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Seite:Die Gartenlaube (1855) 485.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Nun?“

Der Alte war freundlicher und noch geschwätziger geworden.

„Alles gut, Alles vortrefflich, mein Junge. Heute werden wir einen Fang machen! Schon sobald nach unserer Rückkehr in diese liebe Residenz. Du hast doch Glück, Junge, daß Du mich hier gleich getroffen hast. Ohne mich – “

Der Andere war finster und einsylbig geblieben.

„Schwatze nicht, Kerl! Wie ist es inwendig!“

„Ein ordinärer Flur. Rechts die Stube des Offiziers; die Thüre gleich vorn im Flur.“

„Doppelthür?“

„Eine einfache. Es ist die einzige auf der Seite. Auf der andern Seite sind zwei Thüren. Auf dem Schilde an der ersten stand der Name eines Geheimenkanzleisecretärs, auf dem an der zweiten der Name eines prinzlichen Kammerlakaien.“

„Warst Du oben?“

„Ich hielt es nicht für nöthig.“

„Gut.“

Der Alte wurde plötzlich ernst.

„Gut, sagst Du. Und jetzt fängt unsere Noth an.- “

„Welche?“

„Hast Du Handwerkszeug? Hast Du einen Centrumbohrer?“

„Nur ein einfaches Stemmeisen?“

„Schweig. Wie viel Geld hast Du noch?“

„Einen halben Thaler.“

„Gieb her.“

„Was, Alles? Meinen ganzen Nebenverdienst?“

„Warum warst Du das Jahr über in dem Zuchthause nicht fleißiger? Gieb her.“

„Was willst Du mit dem Gelde?“

„Du wirst es erfahren.“

Der Alte zog sein ledernes Beutelchen wieder hervor und schüttete den Inhalt in die Hand seines Gefährten. Es waren drei Fünfsilbergroschenstücke.

„Du bleibst hier,“ sagte dann der Jüngere zu ihm. „Ich hole mein Sperrzeug.“

Der Alte fuhr bei dem Worte vor freudigem Schreck in die Höhe.

„Sperrzeug! Du hast welches, Herzensjunge? Wie bist Du dazu gekommen? Erst gestern hier angekommen? Von der Festung entsprungen? Wo hast Du es?“

„Schrei nicht so, Bursche, sondern höre aufmerksam zu. Die Offiziere können spät in der Nacht, sie können aber auch früh zurückkommen. Vor halb zehn Uhr muß Alles vorbei sein. Jetzt ist es schon sieben durch. Mein Sperrzeug liegt wohlvergraben , draußen am Windmühlenberge, schon seit sechs Jahren, so lange als ich sitze. Von hier bis zum Windmühlenberge ist eine halbe Meile. Wollte ich den Weg hin und zurück zu Fuße machen, so würde es zu spät. Darum mußte ich Dein Geld zu einer Droschke haben. Ich fahre gleich hin. Du bleibst unterdeß hier und behältst das Haus im Auge. Gieb wohl Acht, auf Alles, was rein und ausgeht.“

Unter der Rampe des Kammergerichts ist ein Haltplatz für Droschken. Der junge Mann begab sich dahin, stieg in eine Droschke, rief dem Kutscher zu. „Nach dem rosenthaler Thor, rasch!“ – und fuhr davon.

Der Alte begab sich in die Markgrafenstraße zurück und ging darin auf und ab, bald auf der einen, bald auf der andern Seite, bald in der Mitte der Straße, aber das Haus Nummer 92 immer im Auge behaltend.

Mit dem Glockenschlage halb neun kam in raschem Trabe von der Commandantenstraße her eine Droschke nach dem Kammergerichte zu herangefahren. Sie hielt an dem Haltplatze dort. Eine halbe Minute später waren die beiden Diebsgefährten wieder vereinigt.

Der Alte war dem Zurückkehrenden ungeduldig entgegengeeilt.

„Hast Du?“ fragte er.

„Ja.“

„Alles? Auch Bohrer und Stemmeisen?“

„Für den Nothfall auch die. Vorerst werden Dietriche und Haken ausreichen.“

„Du hast die auch? Du bist ein prächtiger Junge. Ich werde stolz darauf, daß ich Dich angelehrt habe. Ich habe es immer gesagt, aus Dir würde etwas werden, Du würdest Deinen Lehrmeister übertreffen. Ich bin nicht neidisch auf Dich.“

„Ist Nichts vorgefallen?“

„Nichts. Ein paar Mägde gingen ein und aus; das ist Alles.“

„Ist auch der Bursche nicht zurück?“

„“Nein.“

„Komm. Aber zuerst folge mir dorthin.“ Er zeigte nach der Lindenstraße.

„Was willst Du da?“

„Du wirst es sehen.“

Der Jüngere führte den Alten in die Lindenstraße, und dort in eines der nächstgelegenen Häuser, das einen nicht verschlossenen und nicht erleuchteten Hausflur hatte. Der Flur war leer. Die beiden Diebe stellten sich in den dunkelsten Raum hinter der Hausthür.

„Du hast doch meine Soldatenjacke noch?“ flüsterte der Jüngere seinem Gefährten zu.

„Zusammengedrehet in meiner Rocktasche.“

„Gieb her.“

„Was willst Du damit?“

„Sie anziehen.“

„Du bist ja darin entsprungen. Du gabst sie mir, um durch sie nicht verrathen zu werden, wenn sie bei Dir gefunden würde.“

„Jetzt muß sie mir helfen. Wenn ich drüben bei der Arbeit bin, und es käme Jemand, so muß man mich für den Burschen des Offiziers halten.“

„Weiß Gott, Junge, Du machst meiner Erziehung Ehre.“

Der Alte zog die zusammengewickelt Soldatenjacke aus der Tasche und steckte das zu kurze Kamisol seines Gefährten dafür wieder ein. Dieser zog die Jacke an. Sie gingen zu der Markgrafenstraße und zu dem Hause Nummer 92 zurück.

„Ich gehe zuerst allein in das Haus,“ sagte der Jüngere. „Du passest draußen auf. Kommt etwas Verdächtiges, kehren die Offiziere zurück, so giebst Du mir sofort Bescheid. Sobald ich die Thüre offen habe, rufe ich Dich.“

Er erstieg die Treppe, öffnete die Hausthür und trat in den Flur, dreist und unbefangen, als wenn er in das Haus gehöre. Die Thür lehnte er hinter sich nur an. Der Flur war leer.

Er hatte sich mit einem raschen Blicke darin umhergesehen. Er wandte sich zu der Thür des Offziers. Er horchte einen Augenblick davor. Er hörte nichts. Auch sonst war Alles still im Hause. Nur in einem der obern Stockwerke hörte man Stimmen. Kinder und Erwachsene sprachen mit einander. Jene schienen zu Bett gebracht zu werden.

Der Dieb zog aus seiner Hosentasche vorsichtig ein Bund Nachschlüssel hervor. Er versuchte den ersten an dem Schlosse der Thür. Der Schlüssel wollte nicht öffnen. Er nahm einen zweiten.

In diesem Augenblicke öffnete sich oben eine Thür. Schritte naheten sich der Treppe. Es schienen Schritte eines Frauenzimmers zu sein. Der Dieb wurde unentschlossen. Sollte er bleiben oder fliehen? Er blieb und versuchte weiter an dem Schlosse.

Eine Magd kam die Treppe herunter; sie trug ein Licht in der Hand, sie schien in den Keller zu wollen.

Sie stutzte, als sie den jungen Mann in der Soldatenjacke sah. Der junge Mann wandte ihr unbefangen sein volles Gesicht zu. Es war ein schönes Gesicht; die Magd ging nicht nach dem Keller, sondern zu dem hübschen jungen Mann.

„Sie sind wohl der Bursch von dem Herrn Lieutenant, der hier heute Abend eingezogen ist.“

„Ich wollte dem Herrn Lieutenant frisches Wasser besorgen. Der verdammte Schlüssel will nicht öffnen.“

„Soll ich Ihnen leuchten?“

„Ich danke Ihnen; Sie werden keine Zeit haben.“

„O, die da oben können warten.“

Von der Treppe erscholl eine spitzige Stimme herunter.

„So, Fräulein Rieke, schon Bekanntschaft gemacht?“

Fräulein Rieke antwortete nicht minder spitz:

„Wie Sie sehen, Fräulein Dorte.“

Fräulein Dorte, die Magd einer zweiten, oben wohnenden Herrschaft, kam vollends die Treppe herunter.

„Das muß ich sagen, Fräulein Rieke –“

„Was müssen Sie sagen, Fräulein Dorte? Daß sie eifersüchtig auf mich sind? Sie hatten Ursache dazu.“

„Was Sie sich einbilden! Was ist denn das?“

Fräulein Dorte war näher getreten und hatte sich den vermeintlichen Burschen des Offiziers näher angesehen, der freilich ihr nicht voll sein Gesicht zuwandte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_485.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)