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Seite:Die Gartenlaube (1855) 422.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

wie Walter Scott, der mehr Sittengemälde gab, als er zeitbewegende Gegenstände wählte; er faßt Beides zusammen, er wählt seine Stoffe meist aus großen Uebergängen in der Entwicklung eines Landes, eines Volkes, die dann wieder ein helles Schlaglicht auf die eigenen Zeit werfen; dabei malt er mit feinstem Pinsel das ganze Wesen, die tiefste Charakteristik jener Zeit nach und mit dem göttlichen Instinkte der ächt naiven Dichterkraft, weiß er auch überall das Stete im Menschen, das Reinmenschliche, was an keine Zeit gebunden ist, wundersam hervortreten zu lassen. – Am Bedeutendsten treten gerade diese angedeuteten Vorzüge in seinem Roman: „Die Clubisten in Mainz“ hervor, und finden wir sie auch mehr oder weniger wieder in seinem neuesten Roman: „König Jerôme’s Karneval.

Einer anderen Aufgabe bleibe es überlassen, die Werke König’s einzeln zu besprechen und in all ihren Vorzügen zu verfolgen; uns kann es hier nur um allgemeine Umrisse, um das Totalbild des Dichters zu thun sein. – Schließen wir dasselbe ab, indem wir sein äußeres Leben noch von da an verfolgen, wo wir vorhin es verließen, wo er auf einmal der berühmte Schriftsteller geworden war. In dieses Glück trat auch das Glück, daß die 25jährigen Leiden seiner Frau durch den Tod beendet wurden. Es war zu Anfang 1835, die Unglückliche starb unter erschütternden Umständen, und eine Section erwies Verbildung der inneren Hirnschale, die stets mehr auf das Gehirn gedrückt hatte. Trauernd, doch glücklich, frei von banger Sorge und Qualen, gehoben von Ruhm, ging nun das Schaffen frisch weiter: „Die Waldenser“ und Shakepeare’s „Dichten und Trachten“ wurden vorbereitet, geschrieben, in die Welt gesendet; aber bei den vielen amtlichen Pflichten mit solcher körperlichen Anstrengung, daß der Grund zu späteren ernsten chronischen Leiden gelegt wurde. Sehnsucht nach Liebe, Mittheilung, nach häuslicher Freude und kaum genossenem Eheglück, führten nun den Dichter zum zweiten Male in die Ehe und zwar in eine innig glückliche, wohlthuend ausfüllende und anregsame, mit einer gebildeten Frau aus dem Kreise des höhern Fabrikstandes; bald darauf heirathete auch seine Tochter einen braven, gebildeten Schulmann.

Langdauernde Bekanntschaft mit einem geistvollen Russen gaben Veranlassung zu dem vortrefflichen Werke: „Literarische Bilder aus Rußland.“ Im Jahre 1839 wählte ihn Hanau noch ein Mal zum Landtag. Der Mißliebige wurde dafür 1840 nach Fulda versetzt, als Obergerichts-Secretair; dem Klerus zum Verdruß, den katholischen Bürgern zur Scheu, doch herzlich aufgenommen in einem gebildeten protestantischen Kreise, zu dem Anfangs auch Dingelstedt gehörte. Ein Jahr darauf verloren die Aeltern ihren prächtigen, vierjährigen Knaben. Nun erschienen „Regina“ und „Veronika“; zwei Jahre im Seebad brachten das Buch: „Eine Fahrt nach Ostende.“ Die Jahre 1846 und 1847 schufen „die Clubisten in Mainz.“ Anhaltende Leiden hatten den Allzufleißigen schon auf eigene Kosten einen Mitarbeiter in seinen Amtspflichten anstellen lassen; jetzt, im Sommer 1847, bat er um Entlassung aus dem Staatsdienst; er erhielt sie mit Pension.

Der welthistorische März 1848 zog den Dichter zurück nach Hanau, um im Kreise alter Freunde und theurer Verwandten der Frau, die Entwicklung der Ereignisse zu verleben. Er hinterließ in seiner Vaterstadt die Liebe eines gebildeten Kreises, eine auch den Kircheneifrigen abgenöthigte Achtung, die Zufriedenheit der katholischen Geistlichkeit mit seinem Rückzug und ein kleines Grab mit Immergrün. Der Bauernstand des Kreises Hanau wählte den würdigen Kämpfer früherer Zeit auf’s Neue; er ging im April zu dem vom Märzministerium berufenen Landtag nach Kassel. Kämpfe, Stürme, Arbeit aller Art vollauf! Dabei Unachtsamkeit auf sich selbst – so steigerte sich sein krampfiges Asthma auf’s Höchste, doch hielt er tapfer aus bis zum November, wo er dann bedenklich krank nach Hanau zurückkehrte. Ruhe und Pflege machten ihn aber bald genesen; er besorgte die neue Ausgabe von „Shakespeare“ und „Regina“; er schrieb „Haus und Welt“ und machte Studien und Anhänge zu dem jetzt erschienenen „König Jerôme’s Karneval.“ –

Liebevolle Heiterkeit im Haus, einfacher Verkehr, gemessene Diät, Besuche von Wildbad und Gastein, kleine Ausflüge in schöne Natur, haben des Dichters körperliches Befinden leidlich und beruhigend hergestellt; Muth und Heiterkeit des Geistes beleben und tragen ihn fortwährend, und so dürfen wir denn freudig hoffen, noch anderes Schönes und Bedeutsames von ihm zu empfangen.

Das ist das Leben des armen Knaben aus dem Volke, das Bild eines deutschen Dichters, eines der schönsten und edelsten Geister unserer Nation.




Die Todtenstadt in London.

In einer Stadt, die mehr Einwohner hat als manches deutsche Königreich, wo sich so viele Menschen auf drei geographische Quadratmeilen zusammendrängen, wie sich kaum in drei ganze deutsche Herzogthümer vertheilen, wo Geborenwerden und Sterben zu den blühendsten Gewerben gehört und schon seit zwei Jahrtausenden ununterbrochen Menschen geboren und begraben wurden, erhob sich neuerdings die wichtige Lebensfrage: „Was machen wir mit unsern Todten?“ Ein deutscher Freihändler und Cobdenschützling hier schlug in einem Meeting vor, man solle sie ausbraten und Lichter daraus ziehen, die Reste aber verbrennen, weil sie dadurch am Schnellsten in die elementarischen Stoffe aufgelös’t würden, die in Regen und Luft den Gärten und Feldern sofort zu Gute kämen. Also Düngung der Felder mit unsern dahingeschiedenen Brüdern und Schwestern aus der Luft von Oben. Ungemein freihändlerisch und nationalökonomisch; aber wer bürgt uns auf diesem ökonomischen Wege dafür, daß nicht Cobden und die Freihändler einmal ein Gesetz durch’s Parlament bringen, welches alle Arbeitsunfähigen, Alten und Kranken zum Tode für die Seifensieder verurtheilt, damit sie, die selber nicht mehr mit ihrem Lichte leuchten konnten, mit russischem Talge Concurrenz machen und den Marktpreis der Lichter und Räderschmiere herunter bringen? Zwischen diesem freihändlerischen Vorschlage und dem Lord John Russel’s, man solle die Begräbnißgesetze reformiren, im Uebrigen aber Alles beim Alten lassen, zerbrachen sich Jahre lang die weisesten Staatsmänner die Köpfe an der Lösung dieser Frage, bis es Privatleuten endlich mit schwerer Mühe gelang, Concession für ihre praktische Lösung zu finden.

Der Bischof von London war sehr dagegen, da in dieser Lösung – Begräbniß in einer besondern entlegenen Todtenstadt – eine Verkürzung des Brotes der Geistlichen stecke. Als die Concession dennoch erfolgte, trug er, mit mehr als einer Million Thaler jährlicher Einkünfte, auf eine Besteuerung der Todten zum Besten der Kirche an, ward aber damit abgewiesen, da die englische Hochkirche schon Einkünfte genießt, welche das höchste Militär-Budget, das Preußens, bedeutend übertreffen. Die Privatleute traten also mit ihrer Concession für eine „londoner Nekropolis“ (Todtenstadt) als „National-Mausoleums-Compagnie“ hervor und in’s Leben. Sie kauften 2200 Morgen Landes zur Begründung der neuen Stadt, etwa 20 (englische) Meilen südwestlich von London neben der Südwesteisenbahn bei Woking, eine hügelige, stille, von Industrie und Lebensqual durch Berge geschützte Haide. Ein großer Theil dieser Haide wurde rasch von schönen Eisenzäunen eingegittert, mit Bäumen bepflanzt, mit Wegen durchzogen, eingeweiht und „Nekropolis Londons“ getauft. Auch einige kleine Kirchen und Kapellen mit Glocken erhoben sich rasch, um Todten, die’s bezahlen können, noch eine letzte Lobrede und ein Ehrengeläute zukommen zu lassen.

Die neue Todtenstadt bevölkerte sich Anfangs nur langsam, aber jetzt steigt der tägliche Zuwachs in beinahe geometrischen Proportionen. Jeden Morgen nach 11 Uhr geht ein langer Eisenbahnzug mit Todten und Trauernden nach der neuen, stillen, sonnigen Stadt ab, siedelt dort die neuen Bewohner an oder unter und bringt die Trauernden zurück, von denen dann mit der Zeit immer Einer nach dem Andern seine letzte Eisenbahnfahrt antritt, um sich in der neuen Stadt dauernd einzurichten. So geht also alle Tage ein besonderer Eisenbahnzug mit Todten in die neue

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_422.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)