Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Das hatte denn etwas Anderes zur Folge, wozu freilich zugleich etwas Anderes beitrug.
Während seines Commandos zum Lehrbataillon hatte er auch etwas Anderes als den militairischen Geist und Pli kennen gelernt, nämlich die Liebe zu einer schönen jungen Dame. Diese junge Dame war von eben so gutem und altem Adel als er; sie war auch nicht minder geistig befähigt und nicht minder liebenswürdig als er. Sie war aber auch nicht minder arm. Ihr Vater war ein verdienter höherer Offizier – Oberst – gewesen, der aber, bei dem häufigen Garnisonwechsel, dem gerade die verdienten Offiziere ausgesetzt zu sein pflegen, freilich auch bei einzelnen Liebhabereien, die die verdienten Offiziere zu haben pflegen, gute Tafel u. s. w., nicht im Stande gewesen war, sich ein Vermögen zu erwerben. Bei seinem Tode hatte er seiner einzigen Tochter, deren Mutter schon früher verstorben war, nichts hinterlassen, als das Andenken eines braven Offiziers und – Schulden. Einer seiner Kameraden, General in der Residenz, hatte die Verlassene zu sich genommen. Sie lebte in seiner Familie in Berlin. Die Familie bestand aber aus sehr hochmüthigen und zugleich sehr gefallsüchtigen Töchtern, unter denen die Verlassene die Rolle des armen Aschenbrödels spielte.
In dieser hatte der Lieutenant von Maxenstern sie kennen, und sein braves Herz sie lieben gelernt. Er hatte ihre Gegenliebe gefunden.
Allein Beide waren, wie gesagt, arm. Und ein armer Lieutenant und ein armes Fräulein können einander nicht heirathen. Wenn es nur auf sie Beide allein ankäme, freilich wohl. So dachten und sprachen auch der Lieutenant von Maxenstern und seine Verlobte. Er hatte eine jährliche „Gage“ von dreihundert und funfzig Thalern, und sie konnte die feinsten und elegantesten weiblichen Arbeiten machen. Dabei ist die Liebe, besonders die armer Verlobter, äußerst genügsam, und Beide meinten, daß sie reich genug seien, um, gleichviel ob in der kleinsten Garnison, oder gar in Berlin selbst, leben, sogar anständig leben zu können.
Indeß ein eisernes Gesetz stand ihnen entgegen. In Preußen darf kein Subalternoffizier heirathen, ohne daß er oder seine Braut ein disponibles Vermögen von zwölftausend Thalern, oder eine feste und sichere Rente von sechshundert Thalern besitzt. Dieses Gesetz wird zwar, wie jedes Gesetz, mehr umgangen als befolgt. Man weiset Scheinkontrakte vor, in welchen Vermögen oder Rente auf dem Papiere als vorhanden und gesichert dastehen. Man leihet sogar von einem guten Freunde auf eine halbe oder Stunde die baare Summe von zwölftausend Thalern. Jetzt damit zu dem Auditeur, oder in dessen Ermangelung zu dem nächsten Civilrichter, zählt die Summe auf und läßt sich darüber, und daß man also in dem Besitze von baaren zwölftausend Thalern ist, ein gerichtliches Dokument ausstellen, nach dessen Ausfertigung das Geld zu dem guten Freunde zurückgetragen wird.
Der Lieutenant von Maxenstern und seine Verlobte waren zu redliche und brave Herzen, als daß sie von solchen Mitteln hätten Gebrauch machen können. Sie vertrösteten sich daher auf die Zukunft, und zwar auf eine „Compagnie,“ denn dem Inhaber einer Compagnie steht jenes Verbot nicht mehr entgegen. Allerdings war der Herr von Maxenstern erst Secondelieutenant, und er hatte noch fünf andere Secondelieutenants und, mit den aggregirten, noch achtzehn Premierlieutenants vor sich, also im Ganzen dreiundzwanzig „Vordermänner“ im Regimente, die sämmtlich erst Kapitains werden und eine Compagnie bekommen mußten, bevor die Reihe an ihn kam, und der Compagnien waren nur zwölf im Regimente. Unter den ältern Premierlieutenants waren auch einige, die schon so lange auf eine Compagnie gewartet hatten, daß sie darüber vierzig Jahre und mehr alt geworden waren, und auch in andern Regimentern hatte man ähnliche Beispiele eines nicht minder langen Wartens. Aber wann hätten Liebende überhaupt wohl die Hoffnung und ein liebender Lieutenant und seine Braut insbesondere wohl die Hoffnung auf eine Compagnie aufgegeben?
Diese Hoffnung verloren sie auch nicht, obgleich manches Jahr hindurch in dem Regimente kein Kapitain und kein Premierlieutenant abgehen wollte, und von den vorstehenden Secondelieutenants nur ein einziger an der Auszehrung gestorben, mithin der Herr von Maxenstern noch immer erst der zweiundzwanzigste in der Reihe für eine der zwölf Compagnien war. Ihre Hoffnung wurde nur sehnsüchtiger, denn zu den hochmüthigen und gefallsüchtigen Töchtern des Generals hatte sich noch immer kein Freier, nicht einmal ein armer Lieutenant, finden wollen, und die Aschenbrödelrolle der nun auch zugleich beneideten Verlassenen, die das Gnadendbrot im Hause aß, wurde begreiflich immer eine traurigere, was begreiflich dem Bräutigam immer mehr zu Herzen ging.
Die wachsende Sehnsucht erzeugte aber zugleich eine vermehrte Anstrengung zur Erreichung des Ziels. Man wird fragen: Was kann, gegenüber dem mit eiserner Strenge festgehaltenen Grundsatze des Avancements im Regimente nur nach der Anciennetät , ein armer Lieutenant zur Beförderung seines Avancements thun? Wie sollte sogar ein armes, Gnadenbrot essendes Fräulein etwas dazu beitragen können? Indessen die Liebe vermag auch bei einem armen Lieutenant und einem armen Fräulein, wenn gleich nicht Alles, doch viel. Der Herr von Maxenstern wußte bei seinen Vorgesetzten in der Garnison und im Generalcommando der Provinz seine militärischen Vorzüge geltend, und das Fräulein wußte darauf bei ihren Gönnern, den Freunden ihres verstorbenen Vaters in der Residenz, aufmerksam zu machen. So wurde der Herr von Maxenstern eines schönen Tages plötzlich in die Adjutantur nach Berlin versetzt, und seine Carriere war dadurch gemacht. Wenn man ihm weiter wohl wollte, so konnte man nun ihn bald aus seinem Regimente ganz herausnehmen und einem Regimente „aggregiren,“ in welchem er der Anciennetät nach der älteste Secondelieutenant war. Er war dann in kurzer Frist zum Premierlieutenant zu befördern. War er dies einmal, so konnte er, ohne irgend einem bestimmten Regimente anzugehören, zum Kapitain à la Suite ernannt werden. Und dann stand der Verbindung der Liebenden nichts mehr im Wege. Dies war, möglicher Weise, in zwei Jahren zu erreichen.
Wie kein Unglück allein kommt, so kommt auch wohl manchmal im Gefolge eines ersten glücklichen Umstandes ein zweiter.
Die Ernennung des Herrn von Maxenstern zum Adjutanten in der Residenz war da. Die Verlobten hatten ihre Freude darüber in ihren Briefen schon gegenseitig ausgetauscht. Sie mußten zwar noch mindestens zwei Jahre warten, und zwei Jahre pflegen unter gewöhnlichen Umständen für Liebende eine sogenannte (Liebes-) Ewigkeit auszumachen. Für ein Paar arme Verlobte aber, die bis daher noch fast gar keinen Maßstab für die Berechnung des Zeitpunktes ihrer Verbindung gehabt hatten, waren sie, wenigstens vor der Hand, nur eine Spanne Zeit.
Der neue Adjutant traf bereits seine Anstalten zur Abreise nach der Residenz. Auf einmal kam ihm ein unerwartetes Glück, das selbst jenen Aufschub von zwei Jahren beseitigen und eine sofortige Verbindung der Verlobten ermöglichen sollte.
Die Garnison des Herrn von Maxenstern befand sich in einer der Provinzen, die im Jahre 1815 mit der Krone Preußen vereinigt oder wiedervereinigt waren. In einem großen Theile dieser Provinzen blühten schon damals, wie noch jetzt, Handel und Fabriken in großartiger Weise. In fast allen war, und ist theilweise noch jetzt, ein gespanntes Verhältniß zwischen den Bewohnern und den in die Provinz versetzten Beamten und Offizieren aus den sogenannten alten Provinzen des preußischen Staats. Es trug Manches hierzu bei, politische wie religiöse Antipathien, besonders auch ein gewisser verletzender Uebermuth, der auf beiden Seiten war. Die Beamten und Offiziere aus den alten preußischen Provinzen brachten einen spezifisch preußischen Eigendünkel mit, dem nichts recht und nichts gut war, weder Land noch Leute, noch Sitten noch Leben. Die Bewohner der Provinz setzten dann um so mehr einen Uebermuth der Wohlhabenheit und des Reichthums entgegen, als jene Beamten und Offiziere eben meist dem armen Adel und Beamtenstande der alten Provinzen angehörten. Besonders war das der Fall von Seite der reichen Kaufleute und Fabrikanten, die in einer Woche mehr verdienten, als die Jahreseinnahme selbst eines höher stehenden Beamten, geschweige eines armen Lieutenants betrug. „Wie viel Gehalt bekommt denn so ein Regierungs- oder Oberlandesgerichtsrath?“ – „So und so viel jährlich!“ – „So viel kosten mich jährlich meine Kleider, und die meiner Frau kosten das Doppelte.“
In einer der reichsten Städte jener Provinzen befand sich die Garnison des Herrn von Maxenstern. Mit einem der reichsten Kaufleute dort war er in nähere Verbindung gekommen. Der Kaufmann war ein junger Mann in dem Alter des Offiziers. Er hatte früher studirt, das heißt, mehrere Jahre auf mehreren deutschen Universitäten zugebracht, wo er nach seiner Neigung Vorlesungen gehört und nicht gehört hatte. Während derselben Zeit hatte er, auf einer preußischen Universität, zugleich sein sogenanntes
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_468.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)