Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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würde sie nicht kennen, würde sich nicht wenigstens an Einem oder dem Andern derselben erfreut und erweitert, oder doch den Namen ihres Vaters mit Liebe, Achtung, ja Ehrfurcht haben nennen hören? Und wer, der sich um die früheren politischen Entwickelungskämpfe im innern Vaterlande aufmerksam bemüht oder auch nur bekümmert hat, wer von diesen sollte den Namen dieses edlen Dichters nicht auch kennen als den Namen eines tüchtigen Mitkämpfers für freiheitliches Recht auf der Landtagstribüne seines Vaterlandes, für religiöse Freiheit? Und geht Ihr nach Hessen, nach Cassel, nach Fulda, nach Hanau: da wird Euch der Name Heinrich König auch genannt als der Name eines so rechtschaffenen, strengredlichen und bürgerlich soliden Mannes, – eines so braven, treuen Gatten, Vaters und Freundes, – einer so liebevollen, harmlosen, anspruchslosen Natur: daß ihm auch seine eifrigsten Gegner in Politik und Religion ebenso hohe Achtung schenken müssen, als seine Freunde ihm Liebe zollen.
Aber der arme Knabe aus dem Volke hat eine schwere Schule des Lebens durchlaufen und durchleiden müssen, ehe er zur Höhe seines Ruhmes, seiner Stellung gelangte, und gewiß ist es interessant, in rascher gedrängter Uebersicht diesen schweren Weg mit ihm zu verfolgen. Gewiß aber auch ist es ein lichter Trost für den deutschen Patrioten, auch an diesem Beispiel wieder zu erkennen, eines Theils, daß die meisten unserer großen und schönen Geister aus dem Volke hervorgegangen sind, daß also eine Nation, die in ihrem Urkerne fortwährend solche Kraft erzeugt, noch nicht so weit herabgekommen ist als man uns dies von manchen Seiten her glauben machen will; anderntheils, daß selten eine wahrhaft ächte Kraft an sogenannten „äußern Verhältnissen“ zu Grunde geht, wenn sie stets pflichtgetreu ihrer Selbst und ihrer Aufgabe sich bewußt ist.
Heinrich König wurde am 19. März 1790 in Fulda geboren; sein Vater war als Bauernsohn aus dem Dorfe Schwaben in das fürstbischöfliche Militär eingetreten, und starb als Unteroffizier in dem von den Franzosen belagerten Mainz, zwei Jahre nach der Geburt seines Sohnes. Die Mutter war eine tüchtige Schneiderin, namentlich in Mützen und Kappen für die Bäuerinnen, und sie zog nach dem Tode ihres Mannes zu ihrem Bruder Velten, der früher weltlicher dienender Bruder im Kapuzinerkloster gewesen war, dann aber statt der Kutte ein Weib genommen hatte, und nun als Lohnarbeiter, Handlanger und Commissionär mannigfache Dienste für Kloster und Stadt that. Die ganze Familie war fromm, strengrechtschaffen, sparsam, sauber, und dies Alles bis zur peniblesten Gewissenhaftigkeit; diese ersten Eindrücke und Anschauungen haben sich durch das ganze Leben des Dichters hingezogen. Heinrich wuchs in diesem Kreise als fleißiger Schüler der Bürgerschule auf, unendlich zufrieden und still vergnügt; seine Hauptfreude war, dem Studenten die Bücher nachzutragen, und als er einst einen hölzernen Pallasch geschenkt bekam, ruhte er nicht eher, als bis er ihn an einer Mauer zerschlagen hatte, um auf leere Faust wieder vergnügt sein zu können. Daß die Studenten dann und wann in den Weihkessel Tinte gossen, und Manche, die sich daraus mit schwarzen Tuppen besprengt hatten, dies für Wirkung des Teufels hielten, brachte wohl den ersten Conflict in seine fromme Anschauung des kirchlichen Kultus. Aber mit Rührung und Interesse wohnte er den weihnachtlichen Theatervorstellungen der Kapuziner bei, dem „Krippchen,“ letzter Rest der mittelalterlichen Mysterien. In der Schule waren es die altbiblischen Geschichten und die Anfänge der Geschichte seines engeren Vaterlandes, die Geschichte der Heidenbekehrer, die besonders auf ihn wirkten. Seine guten Anlagen bewogen Mutter und Oheim ihm in Gemeinschaft anderer Knaben noch besondern Unterricht ertheilen zu lassen, bei einem „Präceptor,“ das heißt bei einem armen Studenten, der sich dessen für sehr kleine Gaben, worunter auch Victualien, unterzog. In den Freistunden trug er die Arbeiten seiner Mutter herum oder hütete die Ziege; bald aber sollte er – durch Vermittelung seines Oheims – das Leitseil der Ziege mit dem Meßglöcklein im Stifte der englischen Fräulein vertauschen; er wurde ein gar niedlicher, geliebter und Vertrauen erweckender Ministrante. Die lateinischen Worte seines Dienstes als Ministrante hatte er rasch und sicher aufgenommen, und der Oheim verschaffte ihm deshalb von einem Pater Hilarius eine alte, lateinische Grammatik; sie sollte die erste Sprosse zur Leiter höherer Wissenschaft werden. Sicheren Fuß auf dieser Sprosse gefaßt, sprang er dann auch schon bald von der Bürgerschule in das Gymnasium, just zu derselben Zeit, als des Fürstenthums Fulda geistliches Regiment überging an das weltliche Regiment des Prinzen von Oranien.
Der als Erbschaft zurückgelassene lange Mantel eines reichen Gymnasiasten, wurde nun durch Decret des Gymnasialdirectors unserm Heinrich umgeworfen, und er that ihm treffliche Dienste, wenn er mit seinen Mitschülern auf der Straße singen und dann die milden Gaben dafür einsammeln mußte. Bald hatte er den ersten Platz und schon zwei Prämien in seiner neuen Schule gewonnen. In diese Zeit fällt eine seiner nachhaltigsten Erinnerungen: er bekam von den Aeltern eines Mitschülers das erste Billet für das Theater, das unter dem neuen weltlichen Regimente fleißig kultivirt wurde; „die Hussiten vor Naumburg“ machten einen tiefen Eindruck auf ihn, und er fühlte sich selig, als er eines Abends einen der Knaben mitspielen durfte, die zu rufen hatten: „Ich!“ – Er brachte dieses „Ich“ aber so jämmerlich und consternirt heraus, daß er beschämt davon lief. – Ein anderes Davonlaufen hatte ernstere Folgen: einmal in der Woche genoß er mit zwei Mitschülern einen Freitisch im Kloster; da wurde nun eines Tags ein Schweinskopf von unbeschreibbar üblem Geruch vorgesetzt; Heinrich nimmt ein Stückchen Papier, schreibt darauf:
„Die Suppe essen wir; die andern guten Gaben
Hebt uns gefällig auf bis wir den Schnupfen haben,“
steckt das Zettelchen dem Schweinskopf in den Mund und läuft davon. Er verlor damit natürlich seinen Freitisch, hatte auch wohl noch manche Häkeleien auszustehen, und seit der Zeit schon kamen die Klöster bei ihm in einen üblen Geruch; den verlorenen Mittagstisch ersetzte er mit angestrengterem Erwerb durch Privatstunden. – Nun erfolgte die große Schulreform; die langen Mäntel der Schüler fielen ab und damit auch manche Zöpfe, Fesseln für die jungen Geister, die sich nun immer freier bewegen und neue, erweiterte Anschauungen in sich aufnehmen konnten. Dies geschah bei Heinrich immer mehr, als er, mit drei Prämien belohnt, das Gymnasium verlassen und das Lyceum betreten hatte, und zwar zur Zeit, als Fulda durch Mortier für die Franzosen besetzt wurde. Diese neue Richtung seines Denkens und Anschauens bewahrte ihn auch wohl vor der Gefahr, Mönch zu werden, wie Oheim und Mutter ihm das nach Beendigung seiner Gymnasial-Studien vorschlugen und wozu auch einige gescheidte Mönche den talentvollen und vielversprechenden Jüngling bereden wollten; vielleicht mochte auch jener Schweinskopf mit dazu beitragen, denn in demselben Zimmer, wo dieser ihn in die Flucht getrieben, sollte er seine entscheidende Erklärung ablegen; da, – ehe dieser Moment kam, lief er zum zweiten Male davon, und rettete in diesem Augenblick dem deutschen Vaterlande einen seiner edelsten Dichter. – Man trug ihm das aber nicht nach, und Ohm und Mutter gaben sich gern mit seinem höheren Studium auf dem Lyceum zufrieden. Drei Jahre dauerte dasselbe, und jedes dieser Jahre hatte nach drei Richtungen hin einen entschiedenen Einfluß auf die spätere Richtung, auf das ganze Leben des jungen Mannes. Zuerst in kirchlicher Beziehung, in immer größerer Ablenkung vom Dogma auf den Weg eigener Forschung; sodann in schriftstellerischer Beziehung durch Anfertigung einer prosaisch-poetischen Arbeit, der Beschreibung eines Sommerabends in den Gegenden Nizza’s und Turin’s; sie wurde, als die beste Arbeit von Allen, öffentlich vorgelesen, und machte einen so bedeutenden Eindruck, daß Viele an ein Plagiat dachten, wo der Verfasser durchaus Original gegeben hatte. Diese Arbeit war der Keim zu des Verfassers erstem Roman: „Die hohe Braut.“ Das dritte Jahr brachte dem Jüngling seine „erste Liebe,“ deren ernste Folgen ihn schon bald an Gründung eines Ehelebens denken lassen mußten.
Am 9. September 1809 beschloß er seine Lyceums-Studien mit einer lateinischen Rede in so freisinniger Weise, daß sie ihm die Pforten der Theologie, die er anfangs beabsichtigt hatte, verschloß, und er stand nun am ersten großen Scheidewege seines späteren Lebens. Gern hätte er Jura studirt, aber dazu hätte er nach Wetzlar an’s Reichskammergericht gemußt, und dazu war kein Geld vorhanden. Was nun zu thun? Er beschloß endlich, die Vorstudien zur Anatomie bei dem neuerrichteten Krankenhause zu machen und widmete sich derselben auch mit allem Eifer; seine später so fruchtbar gewordenen tiefen Blicke in die Physiologie des Menschen gewannen hier wohl ihre ersten Grundzüge. Als Endresultat dieser Studien schaute aber doch nur ein gewöhnlicher Chirurg hervor,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_420.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)