Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
|
Nirgends so sehr, als in Frankreich, ist weiblicher Einfluß in der Politik thätig und mächtig gewesen, weil nirgends die Politik von jeher einen so persönlichen Charakter gehabt hat, und so wie dort, mehr von den Launen und Leidenschaften der Herrscher, als von den Interessen des Volkes bestimmt worden ist. Doch haben auch anderwärts nicht selten Frauenhände bedeutsam in das Rad der Geschichte eingegriffen. Jenes „Glas Wasser“, welches einen hochberühmten Feldherrn (Marlborough) und seine kriegerisch gesinnte Partei am Hofe von England in Ungnade stürzte, dadurch England von der Allianz gegen Ludwig XIV. losreißen half, und also unmittelbar wenigstens dazu beitrug, die ganze Gestalt der europäischen Verhältnisse zu ändern, ist mehr als eine bloße dramatische Erfindung; ebenso jenes „Mädchen von Marienburg“, Katharina, Peter’s des Großen Gattin, die durch ihre Geistesgegenwart, ihre Unterhandlungsgabe und die Aufopferung ihrer Kostbarkeiten ihren Gemahl aus der gefährlichen Lage, in welche er im Türkenkrieg gerathen war, befreit, und ein schweres Verhängniß von ihm und seinem jungen Reiche abwandte.
In Deutschland gab es leider auch eine Zeit, wo, wie alles Französische nachgeahmt ward, so auch weiblicher Einfluß, noch dazu der unberechtigsten und niedrigsten Art, an den meisten deutschen Höfen herrschte. Beinahe nirgends trieb man’s darin so schamlos, als in Würtemberg, wo zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ein Fräulein von Grävenitz, die Geliebte des Herzogs Eberhard Ludwig, förmlich im Geheimen Rathe den Vorsitz führte, Stellen und Gnadenbezeigungen austheilte und die ersten Aemter mit ihren Verwandten und Günstlingen besetzte. Auch unter Karl Eugen von Würtemberg, bei jenen Scenen des Despotismus, in denen fürstliche Geistesbeschränktheit den aufstrebenden Genius eines der größten Dichter, Schiller’s, zu unterdrücken, fürstliche Rachgier das freimüthige Erkühnen eines andern Dichters, Schubart, grausam zu strafen sich unterfing, spielte ein Weib, die unter dem Namen Francisca bekannte und u. A. in den „Karlsschülern“ auf die Bühne gebrachte Geliebte des Herzogs, keine unbedeutende Rolle. Auch in Sachsen, besonders unter August dem Starken, in Preußen unter dem ersten König Friedrich und dann wieder unter Friedrich Wilhelm II., in Baiern unter Karl Theodor, ja selber an den Höfen geistlicher Fürsten übten Frauen lange Zeit eine Macht, die sich, wenn nicht weiter, doch wenistens fast immer auf einen unverantwortlichen Mißbrauch der Landeseinnahmen, eine Bedrückung der Unterthanen und eine Zurücksetzung des wahren Verdienstes durch ein System der Gunstbuhlerei oder der Bestechung erstreckte. Wie diese fürstlichen Maitressen in einem Glanze schwelgten, zu welchem oft das Elend der Länder, die sie aussaugen halfen, einen tiefschmerzlichen Kontrast bildete, wie sie sich mit Perlen und Juwelen schmückten, an denen der Schweiß und das Blut des armen Volkes klebte, das hat unser Schiller in seiner „Lady Milford“ (in „Kabale und Liebe“) mit furchtbarer Wahrheit geschildert – nur daß die Geschichte von keiner fürstlichen Geliebten weiß, die, gleich jener Lady, aus eigener besserer Herzensregung ihre schmach- und fluchbeladene Lebensstellung aufgegeben hätte.
Wo solches Weiberregiment herrscht, da müssen wohl die Männer selber weibisch sein, oder weibisch werden. Ein ächter, ein männlicher Charakter bleibt gegen solche Verführungen kalt. – Darum scheiterten auch an einem Karl XII. von Schweden alle Reize der schönen Aurora von Königsmark, welche August der Starke diesem, als den besten Unterhändler, wie er meinte, entgegengesandt hatte. Die schöne Gräfin, die einen August, bei der ersten Begegnung zu ihren Füßen gesehen hatte, mußte die Beschämung erleben, daß der rauhe schwedische Kriegsheld auf die ungalanteste Weise mit ihr von nichts als von der Vortrefflichkeit seiner großen Stiefel sprach, und sie mit ihrer diplomatischen[WS 1] Mission unverrichteter Sache wieder abziehen ließ.
Um die Unwürdigkeiten, welche ein Menschenalter hindurch mehr oder weniger fast alle deutsche Völkerschaften durch die schnödeste Maitressenherrschaft erduldet haben, zu vergessen und zu verschmerzen, wenden wir gern unsere Blicke nach einer anderen, wohlthuenderen Seite unserer vaterländischen Geschichte, wo wir, wie durch eine eigenthümliche Schickung (als sollte das Andenken an jenen verderblichen Fraueneinfluß auch wieder durch eine Frauenwirksamkeit der edelsten Art ausgelöscht und gesühnt werden), in mehreren deutschen Ländern gerade Fürstinnen eine segensreiche, kraftvolle und umsichtige Thätigkeit entfalten sehen. Nur zu nennen brauche ich die edle und geistvolle Amalie von Weimar, die feinsinnige Freundin Wieland’s, die Bildnerin des ihrer würdigen Sohnes, und mit ihm die Begründerin von „Weimars Musenhof“, dieser unvergänglichen Zierde jenes kleinen Ländchens und des ganzen Deutschlands.[1] Weniger allgemein bekannt, aber gleichfalls unvergessen in der Geschichte der Länder, denen zum Segen sie wirkten, sind die Fürstin Pauline zu Lippe, welche achtzehn Jahre lang (1802–20) als Vormünderin ihres Sohnes das kleine Ländchen musterhaft regierte, und selber Napoleon so viel Achtung abgewann, daß er ihr Gebiet verschonte,[2] und jene Landgräfin Karoline von Darmstadt, von welcher Wieland wünschte, daß sie über Europa herrschen möchte. Und wie könnte ich aus der neuesten Zeit die edle Königin Louise von Preußen unerwähnt lassen, deren entschlossene Begeisterung für die Wiedererhebung des niedergeworfenen Vaterlandes die Unentschlossenheit manches männlichen Geistes beschämte und überwand?
Auch in noch weit größeren Verhältnissen, als Selbstherrscherinnen auf den mächtigsten Thronen, haben sich Frauen ihrer hohen Aufgabe gewachsen gezeigt, und in der Geschichte einen ebenbürtigen Platz neben den Männern, ja vor vielen dieser, behauptet. Die Regierungen einer Elisabeth von England und einer Katharina II. von Rußland ließen männliche Kraft, Umsicht und Entschlossenheit nicht vermissen, und gehören in vielen Beziehungen zu den glänzendsten Blättern in den Annalen jener Länder. Dennoch verleugnete sich die Schwäche des weiblichen Naturells in keiner jener beiden Fürstinnen – und freilich rechnet auch die Geschichte mit Frauen strenger, als mit Männern, mit den gekrönten so gut wie mit den ungekrönten. Ungern mag sie schon die Liebesintriguen, denen sich auf das Rücksichtsloseste die russische Selbstherrscherin, mit etwas mehr Zurückhaltung die jungfräuliche Königin von England hingab, sowie die Grausamkeit übersehen, womit Beide ihre ungetreuen oder lästig gewordenen Liebhaber behandelten (obgleich Männer auf Thronen sich vielfach noch Schlimmeres gestattet haben); auf häßlichere Flecken in dem Bilde jener beiden fürstlichen Frauen sind der von der einen unter den mißbrauchten Formen des Rechts an einer Nebenbuhlerin (Maria Stuart) verübte Mord, und die von der anderen durch Intriguen der unwürdigsten Art herbeigeführte Zerrüttung des Nachbarreichs Polen.
Die[WS 2] Dritte in der Zahl der berühmten großen Selbstherrscherinnen, Maria Theresia, hat sich weder durch so glänzende Eigenschaften, wie Elisabeth und Katharina, ausgezeichnet, noch mit ähnlichen Verirrungen und Verbrechen, wie jene, befleckt. Den Anfang ihrer Regentenlaufbahn bezeichnete sie durch eine ächt weibliche Heldenthat, indem sie, die junge, kaum auf den Thron gelangte Herrscherin, ringsum von Feinden bedrängt, welche ihr das Erbe ihrer Väter und ihrem kleinen Sohn den Thron, für den sie ihn geboren, rauben oder doch schmälern wollten, sich in die Mitte ihrer getreuen Ungarn begab und diese durch ihren Anblick, durch die entschlossenen Worte, die sie zu ihnen sprach, und durch die Hinweisung auf das Kind, das sie auf ihren Armen trug, zu allgemeiner Begeisterung für ihre Sache entflammte. In der Regierung ihrer Staaten zeigte sie zwar nicht die geniale Schöpferkraft einer Elisabeth oder Katharina, aber mit sorglicher Umsicht und gestützt auf den Rath wohlgewählter Minister, suchte sie wenigstens die materiellen Kräfte ihrer Länder möglichst zu entwickeln, die Gesetzgebung zu ordnen, Wohlstand und Zufriedenheit zu verbreiten. Leider vereitelte die Erfüllung dieser wohlmeinenden Absichten zum großen Theil der schädliche Einfluß ihrer bigotten geistlichen Rathgeber, der Jesuiten, gegen die sie eine Schwäche bewies, welche wir als einen Ausfluß ihres weiblichen Naturells bezeichnen würden, wenn nicht auch männliche Throninhaber sich einer gleichen Schwäche vielfach schuldig gemacht hätten. Eher möchte als weiblicher Eigensinn an ihr zu tadeln sein, daß sie ihrem großen Sohn Joseph, dessen aufgeklärte Ideen freilich mit den ihrigen nicht sehr im Einklange standen, bis in sein reifstes Alter hinauf, und selbst noch dann, als er schon längst die Kaiserkrone des deutschen Reichs trug,
Anmerkungen (Wikisource)
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_489.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)