Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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freiwilliges Militärdienstjahr abgemacht, wie in dem Militärstaate Preußen jeder gebildete und wohlgebildete junge Mensch es zu thun pflegt, und er hatte in diesem Jahre für sein gutes Geld von dem Feldwebel der Compagnie sich maltraitiren lassen, dagegen, gleichfalls für sein gutes Geld, die Offiziere der Compagnie, die gern Austern aßen und Champagner tranken, seinerseits maltraitirt. Er war dann mehrere Jahre auf Reisen gegangen, in fast alle Länder Europa’s, und in einem großen Theil der Länder Amerikas und einem kleineren von Asien und Afrika, theils zu seinem Vergnügen, theils zugleich um als künftiger Chef seines Hauses dessen schon bestehende Handelsverbindungen näher kennen zu lernen und neue zu gründen. So war er in seine Heimath zurückgekehrt, wo er bald nachher, nach dem Tode seines kränklichen Vaters, die Geschäfte des großen Hauses übernommen hatte und zugleich ein großes Haus machte.
Gegen die Offiziere der Garnison seiner Heimath brachte er dieselben Gesinnungen mit, welche er als „einjähriger Freiwilliger“ gegen die Offiziere seiner Compagnie gehegt hatte. Daher war er wählerisch geworden, und er ließ sich deshalb nicht mit allen, sondern nur mit einem einzigen ein. Die gewöhnliche Menge schien ihm nicht mehr der Mühe zu lohnen. Der Herr von Maxenstern war ihm als der tüchtigste, gebildetste Offizier der Garnison geschildert worden. Diesen suchte er sich aus, um sagen zu können, wenn das grüne Holz dieses Baumes so schlecht ist, was kann dann an dem dürren sein? Allein er überzeugte sich bald, daß das grüne Holz nicht schlecht, sondern in der That ein tüchtiges, und gar ein prächtiges Holz war. Er und der Herr von Maxenstern wurden Freunde.
Unterdeß hatte er sich verliebt und verlobt. Seine Verlobte gehörte gleichfalls einer der reicheren Familien der Stadt an.
Der reiche junge Mann war glücklich. Er hatte viele Ansprüche auf noch mehr Glück. Seine Ansprüche sollten nicht befriedigt werden. Auf seinen Reisen, in Paris, in London, in Madras und anderswo, hatte er nicht immer gelebt, wie er hätte leben sollen. Einige Jahre nach seiner Rückkehr kündigten mehrmals wiederkehrende Brustschmerzen ein Brustleiden an, das sich bald durch häufigeres Blutauswerfen deutlicher anzeigte. Die Aerzte verordneten einen einjährigen Aufenthalt im Süden. Er ging nach Madeira.
Seine Verlobte wollte ihn begleiten, die Aerzte verboten es. Beide waren außer sich über die Trennung, besonders die Braut. Sie, sonst die fröhlichste und lebenslustigste junge Dame der Stadt, wurde seit dem Augenblicke der Trennung nirgends mehr gesehen. Sie lebte nur der Correspondenz mit dem Bräutigam, dem sie dicke Tagebücher schrieb. Das dauerte ein volles Vierteljahr. In den letzten Tagen dieses Vierteljahrs war ein Offizier in die Garnison versetzt worden, der mehr Glück in seinem Avancement hatte als der Herr von Maxenstern. Er war noch jung und doch schon Kapitain. Freilich hatte er auch manche Vorzüge. Er gehörte, wenn gleich zu dem armen, doch zu dem vornehmsten preußischen Offiziersadel. Er war ein hübscher und gewandter Mensch. Er war immer pünktlich im Dienst, und erschmeichelnd gehorsam gegen seine Vorgesetzten. Endlich war er ein Liebling der Damen. Er kam von Danzig und brachte von einem dortigen angesehenen Kaufmannshause ein Empfehlungsschreiben mit an das elterliche Haus der Verlobten des in Madeira befindlichen kranken jungen Kaufmanns. Die schöne und augenscheinlich auch die reiche Braut gefiel dem Offizier von dem vornehmen, aber armen Adel. Er machte ihr den Hof.
Schon nach etwa sechs Wochen bekam der fremde Kaufmann auf der fernen Gesundheitsinsel zwar noch eben so viele Tagebücher; es wurde auch noch vollkommen eben so viel von Liebe darin geschrieben als vorher. Aber nur fast zuviel von Liebe und in zu überschwenglichen Ausdrücken. Nach den zweiten sechs Wochen wurden die Liebesworte noch feuriger, aber die Tagebücher dünner.
Da trat eines Morgens der Lieutenant von Maxenstern in das Zimmer des Kapitains, der übrigens nicht sein Kapitain war, sondern einem anderen Regimente der Garnison angehörte.
„Herr Hauptmann, ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben, daß ich der Freund des Herrn Hart bin
Der kranke Kaufmann aus Madeira hieß Hart.
Der Hauptmann erblaßte leicht bei der Frage, und antwortete verbindlich:
„Gewiß habe ich davon gehört, daß zwei so tüchtige und liebenswürdige Männer Freunde sind.“
„Alsdann,“ fuhr der Lieutenant ernst fort, „werden sie mir ein Recht zu der Bitte einräumen, daß Sie von heute an das Haus der Braut meines Freundes nicht mehr besuchen.“
„Mein Herr!“
„Werden Sie das Haus meiden?“
„Mein Sekundant wird Ihnen die Antwort bringen.“
„Ich erwarte sie.“
Am andern Morgen schossen sich die beiden Offiziere. Der Lieutenant verwundete den Haupmann in der Schulter. Die Folge war, daß der Herr Hart in den nächsten sechs Wochen von seiner Braut Briefe und Tagebücher gar nicht mehr erhielt.
Dagegen hatte eine dienstfertige Tante des Kranken sich verpflichtet erachtet, ihm ausführlich zu melden, wie um seinetwegen ein Duell entstanden, – wie dieses abgelaufen, und wie seitdem seine Braut noch weit untröstlicher sei, als zu der Zeit des Abschiedes von ihm, dem Herrn Vetter, ob aber noch immer über diese Trennung oder über etwas Anderes, das könne man nicht genau bestimmen; nur versichere die böse Welt, daß die Fräulein Braut dem verwundeten Hauptmann ein paar Mal des Abends einen Besuch abgestattet habe; freilich sei die Kammerjungfer dabei gewesen, und das Fräulein möge wohl nur homöopathische Reue haben üben wollen.
Sechs Wochen darauf kam die Leiche des Herrn Hart in seiner Vaterstadt an. Das Brustübel des jungen Mannes hatte sich verschlimmert. Mit ihm die Sehnsucht nach der Heimath. Die madeiraischen Aerzte hatten den Unrettbaren ziehen lassen. Er selbst mußte fast mehr als Ahnung davon gehabt haben, daß er die Heimath nicht wiedersehen werde. Denn er hatte auf Madeira nicht nur sein Testament errichtet, sondern auch mit dem Kapitain des Schiffes, auf dem er nach Europa zurückkehrte, oder vielmehr zurückzukehren gedachte, einen bündigen Vertrag abgeschlossen, durch den er für schweres Geld sich die Begünstigung erkaufte, daß, im Fall seines Absterbens auf der Ueberfahrt sein Leichnam nicht in die See zu werfen, sondern nach der Heimath zu bringen sei.
Er starb auf der Ueberfahrt und sein Leichnam wurde nach der Heimath gebracht.
Wieder mochten seitdem sechs Wochen verflossen sein, als eines Morgens in dem Zimmer des Lieutenants von Maxenstern der Disponent des Handlungshauses Hart erschien.
„Ich habe ein kleines Geldgeschäft mit Ihnen zu arrangiren, Herr Lieutenant,“ sagte der Kaufmann.
Diesmal erbleichte der Herr von Maxenstern leicht. Er konnte sich in keiner Weise darauf besinnen, welches Geldgeschäft das Handlungshaus Hart mit ihm zu arrangiren haben möge. „Mit mir, mein Herr?“
Der Disponent legte ein kleines Päckchen und ein kleines Papier auf den Tisch.
Das kleine Päckchen war eingesiegelt mit dem Siegel der Regierungshauptkasse und trug die Aufschrift! „Zwölftausend Thaler in Cassenanweisungen zu 500 Thalern,“ mit der garantirenden Unterschrift des Cassenbeamten.
Auf das kleine Papier zeigte der Kaufmann, indem er sagte. „Darf ich bitte, diese Quittung über zwölftausend Thaler blos durch Ihre Namensunterschrift vollziehen zu wollen?“
„Aber, mein Herr, ich begreife nicht –“
„Der selige Herr Hart hat Ihnen in seinem Testamente die zwölftausend Thaler vermacht.“
„Nimmermehr! – Das kann nicht richtig sein!“
„Der Todte hat immer Recht.“
Der Lieutenant mußte das Geld behalten und die Quittung unterschreiben.
Der Todte hat indeß nicht immer Recht. Nach weiteren sechs oder vielleicht zwölf Wochen war die ehemalige Verlobte des Herrn Hart die Braut des Kapitains. Das war jedoch später als die nachfolgenden Ereignisse dieser Criminalgeschichte, – die mit solchen Nichtswürdigkeiten nichts mehr gemein hat, sich zutrugen.
Auch das Glück kommt nicht immer allein, sagten wir oben. Der Herr von Maxenstern hatte die zwölftausend Thaler an dem Tage nachher erhalten, an welchem die Nachricht von seiner Versetzung in die Residenz eingetroffen war. Den zweiten Tag darauf reis'te er nach Berlin ab.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_469.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)