Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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welche Aussicht auf die herüberwinkende Welt des Hochgebirgs, auf seine beschneiten Riesenhäupter, die stolzen Wächter eines gegenwärtigen Genusses und einer geahnten, geheimnißvollen Herrlichkeit! Gerade dieses verleiht Zürich einen so eigenthümlichen Reiz; wir bewegen uns mitten in einer gefälligen Natur, in dem regsten Verkehre einer thätigen, dichtgedrängten Bevölkerung; wir erfreuen uns der zahlreichen freundlichen Ortschaften, die uns von den Ufern des Sees, von einem grünen Hügel, aus der Blätterpracht fruchtbarer Bäume entgegenschimmern; und wir wissen dabei doch immer, daß nur wenige Stunden hinreichen, die ganze Scenerie zu verändern und uns aus dem anmuthigen Hügellande in die wilde und erhabene Majestät himmelanstrebender gewaltiger Massen, an den Fuß mächtiger Gletscher oder vor das Rauschen schäumender Wasserfälle zu versetzen. Und doch sollte man es bei einiger Muße nie versäumen, auch bei der bescheideneren Schönheit dieser Gegenden zu verweilen. Auf diesem Boden begegnet uns manche Erinnerung, mancher historische Keim, den wir weit von da sich mächtig haben entfalten sehen. Kein geringes Stück deutscher Geschichte ward hier in scheinbar enger Schule eingeleitet.
Wandert hinaus, wo nicht weit von dem wohlgebauten, industriereichen Winterthur die wilde Töß rauschend im engen Thale hinbraust: aus dem Wälderdunkel auf steilem Felsen erhebt sich die Veste Kyburg, das älteste Grafenschloß Helvetiens. Vom Urahn der Welfen leitete sich sein Herrengeschlecht ab, und des letzten Kyburgers Erbe ging in eine kräftige Hand über, die sich einst das heillos zerrüttete kaiserlose Deutschland holte, um wieder Friede und Ordnung in’s Reich zu bringen. Was dieser Rudolph von Habsburg, als er zum Reiche gelangt, vom mächtigsten Throne der Welt aus geübt, hat er als Stadthauptmann der Zürcher im engen Kreise gleichsam vorbereitet. Wir treffen hier überall auf seine Spuren, wie er der aufstrebenden, wohlhabenden Handelsstadt mit starkem Arme ebenso wie mit nie verlegener Schlauheit die raub- und habsüchtigen Nachbarn vom Leibe zu halten wußte. Er demüthigte den stolzen Freiherrn von Regensberg und zerstörte dessen Schlösser, die wie Blutigel der Stadt im Nacken saßen zu immerwährendem Hohne und Schaden; und so gründlich war die Arbeit, daß von den meisten dieser Burgen kaum mehr ein spärlicher Mauerrest übrig geblieben ist. Die alten Chroniken wissen eben so viel von Rudolph’s Muth, wie von seiner Gewandtheit in Kriegslisten zu erzählen. So brach er des Regensberger’s Burg auf dem Uetli, wo heute ein im schweizerischen Holzstyl erbautes artiges Berghaus die Freunde einer entzückenden Aussicht in seine gastlichen Räume sammelt, daß er mit zwölf weißen Pferden, wie sie gleiche in der Veste hatten, den nichts ahnenden Thorwart täuschte und auf diese Weise in die Burg gelangte. Seltsam genug wiederholt sich die ähnliche List noch mehrmals in dem Kriegsleben des Grafen von Habsburg.
Ein dunkleres Blatt in der Geschichte ruft unweit von Kyburg Töß mit seinen bald verschwundenen Klosterresten in’s Gedächtnis. Hier weilte abwechselnd mit Königsfelden jene Agnes von Ungarn, die ihrem ermordeten Vater, Albert von Oesterreich, ein so furchtbar entsetzliches Grabmonument errichtet hat. Von der engen Klosterzelle in Töß aus setzte der rachgierige Schmerz zweier Fürstinnen, der Wittwe und der Tochter, ein Strafgericht in’s Werk, das in grausamer Verfolgung Unschuldige mit Strafbaren vermischte, ja sogar die wirklich Schuldigen persönlich gar nicht erreichte; hier starb auch Agnesens Stieftochter, Elisabeth von Ungarn, im Geruche der Heiligkeit.
Einer andern Heiligen in Liebe und Treue möge als mildernder Gegensatz bei diesem blutigen Blatte gedacht werden. Der Freiherr von Wart war ruhiger Zuschauer bei dem Morde des Kaisers gewesen. Von seinem Vetter Thibald, Grafen von Blamont, um Geld an seine Verfolger ausgeliefert, ward er verurtheilt, auf dem Rade zu sterben. Umsonst bittet seine junge Gemahlin, aus dem Hause Balm (alles Namen, die heute noch in der Gegend erhalten sind) um Gnade für ihn; Schönheit und Thränen rührten die Richter nicht. Auf das Rad geflochten, giebt er erst nach drei Tagen den Geist auf. Wenn die Nacht herabgesunken, kommt seine Gemahlin, steht ihm bei, betet mit ihm über der ungeheuren Marter. Des Gatten Beschwörungen können sie nicht entfernen, nur der Tod, zu dem sie ihm nach so langer schrecklicher Pein endlich die Augen schließen kann. Vom Fuß des Schaffots begiebt sie sich nach Basel, wo sie, „geliebt und bewundert von aller Ehrbarkeit,“ wie die alte Chronik Albert’s von Straßburg sagt, noch einige Jahre lebte und dann, von Gram und schrecklicher Erinnerung aufgezehrt, dahinstarb. Damals sanken Hunderte der helvetischen Geschlechter vor einer kaum zu sättigenden Rache. Ihre Güter gewährten zum Theil die Dotation des zur Sühne und Buße gestifteten Königsfelden und vermehrten die Klosterschätze in Töß. Man darf aber wohl behaupten, daß mit dieser Vernichtung des helvetischen Adels sich das Haus Oesterreich in der Schweiz einen mächtigern Schlag versetzt habe, als Morgarten und Sempach getan.
Doch zurück in die heitere Gegenwart!
Wer aus dem Aargau in den Kanton Zürich tritt, findet bald einen auffallenden Unterschied. Der Menschenschlag scheint ein ganz anderer zu sein. Dort begegnete uns wohl ein frohes Lied, ein lächelndes Gesicht der im Felde Arbeitenden; hier geschieht Alles stiller, in sich gekehrter; auch die dunkle Tracht der Bauernweiber und Mädchen macht einen fast traurigen Eindruck. Der Schlag ist nicht schön, nicht lebhaft, aber im Allgemeinen doch kräftig, gelenk, zähe, wo nicht der Einfluß des Fabriklebens, freilich hier unter verhältnißmäßig günstigeren Bedingungen, uns auch eine schlaffere, schmächtigere, kränkelndere Generation erblicken läßt. Was den schweizerischen Fabrikarbeiter überhaupt von dem Fabrikarbeiter anderer Länder wesentlich unterscheidet, ist die Erleichterung häuslicher Einrichtungen, ein mehr fester und bleibender Wohnsitz, was ein wanderndes Proletariat ausschließt. In der Regel sucht er sich die Anschaffung der nothwendigsten Lebensbedürfnisse noch durch eigenen Anbau zu erleichtern, indem er sich bemüht, ein kleineres oder größeres Stück Land entweder als Eigenthum zu erwerben oder als Lehen in Pacht zu nehmen. Anderntheils aber überliefert der Umstand größerer Seßhaftigkeit den armen mittellosen Arbeiter auch mehr der Willkür seines Arbeitsherrn; und hiergegen schützt das Gefühl bürgerlicher Gleichheit allerdings nur höchst selten. Der Eigennutz hat überall dieselben Symptome.
Wenden wir uns wieder zur ländlichen Hauptbevölkerung des Cantons, so finden wir, daß eine durchgehende Nationaltracht, namentlich bei den Männern, immer mehr verschwindet. Sie scheint schon früher in den verschiedenen Gegenden vielfach abweichend gewesen zu sein. Der Zwillichrock, bis an die Knie zugeknöpft, das scharlachne Bruststück mit langen Taschen, die weiten schlotterigen Beinkleider haben meist schon jener halben Annäherung an eine mehr städtische Tracht Platz gemacht, die unbeschreibbar ist. Nur bei älteren Männern sieht man zuweilen noch ein und das andere jener Stücke. Steter hat sich die weibliche Tracht erhalten, wenigstens in den untern Gegenden und im Bezirke Regensberg. Hier ist sie günstiger für das schöne Geschlecht, das uns sonst freilich selten den frischen Reiz der berner, freiburger und solothurner Bäuerinnen erkennen läßt. Die Tracht besteht in einem rothen, wollenen Leib- oder Unterrock, einem schwarzen Rocke (Jüppe), ohne Aermel, der untere Theil enge gefaltet, etwas kürzer als der Leibrock, von Wolle oder Zwillich; einem roth scharlachnen Mieder (Brustlatz), über das der obere Theil der Jüppe mit Bändern befestigt ist; einem Halskragen (Göller), weiß oder gefärbt, und blauen oder schwarzen Schürzen. Als Kopfbedeckung tragen die Weiber Hauben von halb- oder ganzseidenem brochirten Zeuge, mit breiten schwarzen Spitzen eingefaßt (Hütli). Die Mädchen tragen die Haare in zwei herabhängenden, geflochtenen Zöpfen, die Weiber wickeln die Zöpfe unter die Haube; doch winden auch die „Maitli“ sie häufig um den Kopf. Im alten Amte Knonau pflegten die jungen Mädchen sonst in die langen Haarzöpfe rothwollene Schnüre einzuflechten, was freundlich stehen mußte. Sie tragen daselbst ein ziemlich breites Sammetband mit Spitzen, eine kurze, dunkelblaue Jüppe mit engen Falten und einem hellblauen, seidenen Bande besetzt; ein die Gestalt ziemlich gut bezeichnendes Leibchen, worauf eine von farbigen Sammetbändern gebildete Fünf (V) sich befindet, ein rothes Brusttuch, ein hellfarbiges Göller, einen sammetenen Gürtel mit silberner Schnalle, gestreifte Schürze, eine Jacke von schwarzem Wollenzeuge, welche die V nicht ganz deckt, weiße baumwollene, früher rothwollene Strümpfe. Die Weiber tragen überdies eine leinene weiße Haube, die enge anschließt, auf beiden Seiten Glasperlen und glatte, knapp anliegende Spitzen hat.
Unsere Illustration giebt den Lesern einen ländlichen Hochzeitszug aus dem regensberger Bezirk: im Hintergrunde ist Regensberg selbst zu erblicken, das reizend auf einem Vorhügel des Jurazweigs der Lägern liegt. In den meisten übrigen Gegenden nähert sich der Schnitt der Kleidung wie bei den Männern der städtischen mehr oder weniger. Zürich hat manche seiner alten Gewohnheiten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_437.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)