Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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nach langer Zeit murmelnd am Ufer zu verenden und dann wieder dem Summen der Abendfalter und verspäteten Bienen und Käfer die Herrschaft der Tönewelt allein zu überlassen. Melodisch klang zuweilen der Ruf eines Barkenführers aus großer Ferne, vom Wasserspiegel und der Abendluft getragen, herüber. Nach und nach glimmten auch die Lichter in Cadenabbia und Menaggio auf, und wenn eins erschien, schoß ein goldener Pfeil hinab in den See, der dann leise zitternd stehen blieb.
Lebhaft contrastirte von der Ruhe des ganzen Sees der Raum um die Terrasse von Bellaggio her. Die Bäume, die dicht die Terrasse beschatteten, glühten von unten her von vielen Lichtern beleuchtet, die auf den Tischen der fröhlichen Gesellschaft standen im hellen Goldgrün. Es wurde gelacht, und emsiges Hin- und Hergleiten der Schatten von Männer- und Frauengestalten vor den Lichtern deutete auf Vorbereitungen zu Wichtigem hin. Dann und wann wurde auch eine Folge kurzer, halb verhaltener Töne hörbar, als würde ein Instrument gestimmt oder probirt. In den Gondeln, die dichtgedrängt am Gondelhafen lagen, wurde hier und da geklopft, und eine große Barke lag, durch die Terrasse versteckt, jenseits im See. Zwischen den schwerfälligen Barken bemerkte ich das lange, schlanke und feine Boot der jungen Damen, in welchem so eben die leichten Ruder von einem elegant matrosenmäßig gekleideten, jungen Manne geordnet und Shawls und Mantillen von einem Diener in Livree niedergelegt wurden.
Neugierig und hungrig stieg ich auf die Terrasse empor, nachdem ich mir die Gondel meines wackern Barkenführers für den Abend auf alle Fälle gesichert hatte. Hier herrschte lebhafte Thätigkeit, die sich sehr deutlich als eine solche kundgab, welche den einigermaßen außergewöhnlichen Unternehmungen wohlhabender Touristen vorauszugehen pflegt. Diese Thätigkeit hatte einen ganz eigentümlichen Charakter, der sich fast nicht bezeichnen, sondern nur empfinden läßt. Allenfalls kann man sagen, es ist die Thätigkeit des schweren Beginnens durch die feste Faust des Dieners und des leichten Vollendens durch die feine Hand des Herrn oder der Herrin; die Thätigkeit, die nur das eigne Behagen vorbereitet oder höchstens nebenbei noch das einer Dame, welcher der Hof gemacht wird – eine Thätigkeit, die, kritisch beleuchtet, miserabel, und wenn man mitten drin ist, charmant erscheint.
Der Theetisch der Engländer war hier, von mehren Windlichtern erhellt, servirt, doch hatten nur die älteren Mitglieder der Gesellschaft daran Platz genommen. Die jüngeren Herren saßen auf der Balustrade, die Beine nach dem See hinabhängend und sprachen nach der großen Barke hinab, andere instruirten ihre Diener und Barkenführer Papierlaternen und Fackeln auf Stäben und in den Booten zu befestigen, andere, unter denen der mehrerwähnte, sehr nette Cousin der Malerin, der seine Papierlaterne wie einen Thyrsusstab schwang, debattirten an einem andern mit Noten bedeckten Nebentische, mit dem Vorstande der Musikbande. Eine Leiter war von der Terrasse hinab in die große Barke gelegt, und ich sah eine dunkle Musikergestalt nach der andern, Horn, Trompete, Posaune oder sonst dergleichen Blitzendes unterm Arm, über die Brüstung hinweg verschwinden. Die große Barke war sinnreich genug eingerichtet, um beleuchtet auf dem See Effekt zu machen. Man hatte das Orchester wohl sechs bis sieben Fuß erhöht, wie eine Art Verdeck darauf gebaut, und es sollte offenbar mit Pechfackeln beleuchtet werden, während eine Reihe kleiner Windlichter den Bord des Fahrzeugs säumte. Diese Barke lag, wie erwähnt, durch die Terrassedämme verdeckt, die vom Gondelplatze aus in den See gingen. Ich beschloß, die Entwickelung des Drama’s abzuwarten und mich überraschen zu lassen, nahm daher dem Amerikaner gegenüber, der schweigend abseits an einem Tische saß, von dem aus man den Gondelplatz deutlich übersah, Platz, ließ mir eine treffliche Seeforelle und eine Flasche Bordeaux geben, und glaubte nun des Kommenden in Ruhe gewärtig sein zu dürfen. Der gute Geist der Mahlzeiten war mit mir, ich schob eben den Teller zurück, als ich fröhlich lachende Frauenstimmen auf dem Quai hörte, und fünf junge Damen von dem Cavalier in Matrosentracht und zwei Dienern gefolgt, mehr laufend als gehend, mit flatternden Mantillen und Hutbändern, die breiten, runden Strohhüte im Luftzug auf- und abklappend, auf das weiße Boot zueilen sah. Der Cavalier hüpfte hinein, reichte die Hand zu, welche die „seetüchtigen“ Damen fast alle ausschlugen und im Nu im schwankenden Nachen standen.
Langsam wirrte sich das liebliche Durcheinander von Lachen, Rufen, Plaudern, Aufschreien, ohne welches niemals eine Unternehmung junger Damen beginnt, auseinander; eine der Damen hatte mit dem Herrn am Steuer Platz genommen, die vier andern sich auf die Ruderbänke geordnet. Die Mantillen fielen und wurden den Dienern zugeworfen, die Damen zeigten sich nun alle als weißgekleidet. Seemäßige Ruhe ward auf dem Boote, die Damen legten die kleinen, zierlichen Ruder ein, ein Gondelführer schob das leichte Gefähr vom Ufer, graziös neigten sich die vier schlanken Gestalten nach vorn, die Ruder schlugen taktmäßig ein und fort schoß das feine Boot wie ein Schwan hinaus auf die weiße silberglänzende Fläche des Sees.
„Welche ist die Fürstin S.?“ fragte ich den Amerikaner.
„Ich weiß nicht!“ antwortete er, die Beine streckend, die Zähne stochernd und den Kopf nicht nach dem reizenden Bilde des immer undeutlicher werdenden Bootes umwendend; in demselben Augenblicke erhielt ich einen leichten Schlag mit dem langen Stiele einer Papierlaterne, und meine freundliche Malerin glitt am Arme des Cousins an mir vorüber, dem Gondelhafen zu. Jetzt bemerkte ich das Treiben ringsumher. Ueberall wurden Papierlaternen und Fackeln angezündet, und wie ein Schwarm Johanniswürmer und großer Leuchtkäfer ergoß sich die Gesellschaft in die Barken. Zugleich auch bog das Musikschiff, wie ein Flammengebilde im See gespiegelt, um die Ecke der Terrasse. Der vielerwähnte Cousin trat wieder in meine Nähe, schlug sein zierliches Messer in einen Zeltpfahl, hing eine Rackete darauf und zündete sie mit seiner Cigarre an. Brausend schoß sie hinauf in den tiefen südlichen Himmel und streute, wie glühende Rubinen, purpurne Leuchtkugeln durch das blaue Mondlicht herab. Nun strömten die Barken vom Gondelplatze hinaus, der schimmernde See wurde von hundert Rudern strudelnd aufgewühlt, und wo einen Augenblick vorher nur das Silber des Mondes wie in einem Stahlschilde geglimmt hatte, flimmerten jetzt unzählige Lichtpunkte in allen Farben durch den ruhigen Glanzstrom, den der Mond auf den See goß. Fast gleichzeitig tauchten wandernde bunte Sterne in allen Uferorten in Balbiano, Tremezzo, Cadenabbia, Varenna, Menaggio auf. Alle diese Lichterscheinungen zogen mit planetarischer Ruhe einem Schwerpunkte zu, der in dem kleinen, weißen Boote, welches wie ein zartes Wölkchen auf der Seefläche ruhte, zu liegen schien.
Erst als ich das entzückende Schauspiel mit seinem großartigen Hintergrunde von abendnebelgekrönten, matt im Mondlicht stehenden, großen Gebirgen betrachtet hatte, entschloß ich mich, meine Barke zu besteigen, die einsam mit ihrer rothen Laterne noch im Hafen lag, um der feenhaften Flotille zu folgen. Noch ehe ich sie erreichte, hatten sich alle die leuchtenden Punkte zu einem wahrhaften Lichtgeschmeide dicht um den kleinen, weißen Nachen gesammelt und von der Orchesterbarke her brach jubelnd Musik, die ordentlich über den See dahinrollte, durch die erhabene Nachtstille. Was man spielte, weiß ich nicht, es war sehr schlechte, lärmende, neuitalienische Musik. Was hätte ich jetzt für zwanzig Takte Mozart oder Cherubini gegeben! Doch war es immerhin Harmonie, was ich hörte, und ich hielt mich fern genug, um nur den holden Eindruck der Tonwellen zu erhalten. All die Lichtwelt von schwärmenden Punkten, mit dem flammenden Orchesterschiff in der Mitte, zog sich unter dem Monde und durch sein Licht hindurch, hinüber nach der Villa Sommariva. Um zehn Uhr verlor ein Rubin, ein Smaragd um den andern sein Feuer, die Lichter verloschen, das Orchesterschiff verstummte, dafür aber glänzten die Fenster der Villa hellauf, der Ball begann dort, und noch lange, während ich mich bis zum Untergange des Mondes, der mit goldenen Hörnern majestätisch hinter dem Croccione versank, auf dem See wiegen ließ, klangen zuweilen verstohlene Tanzrhythmen durch das leise Plätschern des Ruders hindurch, das mich gemächlichen Schlags heimwärts führte.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_481.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)