Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Ruhetage in Bellagio am Comer-See.
Welche Pracht der Scenerie baute sich vor meiner Phantasie schon fast so lange ich denken kann, durch den Ton der Worte: „Bellaggio am Comer-See“ auf! Wie viele Reisepläne waren schon gemacht worden, um zu erforschen, in wie weit mein Phantasiebild mit der Wirklichkeit übereinkäme. Was aber mußte sich eben Alles vereinen, um den Vergleich möglich zu machen! Zeit, Geld, Jahreszeit, Wetter, Behaglichkeit der Stimmung an Ort und Stelle. Schon an den vier ersten Bedingungen scheiterten die Pläne manches Jahr. Anfang des Herbstes im Jahr 18… stand ich endlich auf dem Balkon meines traulichen Zimmers im Gasthaus zu Bellaggio. Die Reise war abgethan, Wetter und Stimmung köstlich, die Behaglichkeit, nach trefflichem Diner bei einer paradiesischen Luft und traulicher Wohnung, ließ nichts zu wünschen übrig. Dem schönen Abende war ein Tag vorhergegangen, der mir die Seele so sanft zum Genusse gestimmt hatte, wie die weiche Hand eines Mädchens eine Laute stimmt. Es giebt Tage, an denen nur Wohlklang in uns angeschlagen wird, wie es andere giebt, in denen uns nur Töne berühren, wie der des Stifts auf einer Schiefertafel; leise, unbedeutend, aber die Nerven bis zur Verzweiflung verstimmend. Ich weiß nicht, welcher Spötter solchen Tagen die treffliche Bezeichnung „Sommersprossentage“ gegeben hat. Sie sehen in der That verdrießlich aus, wie das Gesicht der hübschen Blondine, auf deren Näschen und Stirn sich die häßlichen Frühlingsgäste zeigen, und die tausend kleinen Unannehmlichkeiten sind die dunklen Fleckchen selbst.
Ein Morgen, der in Millionen blitzenden Thautropfen sein eigenes Lichtfunkeln spiegelte, hatte über der in purem Silber zitternden Fläche des Sees gelegen, als unser kleines „Pyroscapho“ von Como aus den Schnabel in den See drehte und die krystallklare Fluth mit leichtem und flüchtigem Ruderschlage zu spalten begann. Mit dem sanften und melodischen Rauschen eines Mühlwehres glitt der leichte Dampfer über die blendende Fläche des Sees dahin, und die sämmtlichen Kleider, Mantillen und Bänder der Damen flatterten nun schmeichelnd im Zuge einer holden, weichen Luft, die über den See dahinkräuselte und blos im blau-weißen Zeltdache, welches das Hinterdeck überspannte, fächelnde Wellen erregte. Es war ein Wetter, eine Temperatur, die dem gesunden Menschen vergessen machen, daß er einen Körper besitzt. Leichter, silberner Morgenduft lag noch auf den Ufern, deren edle Formen im größern Maßstabe an den Rheingau gemahnen, und eine Zeit lang schien es, als sei alle Farbe der Welt auf dem Decke des Schiffes vereint, auf dem alles Colorit rosiger Frauenköpfe, reizender Toiletten, Uniformen und bunter Touristenhabits glühte, während draußen nichts als farbloser Glanz war. Bald aber zog sich der Nebelflor auf den Ufern der Berge empor, die senkrechter fallenden Sonnenstrahlen ließen das himmlische Blaugrün des Sees erscheinen und die Villen und entzückenden Orte von Como bis Cadenabbia zogen im klarsten Sonnenlichte vorüber, während die glänzenden Dünste des Morgens, in majestätische Wolkenstreifen gezogen, auf den Kronen der Berge lagen, oder wandernde Schattenflecke auf dem See gleiten ließen. Bei Villa Pasta wurde der Durchblick auf den Monte Rosa, der wie Gewitterwolken in der Ferne lag, bewundert und dann der Villa der großen Sängerin ein Blick geschenkt, die lauschig in einer entzückenden Bucht des Sees liegt. Gegen zehn Uhr erreichten wir Cadenabbia mit seiner stolzen Villa Sommariva und seinen wie in einen Garten gezogenen Straßen und gestreuten Landhäusern. Eleganz, Wohlleben, Behaglichkeit schaut aus jedem Fenster der glücklichen Orte und blüht in jedem Oleanderstrauch, der seine Blüthensträuße aus dem Geklüft der Felsen und Mauern drängt. Schwerfällig schwammen, mit lang gespreizten Spinnenfüßen die klare Fluth schlagend, die breiten, plumpen Barken, mit denen die Gondoliere des Comer-Sees denselben befahren, von Bellaggio heran. Das Zelt, das schwer und lastig darüber lag, wurde auf einer Seite aufgerollt, die Ausschiffung geschah mit echt italienischem Lärm und dabei sehr langsam. Nach fast halbstündiger Fahrt schob sich die schwere Barke zwischen die leichten Fahrzeuge, die im Gondelhafen neben der Terrasse von Bellaggio auf dem sandigen Ufer lehnten und bald schloß ein gefälliger Kellner mir das kleine Zimmer auf, dessen ich am Eingange gedachte.
Was kamen nun für Tage des feinsten sokratischen Genusses, Tage jener contemplativen Ruhe im Anschauen der Schönheit der Welt, die, mitten im Vollgefühl der Existenz, unsere produktiven Kräfte ihrer Pflicht enthebt und nur Seele und Sinne, mit allen geistigen und leiblichen Organen, die holden Einwirkungen von Außen trinken lässt; Tage, wie sie nur im Lichte heiterer Stimmung und im Gefühle des Gleichgewichtes von Leib und Seele, auf der Sonnenseite des Lebens reifen. Die Morgen wurden auf dem Balkon meines Zimmers, unter dem die krystallgrünen Wellen des Sees ihr leises Nymphenspiel trieben und frische Kühlung heraufsendeten, verbracht. Im bequemen Lehnstuhl von Rohr sitzend, den vortrefflichen Kaffee und einen italienischen Dichter, oder einen gemächlich entstehenden Brief nach Norden vor mir auf dem Tisch und bei jedem Aufschlag des Auges den Blick in die Zauberscenerie des Ufers von Cadenabbia und den Glanz des Riesensmaragds des Comer-Sees tauchend, glaubte ich oft, losgehoben von der Erde, bevorzugten Wesen anzugehören. Dann kommt mit der steigenden Hitze eine lange entzückende Gondelfahrt kreuz und quer auf dem See von Bellaggio nach Menaggio, um die Insel Camacina herum, nach Dosso Avedo, Varenna oder Dervio, wo die drei Seen sich spalten und gewaltige Dioramenbilder in den Lecca-, Comer- und Colico-See sich öffnen. Ich lag unter dem luftigen Dache der Barke der Quer im Boot, eine selige Stille herrschte, nur unterbrochen vom Geplätscher der kleinen Wellen, die an den glatten Seiten des Kahnes hineilten, dem lässigen Ruderschlage meines Gondoliers, dem ich keine Eile empfohlen hatte, und dann und wann vom sehnsüchtigen Klange einer Glocke, oder dem unbestimmten Rauschen eines fernhinziehenden Dampfbootes. Das Zelt der Gondeln des Comer-Sees ist in der Mitte aufgehängt, man neigt es ohne Mühe bei den Wendungen des Kahnes nach der Sonnenseite. Je nachdem nun die Gondel schwankte, oder völlig gerade schwamm, tauchten mir, der ich auf dem Rücken lag, bald die rhätischen Alpen, bald der Monte Croccione, bald die Höhen hinter Bellaggio, gleichsam von oben aus dem Himmelsblau, in welchem, bei völliger Ruhe der Gondel, der Blick badete.
Mein Gondolier war ein schweigsamer, prächtiger Bursch. Krausköpfig, kupferroth verbrannt, mit nervigen Fäusten in rothem Blousenhemd, den schwarzen Rohrhut keck auf der Seite, war er, mit seiner blau und weiß bezelteten Gondel, ein farbenglänzender, herrlicher Vordergrund, zu den harmonischen, großen Tönen der zaubervollen Gegend dahinter. An einem Morgen war frischer Wind, da segelten wir. Das war eine Lust! Die Barke flog über die hochgehenden Wellen und es war ein Stieben von Diamanten und ein Funkeln von Lichtstrahlen und Farben um uns, als wollten mich die kleinen Feen des Sees mit ihrem Reichthum blenden, während die großen Gottheiten der Ruhe mit heiterm Ernste dem kleinen Treiben von den Höhen der sonnenbeglänzten, gewaltigen Berge zuschauten, um deren Stirne sich prachtvoll geformte Gewölke, wie ernste Gedanken der stolzen Geister, sammelte.
Die Wasserfahrt schärfte den Appetit und anders, aber nicht unangenehmer als bei der Abfahrt gestimmt, sah ich die Gondel zur Zeit des Mittagsessens den Schnabel auf den Sand unter der Terrasse von Bellaggio schieben. Diese Terrasse tritt bis an den See aus, und ist mit Kugelakazien dicht überschattet; aus der Spalte ihres alten Gemäuers schob sich blühender Oleander, und über ihre Brustwehr neigten sich die Köpfchen unserer allerliebsten Tischgenossinnen, eben so rosig wie die Oleanderblüthe darunter. Es waren Engländerinnen in der zierlichsten Bedeutung dieses Wortes; schlank, fein, mit dunkelm Haar und brillantem Teint. Die Eine saß angelnd auf der Balustrade, die Andere zeichnete. Was die Erstere fing, weiß ich nicht, Fische hab’ ich nie an ihrer Angel gesehen; wohl aber saß ein junger, kräftiger, englischer Bursch unter ihr auf einem Stein im See und angelte auch. Täglich zweimal sprachen sie drei Worte mit einander: „What did you get? Nothing worth mentioning!“ Die Hände der Andern waren weit hübscher, als ihre Ansicht von der Villa Serbelloni oder dem Monte Croccione, oder gar ihre Skizze vom Apoll der Villa Sommariva, der Sir Charles Napier
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_477.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)