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Seite:Die Gartenlaube (1855) 480.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Ton in den starren Blättern der südlichen Bäume und Büsche, der Kastanie, dem Lorbeer und Oleander unterschied, bis dann unmittelbar neben mir die großen Blätter der Wasserpflanzen wie grüne Tücher flatterten, so war es, als redeten hier, an der Grenze von Süd und Nord, die Geister beider Regionen vernehmlich mit dem Menschen. Mit einem Buche in der Hand, in vollkommener Ruhe auf eine Bank oder in’s Moos gestreckt, bald in mein Buch, bald auf die paradiesische Welt, bald in den tiefen Himmel blickend, erwartete ich hier den kühlern Abend.

Wenn die Sonnenglut auf den Baumwipfeln aus Gold in Roth überzugehen begann, stieg ich ein Stück herab, wendete mich auf die Südseite des Höhenzugs, ging über einen Vorplatz der Villa, wo auf niedern Steinpostamenten in großen Kübeln Palmen, Dracaenen und Bananen die Fernsicht trennen, und nahm meinen Platz unter einem kleinen Wäldchen, zu dessen Fuß sich eine Felswand absenkt, die, gerade gegen Süden gelegen, die ganze Gunst des hiesigen Klima’s genießt. Cacteen aller Art wuchern im Freien neben kräftigen Agaven, und selbst Dattelpalmen und Bananen wagen es, aus dem freien Boden aufschießend, die feingefiederten oder gewaltigen Blätter im Windhauch zittern zu lassen. Ein wohlgehaltener Weg führt durch diese tropische Vegetation hin, eine Felsengrotte bietet Schutz gegen die Glut der Sonnenstrahlen, und am Abend, wo der Bergschatten dort ruht, während sich die wunderbare Scenerie des Sonnenuntergangs auf dem See entwickelt, war das Plätzchen, das ich gewählt hatte, ein wahres Observatorium der Herrlichkeit der Welt. Drunten auf dem Wege saßen dann meist unsere Engländerinnen aquarellirend und der Ton ihres Geplauders war nicht der harmonischste in dem großen Zusammenklange.

Nach und nach tönte sich mit der sinkenden Sonne das Grün des Sees zum tiefen Blaugrün ab, das am Fuß der westlichen Berge fast schwarz war, und nur von Nordwesten über die rhätischen Alpen her, die in Goldduft schwammen und deren feinen und seltenen Schneelinien wie Lava glühten, goß sich ein breiter und mächtiger Glutstrom mit den klaren Bildern all der Goldgewölke am Himmel durchwirkt, auf dem Seegewässer hin, bis an das Ufer von Varenna, bis an den Fuß des Berges, auf dem ich stand. Durch die Thäler des westlichen Seeufers, das der Oroccione, der Ossuccio, der La Frona als höchste Spitzen krönen, schoß das Licht der scheidenden Sonne, sichthar wie Millionen Glorienstrahlen, nach dem Ufer von Varenna hinüber und übergoß die hohen Gipfel des Legnoncino, des Maggio und vor allem den gewaltigen, 8000 Fuß hohen Legnone mit sattgefärbten, tiefen Orange- und Goldtönen, gegen welches sich das davor liegende und im Schatten bleibende Vorland von Varenna, mit dem Sasso Mattolina, der Villa Venini und seinen bewaldeten Höhen in fast kaltem Blau abschied. Dies Blau zog sich tief hinein in den Lacco-See, über dessen Mitte eine feine Abendnebelschicht ruhte, als bezeichnete sie den Weg der Adda in dem bewegungslosen, spiegelnden Seegewässer. Die reichsten Glorienstrahlen umglühten aber das Haupt des riesenhaft, kühn und doch so unendlich edel geformten Monte Croccione, hinter dem die Sonne gesunken war. Tief violett, mit seinen schrägen, gewaltigen Gebirgsschichten gegürtet, stand er vor dem hohen Abendrothe. In der tiefen Schlucht, die ihn seiner Höhe nach fast senkrecht spaltet, und die eine weiße, mächtige Gesteinschicht beinahe rechtwinklich kreuzt, qualmten die Abendnebel auf, die aus der Schlucht heraufdampften und da, wo sie den Gipfel überstiegen, wie die Flammensäule eines Vulkans glühte. In den tiefen, warmen Tinten, die den See von Como duftig überhauchten, lag die Isola Camacina wie eine ernste dunkelblaue Masse mit langem, graublauem Schatten.

Dazu das Goldgrün der im letzten Abendlicht glühenden Bäume um mich und über mir, der Rosenton der weißen Villen, das leise Flüstern der Blätter und Tannennadeln im lauen Hauch der Abendluft. – Die Welt war so reich, so liebevoll sanft bewegt wie eine Wiege, in der alles süß in Schlummer gewiegt wird. Kam dazu noch der unendlich sehnsüchtige Ton der Abendglocken, der vor allen andern die Macht hat, holde Heimathgefühle zu wecken und das ferne Rauschen eines langsam dahinziehenden Dampfers, so fühlte ich mein ganzes Wesen von der Ruhe durchdrungen, die ich in Bellaggio zu suchen gekommen war.

In etwas harter Weise störte mich in dieser fast absoluten Ruhe die helle Stimme der hübschen Engländerin, unsere Tischgefährtin, die ihr Malgeräth eingepackt hatte und von ihrem Standpunkte am Fuße des Abhanges her zu mir heraufsprach, während ihre Gefährtinnen auch ihr Arbeitsgeräte und abgelegten Kleidungsstücke zusammenholten. Sie steckte die vom Abendthau etwas zu lang gewordenen Locken zurück und stand, gegen den dunkel gewordenen See, in warmem günstigen Lichte abgehoben, unter mir.

„Sind Sie nicht von der Parthie heut Abend?“ fragte sie mich. „Sie wird allerliebst werden! Mondschein, Musik, Serenade, Fackeln und im Hintergrunde ein bal champêtre,[WS 1] Sie begreifen, wie mein Mädchenherz schlägt!“ rief sie in allerliebstem Muthwillen herauf.

Ich wußte von keiner Parthie.

„Kommen Sie herunter,“ fuhr sie fort, ihren breiten Strohhut aufsetzend und die bunten Bänder über die Schulter zurückwerfend. „Gehen Sie mit uns nach Bellaggio hinab, und unterwegs erzähle ich Ihnen, was heute alle unter Mousselin und Barrege schlagenden Herzen bewegt und alle Köpfe beschäftigt, die kurz geschorenes Haar tragen.“

Ich war nicht in der Stimmung, das reizende Schellengeklingel von Mädchengeplauder mit anzuhören, jeder Deutsche hat aber die Verpflichtung das Sobriquet: „Bär,“ das der ganzen Nation anhängt, so weit immer an ihm ist, Lügen zu strafen; überdies war die Einladende allerliebst, also machte ich mit einem Seufzer, den ich mir halb und halb selbst heuchelte, das Buch zu und stieg herab. Auf der Terrasse unter den Palmen holte ich die Gesellschaft ein.

„Kennen Sie die junge Fürstin S.?“ fragte mich die liebenswürdige Miß, noch ehe ich ganz nahe war.

„Nein!“ antwortete ich.

„Ach!“ rief sie mit einem Erstaunen, das sich so tief auf ihrem Gesichte spiegelte, daß ich es selbst durch die Dunkelheit gewahr wurde. „Nun, dann doch die Damen, die das Ruderboot haben?“

„Nein!“

„Quelle ignorance,“ rief sie, die Hände zusammenschlagend, „wie soll ich es denn dann anfangen, Ihnen zu beschreiben, was wir vorhaben!“

„Ich kenne aber ein allerliebstes, kleines, schneeweißes, zartgebautes, mädchenhaftes Regattaboot,“ sagte ich fast schüchtern.

„O, dann kennen Sie die Hauptsache, dann ist es gut!“ rief sie, mich unterbrechend aus. „Nun, sehen Sie, dies Boot gehört vier – oder sechs – , ich weiß es nicht, jungen Damen, die den Teint ihrer Hände daran riskiren, es zu rudern, die Gefahr ist nicht groß, ich rudre selbst oft mit, da sehen Sie, ob es schadet,“ und damit hielt sie mir eine allerdings vollkommen unverdorbene, schmale und weiche Hand hin, die ich in der Dunkelheit des Waldweges allerdings nur durch das Gefühl, auf das Ehrerbietigste untersuchte. „Unter diesen Damen,“ fuhr die Miß fort, „ist die junge Fürstin S., die alle hiesigen Brünetten in Schatten stellt.“

Ich besann mich, daß die Miß blond war.

„Dieser jungen Prinzessin Geburtstag ist heut. Es ist Mondschein, die Damen eine Parthie auf ihrem Boote. Sobald der weiße Wasservogel, ich hoffe, Sie werden darunter nichts anderes als einen Schwan denken,“ setzte sie lachend hinzu, „in See ist, läßt mein Cousin – Sie kennen ihn, er sitzt immer neben mir – hier von der Terrasse aus Leuchtkugeln steigen und dann – Nun, das Uebrige werden Sie schon sehen! Ich rathe Ihnen aber, eine Gondel zu bestellen und da – da sehen Sie,“ rief sie aus, indem sie auf einen hellerleuchteten Hausflur deutete, in welchem große Papierlaternen auf Stöcken aufgestellt waren. „Da kaufen Sie sich solch’ eine Laterne und thun Sie damit, was mein Cousin thun wird. Erlaubt soll es Ihnen übrigens sein, an unserm Beispiel zu lernen, wie Sie sich ferner zu verhalten haben.“

Wir waren indeß durch die heiße Straße von Bellaggio herabgekommen und standen vor der Terrasse des Hotels, sie machte mir eine leichte Verbeugung und sprang davon. Noch indem die Damen um die Ecke bogen, hörte ich, wie ihre Mutter sich scheltend und mißlaunig über ihr allzu naives Plaudern äußerte.

Das Abendroth war ganz verglommen, der im Wasser auf dem Gebirge hinziehende Mond nahm mehr und mehr seinen sommerlichen, dunkelgoldnen Glanz an, die größeren Gestirne begannen im See zu zittern, der vollkommen spiegelglatt lag. Nur wenn mit trägem Ruderschlage eine Barke fern oder nah hinglitt, zogen langsam weiche Wellchen über die diamantne Fläche, um endlich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: champètre
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_480.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)