Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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waren, dieselben stets wieder nachgeholt werden mußten. Alles was ihm Freude machte, was er konnte, sollte auch Andern Freude machen, sollten auch Andere können, und so stopfte er in die jungen Gemüther eine Unmasse Stoff hinein; dies aber auch mit einer werkwürdigen Gabe: Alles lebendig, anschaulich und gegenständlich zu machen und auf das thatsächliche Leben zu beziehen. Um auch selbst den Zeichnenunterricht leiten und überwachen zu können, lernte er noch als Fünfziger diese Kunst, mit unermüdlicher Geduld ganze Sammlungen Blatt für Blatt copirend. Die Zeichnungen des Sohnes zog er selbst auf, umgab sie mit Linien und ließ in manche noch die Perspectivlinien von geübter Hand nachzeichnen. Musik mußt ihm fleißig getrieben werden, er begleitete dazu auf der Flöte. Das Italienische lernten die Kinder fast wie ihr Deutsch, und beim Tanzunterricht verschmähte er nicht, mit ungemeiner Würde selbst vorzutanzen. Daneben wurden die Kinder noch schrecklich geqält mit des Vaters leidenschaftlicher Liebe zur Seidenzucht, die er im eigenen Hause betrieb. Eine gründliche Verachtung hatte der Vater gegen die Fucht, und um dieselbe den Kindern zu vertreiben, wenn sie allein in ihr dunkles, einsames Schlafzimmer mußten, erschien er ihnen oft plötzlich mit umgewandtem Schlafrock und drohender Stimme, wodurch die Armen dann erst recht in Furcht kamen.
Seine Begeisterung für Friedrich II. war ebenso groß, als sein Haß und seine Verachtung gegen die Franzosen, und er ließ Beiden mit starrer Unerbittlichkeit auch dann freien Lauf, als der französische General Thorane, der Königslieutenant, bei ihm einquartirt war, wodurch er in höchst schwierige, ja einmal lebensbedrohende, Conflicte gerieth, ohne aber auch dabei sich zu verleugnen.
Seine Ruhe in Gefahr war eben so groß, als sein Jähzorn in Momenten der Erregung, und wir sehen ihn bei einem so furchtbaren Gewitter, wie es vielleicht in Frankfurt je erlebt wurde, wo Frauen und Kinder betend und heulend auf den Straßen lagen und Männer flüchteten, ganz ruhig die noch nicht zerschlagenen Fenster und Spiegel ausheben und abnehmen. – Gründlich verachtete er auch das Kartenspiel; noch mehr die Gasthäuser; er wünschte deshalb die alte, gute Zeit mit den Hospitälern zurück und schenkte – namentlich reisenden Künstlern, Gelehrten und Virtuosen – die lieberalste Gastfreundschaft. Dagegen war er förmlich knauserig bei Ausflügen zu Landparthien, wobei er selten etwas verzehren ließ. Durchaus praktisch, mußten seine Bedienten zugleich Schneider sein, und für ihn und den Sohn die Kleider machen; dies aber auch stets vom feinsten Tuche, das er stets in reicher Auswahl vorräthig hatte. – Die Poesie war ihm ein hoher Kultus; doch so verhaßt die ungereimte Poesie, daß Klopstock’s Werke ihm nie vor die Augen kommen durften, und es heftige Scenen gab, als er entdeckte, daß dieselben in seinem Hause heimlich gelesen wurden, in Manchem auswendig gelernt waren.
Des Sohnes steigender Ruhm machte ihn selig und stolz, doch hätte er auch gleichzeitig einen tüchtigen Juristen in ihm gewünscht. Die höchste Bezeichnung, die er dem ruhmgekrönten Sohne gab, war die eines „singularen“ Menschen, wobei er aber auch behauptete: „Wenn ich Deine Talente gehabt hätte, ich würde ganz anders damit gewirthschaftet haben.“
Wie er, bei aller Gottesfürchtigkeit, die Priester im Ganzen nicht liebte, und sie wohl „schwarze Männer mit weißen Krägen“ nannte, so auch, bei allem Respekt vor Hoheit und Würde, die Fürsten nicht; er traute ihnen besonders keine Aufrichtigkeit und keine wahre Liebe zum Bürgerstande zu; er war daher auch schwer zu bewegen, den Sohn nach Weimar ziehen zu lassen, doch freute er sich unendlich, als derselbe von dort aus mit seinem großartigen Fürsten zuerst die Vaterstadt wieder besuchte, und er nun den fürstlichen Herrn und den fürstlichen Dichter mit Pracht und Glanz bewirthen durfte.
Kurz nach dem Tode des alten Rathes schrieb Herzog Karl August in seiner resoluten Manier an Merk: „Goethe’s Vater ist nun abgestrichen und die Mutter kann nun endlich Ruhe schöpfen“ und er setzte dann noch hinzu, daß dies wohl der einzige gescheidte Streich gewesen wäre, den der Alte in seinem Leben gemacht habe.
Man darf aber in dieser Aueßerung den edlen Karl August nicht verkennen; sie kam weniger aus Lieblosigkeit gegen den Vater, als aus Liebe und Verehrung für die Mutter, „die Frau Rath“ oder „Frau Aja“, die von den Höchsten und Edelsten ihrer Zeit geliebt und verehrt wurde. Wieland schreibt von ihr: „sie ist die Königin aller Weiber, die Herz und Sinnen des Verständnisses haben.“ – Dem Herzog Karl August scheint sie „eine Glorie um ihre alte Mütze zu tragen.“ Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen besuchen sie, wohnen bei ihr, fahren mit ihr in’s Theater, schnupfen mit ihr aus einer Dose, backen mit ihr Eierkuchen, pumpen Wasser mit ihr am Brunnen, daß die Oberhofmeisterinnen hinzu treten und Einhalt thun müssen. Sie ist der Schirm und Hort aller Dichter und Künstler, gleichsam die „Herbergsmutter“ der schönsten und edelsten Geister ihrer Zeit; mochte das nun der Poesie und Kunst, ober Würsten, Wein, Strümpfen und Bratenwendern gelten.
Bettina von Arnim hat ihr das schönste und charakteristische Denkmal gesetzt. Sie selbst hat ein solches hinterlassen in vielfachen Briefen. Hören wir sie selbst, wie sie z. B. an die Herzogin von Weimar schreibt:
„Am 11. April 1779. Durchlauchtigste Fürstin! Bei uns ist’s Messe!!! Weitmäuligte Laffen feilschen und gaffen, gaffen und kaufen. Bestienhaufen, Kinder und Fratzen, Affen und Katzen u. s. w. – Doch mit Respekt geredt, Frau Aja! Madame La Roche ist auch da!!! Theuerste Fürstin! Könnte Doctor Wolf (Goethe), den Tochtermann sehen, den die Verfasserin der „Sternheim“ ihrer zweite Tochter aufhängen will; so würde er nach seiner sonst löblichen Gewohnheit mit den Zähnen knirschen und ganz gottlos fluchen. Gestern stellte sich mir das Ungeheuer vor – Großer Gott!!! wenn mich der zur Königin der Erden (Amerika mit eingeschlossen) machen wollte; so – ja so – gebe ich ihm einen Korb. Er sieht aus – wie der Teufel in der siebenten Bitte in Luther’s kleinem Katechismus – ist so dumm wie ein Heupferd, und zu allem seinen Unglück ist er Hofrath. Wenn ich von all’ dem Zeug was begreife, so will ich zur Auster werden.“
Vom 1. März 1783, aus der ersten Zeit ihrer Wittwenschaft: „Ich befinde mich, Gott sei Dank, gesund, vergnügt und fröhlichen Herzens, suche mir mein bischen Leben noch so angenehm zu machen als möglich. Doch liebe ich keine Freude, die mit Unruhe, Wirrwar und Unbequemlichkeit verknüpft ist. Denn die Ruhe liebte ich von jeher – und meinem Leichnam thue ich gar gern die ihm gebührende Ehre. Morgens besorge ich meine kleine Haushaltung, auch werden da Briefe geschrieben. Eine so lächerliche Correspondenz hat nicht leicht Jemand außer mir. Alle Monate räume ich mein Schreibpult auf, aber ohne Lachen kann ich das niemals thun. Es sieht darin aus wie im Himmel: alle Rangordnung aufgehoben – Hohe und Geringe, Fromme und Zöllner und Sünder – alles auf einem Haufen. Der Brief vom frommen Lavater liegt ganz ohne Groll beim Schauspieler Großmann. Nachmittags haben meine Freunde das Recht, mich zu besuchen, aber um vier Uhr muß Alles wieder fort. Dann kleide ich mich an – fahre entweder in’s Schauspiel oder mache Besuche, komme aber um neun Uhr wieder nach Hause.“
In ihr erstes Mädchenleben tritt eine ebenso sonderbare als mächtige Liebe, der sie durch ihr ganzes Leben mit rührender Pietät anhing, sie still im Herzen verbergend, und nur in tiefsten und trautesten Stunden bei den ihr Theuersten sie hervorholend aus dem heiligen Schrein: die Liebe zum jungen deutschen Kaiser Albrecht von Baiern, der im Jahre 1742 die Osterfeste in Frankfurt feierte. Um ihn eines Tages recht deutlich und lange sehen zu können, stieg sie auf einen Stuhl, stürzte herab und trug eine ernste Kniewunde davon; auch diese blieb bis zu ihrem Tode und beschleunigte denselbstn in erneutem, heftigem Aufbruche. –
Siebzehn Jahre alt, wurde sie verheirathet, und der jungen Mutter stand der Sohn im Alter näher als der Gatte; er wurde ihre Welt, ihr Himmel, ihr Alles; früher als bei andern Jünglingen ihr Freund, ihr Vertrauter; er verstand sie wie Niemand, und Niemand hat auch wohl ebenso den Knaben und Jüngling, dann den großen Dichter verstanden als sie; sie war ihm gegenüber Coriolan’s Volumnia in’s gute reichsstädtische Deutsch übertragen. Nannte Goethe die intimste Freundin der Mutter, das Fräulein von Klettenberg (siehe „Bekenntnisse einer schönen Seele“ in Wilhelm Meister) seinen „Rath,“ so nennt er dabei die Mutter als seine „That.“ – Und welch’ eine prächtige That war sie, als es nach Frankfurt strömte, um den durch „Götz,“ und „Werther“ rasch berühmt gewordenen Sohn zu sehen, zu hören und zu beschmausen. Da stellte sie sich das dar als die wirthschaftende Elisabeth im „Götz.“ Als die Grafen[WS 1]
Anmerkungen (Wikisource)
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_448.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)