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Seite:Die Gartenlaube (1855) 434.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Thut mir leid, mein Herr, er ist mit seiner Tochter ausgegangen. Der junge Mann, der Ihnen auf der Treppe begegnete, fragte ebenfalls nach ihm, Ich vermuthe, der Gesuchte wird bald heimkehren – wenn Sie ein wenig warten wollen –“

Diese Aufforderung kam Philipp gelegen, er folgte dem Magister in das Stübchen. Kaum traf das helle Licht die Gestalt des Besuchers, als Elias freudig überrascht ausrief:

„Ah, mein Herr, Sie sind es! Nicht wahr, ich hatte schon einmal die Ehre, Sie bei mir zu sehen? Ihr Besuch hatte die wohlthätige Folge für meinen Miethsmann – und ich konnte ihm so wenig Auskunft geben – ach, wie lieb ist es mir, daß ich Sie wiedersehe! Hätte ich Ihre Adresse gewußt, ich würde Sie aufgesucht haben.“

„Sie sind Magister?“

„Magister, Novellist und Correktor einiger unserer weitverbreitetsten Blätter.“

„So habe ich es mit dem gebildeten Manne zu thun, der meine Schritte nicht mißdeuten und die nöthige Discretion beobachten wird.“

Elias wickelte sich fester in seinen alten Schlafrock und verneigte sich.

„Die Familie Bornstedt ist Ihnen befreundet?“ fuhr Philipp fort.

„Ich theile Freud’ und Leid mit ihr. Alles, was sie betrifft, ist für nach von großem Interesse. Ich umspinne sie gewissermaßen mit den geheimen Fäden meiner Freundschaft, und wirke im Stillen so viel ich kann, um die Dankbarkeit der armen guten Menschen nicht zu provociren. So suche ich mich denn mit denen zu verbinden, die einen gleichen Zweck verfolgen, hinwieder aber auch die fern zu halten, die sich in feindlicher Absicht nahen. Ich habe einen köstlichen Schatz zu bewachen. Glauben Sie mir, ich bin Kenner – Anna ist eine seltene Perle. Sie vereinigt Jugend, Schönheit, Herzensgüte und Tugend in hohem Grade. Ich habe in dem Kinde schon einen vortrefflichen Grund gelegt. Freilich ist Anna nicht reich, sie besitzt nur ein Vermögen von dreihundert Thalern; aber sie bringt ihrem künftigen Gatten andere, größere Schätze – haben Sie die junge Dame schon gesehen?“

„Nein!“ antwortete Philipp, der seine Beziehung zu Josephine, wo er Anna gesehen hatte, nicht verrathen wollte.

„Doch, Verzeihung, lieber Herr,“ flüsterte der Magister mit einem Lächeln der Verlegenheit, „ich preise Ihnen da ein junges Mädchen an, und weiß nicht einmal, ob Uhr Herz noch frei ist. Sie sind wohl noch nicht verheirathet?“

Philipp mußte eine zweite Nothlüge aussprechen. „Ich bin unverheiratet!“ antwortete er lächelnd.

„Vortrefflich! Vortrefflich!“ rief Elias, der sich wieder in den Stoff zu seiner Novelle versenkte. „Sie haben dem Vater die Freiheit wiedergegeben, und Anna entbrennt in Dankbarkeit zu dem großmüthigen Retter. Sie dürfen sich dem Danke des guten Kindes nicht entziehen. Aber fürchten Sie nichts, ich bin discret, vor der Katastrophe, welche die handelnden Personen selbst herbeiführen müssen, kommt kein Wort über meine Lippen.“

„Wer war der junge Mann, der mir in der Thür begegnete?“

„Ja, lieber Herr, bestimmte Auskunft kann ich Ihnen nicht geben; aber ich habe so meine Vermuthungen. Er sagte mir, er käme von Madame Lindsor. Diese Dame ist nämlich eine reiche Engländerin, eine junge Wittwe. Wie mir scheint, ist jener schöne Mann ihr heimlicher Liebhaber. Ich müßte wenig Scharfsinn besitzen, wenn ich mich täuschen sollte.“

Dem armen Philipp rieselte es heiß und kalt über die Haut. Schon die Vermuthung des Magisters, dessen eigenthümliche Combinationen er mit seiner Gutmüthigkeit rechtfertigte, weckte das peinliche Gefühl der Eifersucht wieder, das er gestern Abend so großmüthig niedergekämpft hatte.

„Woraus schließen Sie das?“ fragte er, gewaltsam seine Verwirrung verbergend.

„Wie ich Ihnen schon gesagt, so liegt mir daran, die Personen kennen zu lernen, die nach der Familie Bornstedt fragen. Ich suchte ihn auszuforschen. Da drückte er mir freudig bewegt die Hand und sagte: „„Ihre Befürchtungen sind unnütz, Madame Lindsor ist eine so liebenswürdige Dame, daß sich jeder glücklich preisen kann, für den sie sich interessirt!““ – Mein Gott, gab ich zur Antwort, ich will die Dame nicht kränken. – „„Dann würden Sie in mir einen Gegner finden, der Sie vernichtet!““ rief der junge Mann, grüßte und ging. Sind Sie nicht meiner Ansicht, daß nur ein Liebhaber solches Feuer haben kann?“

„Er wollte also die Familie Bornstedt besuchen?“

„In einer dringenden Angelegenheit, wie er mir sagte. Weiter konnte ich nichts erfahren, denn er lief wie ein Besessener davon. Aber was ist Ihnen, lieber Herr? Sie zittern ja und sind bleich, als ob sie plötzlich krank geworden wären.“

„Herr Magister,“ sagte Philip ernst, „Sie müssen mir versprechen, meine Besuche gegen Jedermann zu verschweigen. Plaudern Sie, so kann Ihrer liebenswürdigen Schülerin ein Glück entgehen, das ihr jetzt so nahe bevorsteht.“

„Ich verbürge mein Ehrenwort! Uebrigens fürchten Sie den blonden Menschen nicht, Anna steht unter meiner speciellen Aufsicht, und meiner Einwirkung wird es möglich sein –“

„Auf Wiedersehen, Herr Magister!“

Philipp drückte dem kleinen Manne die Hand, und verließ hastig die Wohnung.

„Ich müßte ein schlechter Menschenkenner sein, wenn ich noch zweifeln wollte, daß der gute junge Mann eine zärtliche Neigung für Anna hegt!“ flüsterte Elias vor sich hin, als er wieder in seinem Stübchen war. „Was sage ich, eine zärtliche Neigung? Er ist schon Feuer und Flamme! O Himmel, nun habe ich wieder einmal vergessen, ihn um seinen Stand und Namen zu befragen! Das ist sehr unangenehm; aber es thut nichts, ein Novellist muß sich immer zu helfen wissen. Anna’s Liebhaber bleibt vorläufig ein Unbekannter, das reizt die Neugierde des Lesers, erhält die Spannung und giebt meinem Werke etwas Geheimnißvolles, wie man es jetzt liebt. Die Entwickelung ergiebt sich von selbst, ich brauche nichts zu erfinden. Nun will ich die zweite Scene ausarbeiten, ehe ich zu der dritten übergehe, werde ich wohl schon so viel von Madame Lindsor erfahren haben, daß ich sie dem Leser naturgetreu vorführen kann. Also zur Arbeit!“

Elias ergriff die Feder, sann einige Augenblicke nach, und begann emsig zu schreiben.



V.

Philipp befand sich auf dem Wege zu seiner Gattin. Es war die gewöhnliche Stunde, um die er ihr seinen Besuch abzustatten pflegte. Er ging langsam, um wenigstens so viel äußere Ruhe zu gewinnen, daß er der vielleicht unschuldigen Josephine seinen Seelenzustand verbergen konnte. Der junge Mann liebte zu leidenschaftlich, und die ersten Monate seiner Ehe waren unter so eigenthümlichen Verhältnissen dahingeschwunden, daß seine Eifersucht wohl wach werden konnte. In der festen Hoffnung, daß sie ihm den empfangenen Besuch unaufgefordert mittheilen würde, zog er die Glocke auf dem Vorsaale. Meta, die schon bejahrte Kammerfrau, öffnete die Thür. Eine Minute später ward er mit derselben Offenheit und Zärtlichkeit empfangen, die ihm Josephine stets bewiesen hatte. Sie befand sich noch im Negligée, da sie erst zu der Abendgesellschaft große Toilette machen wollte. Man unterhielt sich von der Soirée, und Josephine legte ihrem Gatten die Liste der Eingeladenen vor. Sie bestand aus vierzehn Personen, deren Bekanntschaft Josephine in den Abendgesellschaften des Banquiers gemacht hatte. Meta lud zum Frühstück ein, und man setzte sich zu Tische. Josephine sprach lebhaft von den getroffenen Einrichtungen, von der Sorge, deren sie sich durch die Soirée entledigte, und von dem neuen kostbaren Kleide, das sie heute zum ersten Male tragen würde. Der arme Philipp saß wie auf Nadeln, des verhängnißvollen Besuchs geschah mit keiner Sylbe Erwähnung. Da trat Meta ein. Sie brachte einen Brief von Madame F. Josephine öffnete und las. Ihre Züge verrieten eine unangenehme Ueberraschung.

„Madame F. wird diesen Abend nicht kommen!“ sagte sie gleichgültig, indem sie ihrem Gatten das Papier gab.

Philipp las die Zeilen, durch die der Banquier kurz und bündig ankündigte, daß ein Unwohlsein seine Gattin an das Zimmer fessele, und daß sowohl er als sie das Versprechen, diesen Abend zu erscheinen, zurücknehmen müßten. In der Abfassung lag eine Kälte, die nach Philipp’s Ansicht beleidigen sollte. Es waren nicht einmal die gewöhnlichen Höflichkeitsformen beobachtet.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_434.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)