Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Das ist so nicht der Bursch des Herrn Lieutenants!“ fuhr sie erschrocken fort. Der junge Mann erschrak nicht.
„Darin könnten Sie Recht haben!" sagte er ruhig.
„Und wer sid Sie denn?“
„Ich bin der Bursche des Offiziers, mit dem der Lieutenant gekommen ist.“
Fräulein Dorte war noch mißtrauisch.
„Und wie heißt denn Ihr Lieutenant?“
„Müssen Sie seinen Namen so genau wissen?“
„Ich möchte doch wohl.“
„So warten Sie einen Augenblick. Sobald ich dem Herrn frisches Wasser gebracht habe, führe ich Sie Beide zu unserm Quartier; da werden Sie auch meinen Kameraden treffen, und noch ein Paar andere Freunde. Grog und Karten haben wir schon, es fehlen nur noch hübsche Mädchen.“
Die beiden Fräulein sahen einander versöhnt an.
„Was meinen Sie, Rieke?“
„Und Sie, Dorte?“
„Rieke, wo bleibt Sie denn? Will Sie den Augenblick heraufkommen!“ rief oben auf dem Flur eine kreischende Stimme.
Eine andere, nicht minder kreischende rief gleich hinterher: „Ist die liederliche Dorte auch schon da unten? Ich will Sie Mores lehren. Das hat man davon, wenn Soldaten in's Haus kommen.“
Die beiden Mägde eilten die Treppe hinauf.
Der Dietrich des Diebs paßte; die Thür zu der Stube des Lieutenants von Maxenstern öffnete sich. Der Dieb kehrte an die Hausthür zurück, öffnete sie halb und flüsterte hindurch: „Lude!“
Sein Gefährte in dem grünen Flausch sprang die steinerne Dreppe hinauf.
Die beiden Diebe gingen in das Zimmer des Lieutenants. Einen Augenblick lang ließen sie die Thür noch offen, um vermöge der Helle des Flurlichtes sich orientiren zu können. Sie sahen auf dem kleinen Tische unter dem Spiegel in einem messingenen Leuchter eine Kerze und daneben Zündhölzer. Einer machte die Thür zu, der Andere zündete die Kerze an.
Jetzt besichtigten sie zuerst rasch Zimmer und Alkoven.
„Von innen wäre keine Gefahr,“ sagte der Jüngere. „wir müssen uns auch nach außen sichern. Mach einen Fensterladen halb auf und dann das Fenster, damit Du die Strasse beobachten kannst.“
Der Alte verfuhr nach der Anweisung. Der Jüngere machte sich an den Schreibsekretair. Er besah das Schloß der Klappe, er suchte unter seinen Nachschlüsseln. Schnell hatte er einen gefunden, der ihm zu passen schien. Zu dem fabrikmäßig gearbeiteten Schlosse paßte das Instrument in den Händen des erfahrenen und gewandten Diebes in der That. Die geöffnete Klappe des Sekretairs fiel herunter. Der Dieb lächelte still höhnisch, als er im Innern des Sekretairs das kleine verschlossene Thürchen erblickte.
„Reiß es aus, oder laß mich das Puppenschloß aufreißen!“ rief eifrig der Alte, der, als er die Klappe fallen hörte, neugierig und ungeduldig seinen Posten am Fenster verlassen hatte, und zu dem Sekretair gesprungen war.
„Ruhig, zurück auf Deinen Posten!“ befahl ruhig der Andere.
Er zog aus seinem Bund einen anderen, feinern Haken hervor; nach einigen Sekunden war auch das kleine Thürchen im Innern des Sekretair geöffnet. Der Alte sprang wieder von dem Fenster zurück. Der Jüngere langte aus dem Behälter des Sekretairs ein Päckchen hvervor. Er besah es, er wog es in der Hand. Es war sorgfältig in Papier eingewickelt und mit einem rothen Bändchen umwunden; es wog leicht.
„Die Liebesbriefe des Herrn Lieutenants,“ sagte er halb ärgerlich, halb verächtlich.
„Oeffne es!“ rief der Alte ungeduldig, während seine Augen sich entschleierten und mit einem unheimlichen Feuer stachen, und sein Körper zitterte.
„Oeffne, Junge!“
Der Jüngere öffnete. Auch seine Augen fingen an zu leuchten von einem heftigen, wilden Feuer. Er hielt das Päckchen Kassenanweisungen in der Händ, uneröffnet und unversehrt, wohl versiegelt und überschrieben, wie es aus der Regierungshauptkasse gekommen war. Das Heirathsgut, das Glück des armen Lieutenants!
„Zwölftausend Thaler in königlich preußischen Kassenanweisungen,“ las er.
Auch der Alte las es. Der Anblick machte einen fast wunderbaren Eindruck auf den ergrauten Dieb.
„Fritz, Junge!“ rief er. „Zwölftausend Thaler! Ich erbärmlicher Kerl! O, ich elender Lump! Da bin ich fast sechzig Jahre alt, und habe seit länger als fünfzig Jahren gestohlen, und mein ganzes Leben hat mir keine zweitausend Thaler eingebracht!“
„Aber,“ versetzte spöttisch der Andere, „dafür mehr als dreimal zwölf Jahre Zuchthaus. Doch, alter Kerl, ich glaube wahrhaftig, du weinst.“
„Ja, Fritz, ich weine, und ich schäme mich meiner Thränen nicht. Ich habe ein weiches Herz. Zwölftausend Thaler! Und mit einem Male! Sieh, ich habe niemals geträumt, daß ich noch einmal ein reicher Kerl würde.“ Auf einmal unterbrach er sich. „Gieb das Geld her. Ich habe noch nie so viel Geld in der Hand gehabt. Ich muß wissen, wie das ist.“
Der junge Mann war ruhig geblieben, wie immer.
„Das Glück hat Dich närrich gemacht, alter Thor,“ sagte er. „Komm, laß uns fortmachen, ehe man uns hier trifft.“
Der Andere wurde heftig.
„Gieb mir das Gold. Du traust mir nicht?“
„Komm, Narr!“
„Wenigstens meine Hälfte will ich. Wir wollen theilen, auf der Stelle.“
Die Augen des jungen Mannes funkelten zornig.
„Höre, alter Narr,“ sagte er, „sprichst Du noch ein Wort, so schmeiße ich Dich aus dem Fenster, daß Du da unten im Rinnstein die Knochen zerbrichst.“
Er hatte dem Alten imponirt. Dieser wurde still; aber mit leeren Händen das Zimmer zu verlassen, das schien dem alten Gewohnheitsdiebe unmöglich. Er blickte um sich her. Er sah den Kleiderschrank. Er flog darauf zu. Der Schlüssel steckte darin. Er öffnete ihn.
„Laß die Kleider hängen!“ rief ihm sein Gefährte zu. „Sie können uns verrathen.“
Der Alte war eigensinnig geworden.
„Bekümmere Dich um Dich,“ antwortete er trotzig.
Er bepackte seinen Arm mit den Uniformstücken des Offiziers. So wollte er forststürzen.
„Mach erst den Schrank zu!“ befahl ihm der Jüngere.
„Warum das?“
„Ich habe es von Dir selber gelernt. Ein Diebstahl muß so spät entdeckt werden, wie möglich.“
Der Alte verschloß gehorsam den Schrank. Der Andere hatte bereits sorgfältig den Sekretair wieder verschlossen. Er löschte vorsichtig das Licht aus. Beide verließen die Stube. Draußen verschloß er nicht minder vorsichtig die Thür der Stube.
Es war Mitternacht, als der Lieutenant von Maxenstern in sein Quartier zurückkehrte. Von seiner Braut hat er sich noch zu Jagor begeben müssen, wo seine Freunde zu seiner Bewillkommung in Berlin ein kleines Abendessen veranstaltet hatten.
Der Lieutenant kehrte in der heitersten und glücklichsten Stimmung von der Welt zurück. Seine Braut hatte bei Mittheilung seines und ihres Glücks vor Freuden geweint. Erst jetzt, da es bald zu Ende sein sollte, hatte sie ihm alles das Leiden vertraut, das sie seit Jahren in dem Hause des Freundes ihres Vaters erduldet hatte. Sie hatten tausend Pläne des neuen Glücks und der Freude gemacht.
Die Freude der Kameraden und der Jagor’sche Wein hatten den Offizier noch fröhlicher gestimmt.
Er hatte den Schlüssel seines Zimmers mit sich genommen. Die Thür öffnete sich damit. Er fand das Licht an der Stelle, an der er es zurückgelassen hatte, daneben die Zündhölzer. Er zündete es an. In dem Zimmer war Alles an seinem Platze. Er warf einen Blick nach dem Sekretair, in dem er seinen Schatz verwahrt hatte. Er fand ihn verschlossen. An ein weiteres Nachsehen dachte er nicht. Auch seine bisherigen Blicke waren wohl nur mehr instinktmäßig, als von einem Verdachte geleitet gewesen. Er gab sich ganz seinem Glücke hin. So legte er sich zu Bette, schlief bald ein, und träumte vielleicht süß.
Der arme Lieutenant!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_486.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)