Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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geschnitten, und dazu noch am ganzen Körper es blau geknippen. Dem kleinen, noch nicht zweijährigen Kinde hatte aber die Unmenschliche das Bein über der Wiege zerbrochen.
Ein banges Gefühl ließ mich sofort die Thäterin ahnen. Ich ging, um mich selbst zu überzeugen, in das Haus des Unglücks, ließ mir die Kinder entkleiden, und sah hier die traurige Wahrheit des Berichteten, den Mitleid erregenden Zustand der Kinder; – und die schreckliche Thäterin war abermals keine Andere, als Anna! – So viel des Unglücks aber mußte sich erst ereignen, ehe dieses Mädchen durch Entziehung ihrer Freiheit unschädlich gemacht wurde! – Sie kam nun, wie dies nicht anders zu erwarten war, in ernste Untersuchung. Während ihrer Untersuchungshaft besuchte mich Herr Hofrath Dr. von S., um sich von mir über die Gefangene einige Notizen zu erbitten.
Nachdem ich dem Herrn Hofrath meine Ansichten über den Zustand des Mädchens entwickelt hatte, bat mich derselbe, mit ihm selbst in das Gefängniß des Mädchens zu gehen, um gemeinschaftlich ein Verhör mit ihr vorzunehmen. Und hier sei nun zum Schlusse dieses traurigen Ereignisses gesagt, daß bei jenem Verhöre meine erste Ansicht von dem Zustande des Mädchens die vollste Bestätigung fand. Nach ihren eigenen Zugeständnissen waren alle von ihr verübten grausamen Handlungen die nächsten traurigen Folgen ihrer Hingebung an jene unnatürliche beklagenswerthe Gewohnheit gewesen. So viel mir bekannt geworden, ist das Mädchen in der Korrektionsanstalt zu W. bis zu ihrer Mündigkeit untergebracht worden. Möchte sie von dort wirklich gebessert einst zurückkehren!
Kurden- und Kosaken-Bilder.
Als die Engländer Kertsch, das asow’sche Meer und selbst die Mündungen des Don genommen hatten, erließ General Andrijanen, jetziger Hetman der Don-Kosaken, einen Aufruf an sämmtliche Bewohner der Donufer, worin er zu einem allgemeinen Landsturme gegen die Alliirten aufruft. Die Hauptstelle darin lautet:
„Liebe Kameraden! Die bitteren Feinde unseres geliebten Landes haben Besitz genommen von unsern Befestigungen in Kertsch, sind vorgedrungen in’s asow’sche Meer und drohen, unsere Küsten zu verwüsten. Euer Hetman rief Euch schon voriges Jahr um Euern Beistand an, um die Eindringlinge zu vertreiben. Jetzt ist die Stunde gekommen, dem Feinde die Unbezwinglichkeit Eurer Arme zu zeigen. Hat jemals ein Feind von außerhalb über Rußland gesiegt? Nein! So laßt uns denn rüsten, dem Feinde in einer Weise zu begegnen, wie sie dem Kaiser gefällt, und wie sie unsern Mitbrüdern als Muster von Tapferkeit und Selbstverleugnung dienen kann. Meine Freunde, bringt mit Euch so viel Waffen und Lebensmittel als möglich. Bei Eurer Ankunft hier (in Neu-Tscherkask) werdet Ihr mit Munition versehen und findet uns bereit, unser tapferes Corps zu verstärken.“ Nach einigen Details über Formirung von Colonnen und die Art der Märsche schließt der Aufruf: „Eilt hierher, Freunde! Eilt zu den Waffen, zur Vertheidigung Eures Landes und zum Ruhme unsers geliebten Kaisers!“
Man sieht, daß an den freiwilligen Patriotismus der Kosaken-Bevölkerung appelirt wird, so daß es scheint, als halte man selbst in Rußland die freie Vaterlandsliebe für wirksamer, als die sonst übliche Zwangsaushebung zum Soldatendienste. In Bezug auf die Kosaken wird das auch ganz besonders richtig sein. Sie sind von Natur gar nicht so außerordentlich tapfer und russisch-patriotisch, als wofür sie gelten und wie sie’s auch geworden sind, aber Rußland hat ihnen von jeher, seitdem sie ihre Unabhängigkeit verloren, besondere Tapferkeit und romantischen Patriotismus zugetraut und nachgerühmt. Dadurch sind sie tapfer und patriotisch geworden. Von Natur sind die Kosaken ganz liebenswürdige und kreuzfidele Leute, sonst aber nichts Apartes, sondern im Gegentheil alles Mögliche, namentlich in Bezug auf Abstammung und Race: Circassier, Russen, Malo-Russen, Tartaren, Griechen, Polen, Türken, Calmücken, Armenier und (ich möchte wetten) auch deutsche Schneidergesellen, eine Verknäuelung aller möglichen türkisch-russischen, russisch-tartarischen und chinesisch-mongolischen Misch- und Grenzvölker, deren Unzufriedene und Flüchtlinge sich in den ungeheuern Steppen Südrußlands zu verschiedenen Zeiten niederließen und am Don und andern Flüssen des asow’schen und caspischen Meeres mit der Zeit zusammenfanden. Die Abgeschlossenheit von der übrigen Welt, die Gemeinsamkeit in Leiden und Freunden des Kampfes mit der Natur, die natürliche Heiterkeit und Gutmüthigkeit der meisten Zweige des mongolischen Menschenstammes (insofern sie noch nicht durch künstliche Barbarei demoralisirt wurden) ließ bald aus dieser Mischung ein eigenes nationales Kosakenthum erwachsen, dessen Hauptcharakterzüge in Geduld und Ausdauer, Schnaps oder besser Punsch und heiterer Geschwätzigkeit, Tanz- und Gesangslust bestehen. Wer sich lebhaft vorstellen kann, was eine Steppe ist, wird in derselben leicht die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_493.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)