Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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täuschend ähnlich sah. Außer mir war kein Deutscher da. Fast wie ein Deutscher sah aber ein langer, fataler Amerikaner aus, der auf meine Frage nach dem Eindrucke der Niagarafälle zähnestochernd sagte: „O ja, sie sind sehr schön!" Dies Volk ist durch und durch Karrikatur des englischen. Dann ein allerliebster Franzose, der eigentlich keinen geselligen Fehler hatte, als den, die ganze Welt nur in Bezug auf Paris zu betrachten. „Quel bruit de de lac de Come!“ rief er, eine Papiercigarette ansteckend, aus. „Ce n’est[WS 1] pas grande chose, c’est un petit lac pour embellir le bais de Boulogne!“ Alles Uebrige waren Engländer, die immer sieben Achtel der Bewohner vom Gasthaus zu Bellaggio ausmachten. Das Verdienst aber haben sie, dies kleine Hotel zu einer Perle des Comforts dressirt zu haben. Und ein gutes Diner, ein gutes Bett läßt das Paradies einer wundervollen Gegend nicht im Preise sinken, denn was man auch sagen möge, die Welt sieht anders aus, wenn man in einem englischen Bett gut geschlafen und Geflügel mit leichtem, edeln Bordeaux gefrühstückt hat, als wenn man sich von stachlicher Streu erhebt, von Käfern und Schaben die ganze Nacht belästigt, am Bache mit den Fliegen Toilette macht und die Wanderung zur Anschauung der freien Schönheit der Welt mit schwerem Brot und saurem Bier im Magen antritt. Nur die schwärmende Jugend kann letzteres schön finden, der erfahrene Reisende wird sich dadurch nicht verstimmen lassen, aber – lieber wird ihm doch das Andere sein! –
Das Diner war vortrefflich in Bellaggio. In einem Anbau auf der Terrasse servirt, bot es die Vorzüge der englischen Tafel mit den herrlichen Produkten des Südens vereint. Reine, edle Weine standen in Eis, und um die Hitze des Nachmittags, die schwer und golden auf der Gegend lag, von den Tafelnden abzuhalten, wurde der Vorbau süd- und westwärts mit Teppichen verhängt, und diese fortwährend durch Bespritzen mit kaltem Quellwasser kühl gehalten. Die Conversation, für welche die malende Miß sich sehr besorgt zeigte, war lebhaft, wenn auch nicht geistreich, die Frauen hübsch, die Männer charakteristisch; die wundervolle Welt von draußen schaute majestätisch herein, der Contrast des Mikrokosmos an der Tafel mit dem Mikrokosmos da draußen war von so erhöhender Wirkung, das Leben glühte und pulsirte in Nähe und Ferne in so tiefen und saftigen Farben um mich, daß ich die Tafelstunden in Bellagio wahrlich nicht unter die verlorenen zähle.
Hatte der Mittag mit seinem erhöhten äußeren Leben den Verkehr mit Menschennatur erlaubt und bedingt, so vertrugen dies die Genüsse nicht, die ich mir am Abend gewährte. Wenn die wärmeren Tinten der schrägeren Sonne aus den rhätischen Alpen zu liegen begannen, machte ich mich auf den Weg hinauf nach der Villa Serbelloni mit ihren Zaubergärten. Schwül war das Aufsteigen durch die steilen Straßen des kleinen Orts Bellaggio, dann wurde ein eisernes Thor geöffnet und der Weg zog sich in Serpentinen
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: nest
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_478.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)