Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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gewähren die Rudel keinen durchweg imponirenden Anblick. Der Länge seiner Beine und der Kürze seines Halses wegen kann das Musethier nicht wie anderes Wild äsen, es muß dies vielmehr bergan oder knieend thun.
Im April oder Mai wirft das Thier ein bis drei Kälber, und diese begleiten ihre Aeltern, bis sie erwachsen sind. Im Winter vereinigen sich die Familien zu Heerden, die oft mehrere Aecker einnehmen. Dort jagt man sie am Besten zur Schneezeit, wenn der Schnee so fest gefroren ist, daß er den Jäger, nicht aber das Wild trägt. Dann verletzt sie die harte Eiskruste bald, daß sie die Lust am Laufen verlieren und die Hunde sie stellen können. Aber auch dann sind sie für diese wie für den Jäger noch gefährliche Feinde.
Ich erlebte dies einmal zur Genüge, als ich im nördlichen Theil vom Staat Maine bei einem Freunde zum Besuch war, der mitten im Walde lebte, und seine Zeit größtentheils auf die Jagd verwandte. Als wir uns zur Musethierjagd anschickten, legten wir vor allen Dingen Schneeschuhe an, kleine drei Fuß lange Boote, die an dem Fuß befestigt werden, und auf denen man pfeilschnell über die Schneefläche dahingleitet. Dann nahmen wir unsere schwersten Büchsen und ein Paar tüchtige Hunde mit und schossen nach der Gegend, wo, wie mein Freund wußte, sich Ahornbäume befanden, an denen die Musethiere zu äsen pflegten. Als wir etwa zwei Meilen gelaufen waren, spürten wir die Thiere, und indem wir der Spur folgten, kamen wir tief in das Dickicht nach einem ganz abgelegenen Theil des Waldes. Da fanden wir ganz frische Spuren und es währte nicht lange, so rief mir mein Freund zu: „Da unten sind sie, so wahr ich lebe, still!“
Als ich nach der Richtung hinsah, welche mein Freund bezeichnete, sah ich allmälig die großen, dunklen Umrisse des wunderbaren Thieres, das Schaufelgehörn, den großen ungeschickten Kopf, und den kurzen Hals. Neben ihm bewegten sich kleinere Thiere, die Kuh mit zwei Kälbern.
Wir standen beide still und hielten und beruhigten die Hunde, welche kampfbegierig vorwärts stürmen wollten, sahen aber bald ein, daß wir über dreihundert Schritt weit, also außer Schußweite seien und daß uns daher nichts anderes übrig blieb, als die Hunde loszulassen und ihnen rasch zu folgen.
Dies geschah. Die Hunde sprangen fort und wir schossen nach, in demselben Augenblick setzte sich aber auch das Wild in Bewegung. Ich konnte es deutlich laufen sehen. Der Bock führte, die Andern folgten. Sie galoppirten nicht, sondern liefen in scharfem Trab, wie rasche Pferde. Sie hielten die Köpfe ganz gerade, die Schnauzen nach vorn, und der Bock drehte sich zuweilen um, nach den Verfolgern zu sehen. Sowie ihre gespaltenen Hufe den Boden berührten, erkrachte dieser in eigenthümlicher Weise, es war ein Ton, als wenn man Nüsse knackt oder ein Zündhütchen platzt. In kurzer Zeit waren sie uns außer Sicht und wir konnten nur an dem Anschlagen der Hunde abnehmen, wo sie sich befanden.
Als wir an Ort und Stelle ankamen, fanden wir, daß nur der Bock Stand hielt und die Hunde mit Gehörn und Hufen von sich abwehrte, als er uns indessen kommen sah, machte auch er sich auf und verschwand. An der Stelle, wo er gekämpft hatte, sahen wir die Spur der Kuh und der Kälber nach einer andern Richtung abgehen. Er hatte diese also offenbar erst in Sicherheit bringen wollen und suchte sich jetzt selbst zu bergen. Wir beschlossen, die Spur getheilt zu verfolgen. Mein Freund ging der Kuh und den Kälbern nach, ich wollte den Bock aufsuchen. So eilte ich abermals dem Anschlag der Hunde nach, bis ich ihm nach etwa einer halben Meile ganz nahe kam. Da verwandelte sich das Bellen aber plötzlich in ein Geheul, ein Hund kam mir auf drei Beinen entgegen, der andere lag am Boden, und das Musethier stieß fortwährend nach ihm mit den Schaufeln und warf ihn in die Höhe, um seine volle Wuth an ihm auszulassen. Als er mich sah, ließ er ihn indessen los und wandte sich wieder zur Flucht. Ich setzte ihm sogleich nach, ohne auf den zweiten lahmen Hund zu warten, denn ich sah, daß das Musethier schon erschöpft lief und daß ich es auf meinen Schneeschuhen überholen konnte. Als ich ihm auf etwa hundert Schritt nahe war, dachte ich daran, zu feuern, da wandte er sich plötzlich um und machte Front gegen mich. Sein mächtiges Gehörn war bis zum Widerrist zurückgeworfen, seine Mähne stand aufrecht, ja das gesammte Haar seines Felles schien sich zu sträuben, Alles war ein Ausdruck der Wuth an ihm, und er war der furchtbarste Feind, dem ich noch begegnet war. Mein erster Gedanke war natürlich, die Büchse anzulegen und zu feuern. Dies that ich auch. Ich zielte auf’s Blatt, aber sei es, daß die Entfernung zu groß war oder daß die auf den Schnee prallende Sonne mich blendete, kurz, ich traf den Bock wohl, aber nur in die Schulter.
Dies setzte ihn natürlich vollends in Wuth, und augenblicklich stürzte er vor und auf mich los, so daß mir nichts übrig blieb als mich hinter einen Baum zu retten. Ein solcher, ein dicker Fichtenstamm bot mir allerdings Schutz, aber nur so viel, als mich das Musethier nicht mit seinen furchtbaren Schaufeln erreichen konnte. Es blieb dicht vor dem Baume stehen und verfolgte jede meiner Bewegungen, denn so wie ich mich regte, suchte er näher zu kommen und stierte mich mit seinen furchtbaren Augen an.
Meine einzige Hoffnung war jetzt, daß er mir Zeit lassen würde, zu laden, aber, o Himmel, wie groß war mein Schreck und mein Aerger, als ich fand, daß ich kein Pulver bei mir hatte. Mein Freund hatte das Pulverhorn, das für uns Beide dienen sollte, und in der Eile des Verfolgens hatte keiner von uns hieran gedacht.
Was sollte ich nun thun? Dem Thiere mit dem Jagdmesser entgegentreten, wäre Wahnsinn gewesen, sowie es mich fassen konnte, war ich verloren. Sein Gehörn und seine Hufe waren bessere Waffen als die meinen. Ich kam daher zu der Ueberzeugung, daß es das Gescheidteste wäre, das Musethier zu lassen, wo es war und mich von ihm fortzumachen. Aber wie war das anzustellen? Das verdammte Thier stand immer noch da, drei Schritt von mir und schien entschlossen, mich zu belagern. Eine liebenswürdige Aussicht bei solcher Temperatur!
Ich hielt es ungefähr eine Stunde lang aus. Dann wurde ich der Sache überdrüssig und fing an zu rufen, um ihn zu schrecken. Vergebens. Ich hoffte auch, mein Freund würde mich hören. Auch das war nicht der Fall. Meine Stimme verhallte nutzlos im Forst. Da beschloß ich, wenigstens etwas zu versuchen. Ich sehe um mich, und gewahrte hinter mir einen noch stärkeren Baum, als hinter dem ich stand. Dahin glitt ich so rasch als möglich, aber sogleich folgte mir auch der Bock und stellte sich ebenso wieder vor mich hin. Ich hatte also nichts gewonnen, als daß ich etwa um zwanzig Schritt dem Hause näher war. Wie, wenn ich es versuchte, ihm auf diese Weise ganz nahe zu kommen? Dieser Gedanke kam mir plausibel vor, und ich fing an, einen Baum mit dem andern zu vertauschen, aber ebenso rastlos kam mir mein furchtbarer Feind nach, und zuletzt machte ich die traurige Entdeckung, daß der Wald immer dünner wurde und auf der Ebene nur ein Paar dürftige Fichten standen, die mir keinen Schutz verhießen. Ich mußte also ausharren, bis mein Freund mich fand. Aber meine Kräfte schwanden, und zu meinem Schrecken begann es stark zu schneien. In kurzer Zeit mußte meine Spur verschneit sein und dann war es zweifelhaft, ob mein Freund mich finden würde. Der Bock stand noch immer da und schlug zuweilen den Boden mit den Hufen, als warte er ungeduldig auf den Augenblick, wo ich mich wieder regen würde.
Diese Manöver von seiner Seite flößten mir eine Idee ein, und ich wunderte mich, daß ich nicht längst darauf verfallen war. Ich hatte ein ganz scharfes Jagdmesser, und wenn es mir gelang, dieses fest an meine Büchse zu binden, konnte ich es wagen, den Kampf mit dem Thiere aufzunehmen, denn dann konnte ich es erreichen, ohne daß es mich verletzen konnte. Gedacht, gethan! Ich nahm meine Buckskintragebänder, machte mir ein Bayonnet an meine Büchse zurecht und schritt zur That. Sowie ich mich zeigte, sprang der Bock vor. Diesen Moment benutzte ich, ihm mein Bayonnet in die Rippen zu stoßen. Ich traf ihn in’s Herz, denn er stürzte augenblicklich zusammen, wälzte sich ein paar Mal, stieß mit den Hufen und färbte die Schneefläche mit Blut. Kaum hatte ich diesen Sieg erfochten, so hörte ich ein Hallo und sah meinen Freund über das offene Feld auf mich zukommen. Er hatte seine Jagd vollendet, alle drei Thiere erlegt und das Fleisch auf Bäume gehängt, um es nachher abzuholen.
In gleicher Weise zerlegten wir jetzt auch den Bock, und mein Freund war sehr zufrieden mit dem Ertrage der Jagd, bedauerte aber doch den Verlust seines guten Hundes.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_466.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)