Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Nekropolis ab, so daß die Todten sich rühmen können, wie allerhöchste, lebendige Herrschaften in Extrazügen zu fahren. Wer hätte wohl an diese Verwendung des Dampfes und der Eisenschienen früher gedacht? Und wie prompt und billig ist diese letzte Reise? Man kann sie schon mit allem Zubehör von Trauernden (hin und zurück) und dem neuen Logis für ein Pfund Sterling machen. Um aber dem Range der Todten Rechnung zu tragen, giebt es verschiedene Klassen von Begräbniß und Logis, so daß man bis zu 25 Pfund Sterling gehen kann, wenn der Todte Geld genug zurückließ und man ihn seinem Range gemäß besonders schön in der neuen Todtenstadt einlogiren will. Uebrigens sollen sie unten sich gar nichts draus machen, ob sie für 1 oder 25 Pfund eingemiethet wurden.
Wir machen besonders auf die Wohlfeilheit der sonst überall lästig theuern Unterbringung menschlicher Ueberreste aufmerksam. Für noch nicht sieben Thaler bekommt ein Todter Sarg, freie Fahrt für sich (und Rückfahrt für die Begleitenden) und eine freie Wohnung für die ganze Dauer seiner Verwesung. Von zwanzig Thalern an bekommt er auch noch ein Denkmal dazu.
Dabei hat die Vorstellung für die Hinterbliebenen und die Todten, welche verordnen, daß sie in der Nekropolis den letzten, langen Schlaf thun wollen, während ihrer Lebenszeit noch einen bedeutenden Gemüthswert. Es liegt etwas Tröstliches in der Vorstellung, daß die irdischen Ueberreste eines geliebten Wesens unter einer sonnigen, ruhigen, schönen Gegend „in Frieden schlafen.“ Das konnten sie in London nicht, wo neben den Kirchhöfen unaufhörlich schwere Last- und donnernde Eil- und erschütternde Eisenbahnwagen den Boden bis tief hinunter beunruhigen, so daß man sich die ruhigen, kalten Züge unten fortwährend in zitternder Bewegung denken muß. Außerdem sehen die londoner Kirchhöfe alle sehr geschmacklos öde und eingezwängt und überfüllt aus: arme Leichen zu Sechs bis Zehn in einem einzigen Grabe über einander in sogenannten Nasenquetschern, zwischen denen der Leichnam eben nur den engsten Raum hat; blaumlos und blumenlos und besäet mit grauen, fabrikmäßig über einen Leisten gesägten Denksteinen. In der sonnigen, neuen Todtenstadt kann sich der Trauernde Gemüthstrost, schöne Eindrücke und frische Lebensluft für die ihm zugemessenen Tage holen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_423.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2023)