdings einen Arrest im Arbeitshause von wenigstens acht Tagen hätte nach sich ziehen müssen, unter einem unverfänglichen, wohlwollenden Scherze für dieses Mal verziehen. Ludwig Liedke verließ ohne Argwohn das Gebäude des Polizeipräsidiums, und trat auf den Molkenmarkt hinaus. Er sah sich hier vorsichtig nach allen Seiten um. Er entdeckte nur Polizeisergeanten, die sich unbefangen unterhielten, als wenn sie sich Stadtneuigkeiten erzählten. Gensd’armen waren gar nicht zu sehen. Auf ihn schien Niemand zu achten.
Auch er nahm die Miene eines unbefangenen Schlenderers an. Er ging in die stralauer Straße, über die stralauer Brücke, in die Alexanderstraße, und kam so auf einem Umwege zu dem Alexanderplatz, auf welchem, ohne die durch den Polizeirath veranlaßte Seitenbewegung, die Königsstraße ihn geraden Wegs geführt haben würde. Er überschritt auch den Alexanderplatz und bog in die große frankfurter und dann in die landsberger Straße hinein,
Ueberall hatte er sich von Zeit zu Zeit umgesehen, desto vorsichtiger und sorgfältiger, je mehr er den Schein eines blos neugierigen Wanderers angenommen hatte, der nach längerer Abwesenheit sich einmal wieder die schöne Stadt Berlin ansehen wollte. Er hatte keinen Verfolger, kein einziges verdächtiges Anzeichen eines solchen bemerkt. In der landsberger Straße war er auf einmal verschwunden.
Nur ein einziges Auge hatte mit einem halben Blicke wahrnehmen können, wie der alte Dieb glatt wie ein Aal in einen Viktualienkeller glitt. Der halbe blick des einen Auges war genügend, zur Entdeckung seines Verbrechens zu führen.
Die drei Gensd’armen Schmidt Zwei, Drei und Vier hatten den verdächtigen Verbrecher zu verfolgen gewußt, ohne daß dieser auch nur eine Ahnung davon hätte haben können; sie hatten theils die kleineren Nebenstraßen, theils die Häuser mit einem sogenannten Durchgange – von einer Straße in die andere - benutzt. Glitt der alte Spitzbube wie ein Aal, so schlichen sie wie Schatten hinter ihm her.
Schmidt Vier hatte ihn in den Keller verschwinden sehen. Mit einem feinen Pfeifen rief er gleich darauf seine beiden Kameraden und Namensvettern zu sich. Die drei Gensd’armen hatten zerstreut verfolgt. Er trat mit ihnen in ein offenes Vorhaus.
„Er ist dort rechts in den Keller gegangen,“ sagte er zu ihnen. „Ueber den Hof des Hauses kann er in die kurze Straße und auch in die große frankfurter Straße kommen. Sie, Schmidt Zwei, gehen in jene, Sie, Schmidt Drei, in diese. Ich bleibe hier. Was Sie fangen, bringen Sie hierher.“
„Wäre es nicht sicherer,“ wandte Schmidt Drei ein, „sofort den Keller zu besetzen?“
Schmidt Vier entsetzte sich beinahe, und sein Erstaunen veranlaßte ihn, mehr zu sprechen, was er vielleicht je ohne Unterbrechung gesprochen hatte.
„Was ist denn heute mit Ihnen, Schmidt Drei?“ sagte er. „Der Kerl hat gestohlen, das können Sie sich doch wohl denken. Und der Polizeirath muß meinen, daß es sich hier um einen großen Diebstahl handele, sonst würde er nicht uns alle Drei aufgeboten haben; das können Sie sich doch auch denken. und der Kerl hat erst heute Nacht gestohlen und also das Gestohlene noch nicht zu Gelde gemacht; auch das müssen Sie sich denken können. Also auch, daß er in diesem Keller den Handel machen oder wenigstens vorbereiten will. Können Sie sich denn nun nicht denken, was passiren würde, wenn wir wie dumme Polizeisergeanten in den Keller dort einfielen? Unten würden wir eben nichts finden, als den Liedke, der ruhig seinen Kümmel verzehrte und uns auslachte. Also fort, Jeder auf seinen Platz. Nur immer vorsichtig.“
Schmidt Drei erwiederte auf die ihm einleuchtenden Bemerkungen von Schmidt Vier nichts.
Die drei Gensd’armen begaben sich auf ihre Posten. Schmidt Zwei eilte in die kurze Straße, Schmidt Drei in die große frankfurter Straße, Schmidt Vier schlich an den Häusern entlang in ein offenes Haus, das unmittelbar neben dem Keller lag, in welchem der Dieb verschwunden war.
Er hatte hier kaum zehn Minuten gewartet, als Ludwig Liedke aus dem Keller wieder herauskam. Er sah völlig unbefangen und unverdächtig aus. Er trug auch nichts bei sich, nicht das kleinste Päckchen. Die Hände in den vordern Taschen seines grünen Flausches, wollte er quer über die Straße schlendern, an deren anderer Seite sich eine Barbierstube befand.
Als er über die Straßenrinne schritt, vertrat ihm plötzlich der lange Gensd’arm den Weg. Er erschrak nicht. Er schien nicht einmal überrascht zu sein. So sicher mußte er sich jetzt fühlen. Er mußte also auch ein gutes, sicheres Geschäft abgeschlossen haben.
„Guten Morgen, Liedke,“ sagte der Gensd’arm.
„Ei, sieh da, guten Morgen, Herr Schmidt.“
„Wohin wolltest Du da?“
„Mich barbieren lassen, Herr Schmidt.“
Der Dieb machte zugleich eine Handbewegung um sein struppiges Kinn herum.
„Und Du kommst?“
„Wie Sie sehen, aus dem Keller da.“
„Und da hast Du?“
„Eenen genommen.“
„Ich kann es mir denken. Wie viel Ueberverdienst hast Du aus dem Zuchthause mitgebracht?“
„Einen Thaler vier Groschen.“
„Und wie viel Reisegeld gaben sie Dir mit?“
„Elf Silbergroschen drei Pfennige. Sie wissen ja, auf die Meile einen guten Groschen, und Brandenburg ist neun Meilen von hier.“
„Wie viel hast Du noch davon?“
„Verflucht wenig. Es ist heiß und da hat man Durst.“
„Komm mit mir in den Keller.“
„Sie wollen mich traktiren, Herr Schmidt?“
„Wir wollen sehen.“
Der Gensd’arm führte den Dieb in den Keller zurück, aus dem dieser gekommen war. Der alte Dieb schien ihm voll Verlegenheit zu folgen.
Die berliner Keller sehen meist einander ähnlich. Auch dieser war wie der in der Markgrafenstraße. Es war auch nichts Verdächtiges darin zu bemerken. Gäste waren nicht da. Der Wirth sah aus wie der ehrlichste Mann von der Welt. Das prüfende Auge des Gensd’armen zeigte, daß dieser ihn, vielleicht zugleich darum, für einen desto größeren Spitzbuben hielt.
Der Gensd’arm setzte in dem Keller sein Inquiriren nicht fort. Er stellte sich an das auf die Straße führende Fenster, und blickte durch die Scheiben auf die Straße. Um das, was in der Kellerstube vorging, schien er sich nicht zu bekümmern. Ludwig Liedke nahm dies für gewiß an. Er faßte leise und langsam in seine
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_496.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)