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Seite:Die Gartenlaube (1855) 416.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Alles gesagt, Josephine. Mein Vater hat durch unglückliche Spekulationen sein Vermögen verloren, und wollte er nicht zur völligen Armuth herabsinken, wollte er seinen Sohn nicht hülflos in der Welt zurücklassen, so mußte er sich durch einen Prozeß das Gut aneignen, an das er scheinbar Rechte besaß. Der Ausgang des Verfahrens war zweifelhaft, und um auf den schlimmsten Fall vorbereitet zu sein, bezog ich die Universität, studirte Philosophie und Mathematik, damit ich, wenn es die Noth erforderte, in meinen Kenntnissen die Mittel zu meiner Existenz fand. Als meine Studien beendet waren, war auch der Prozeß entschieden – mein Vater befand sich in dem Besitze des einträglichen Guts. Er starb, und ich müßte ihn nicht genug kennen, wenn ich daran zweifeln wollte, daß seine Vaterliebe die Stimme des Gewissens unterdrückte, die ihm während seines kurzen Krankenlagers Vorwürfe machte. Da lernte ich Dich kennen, Josephine; ein neues, herrliches Leben ging in mir auf, und ich pries die Vorsorge meines Vaters, die mich dem Kreise erhalten hatte, dem Du angehörtest. Jetzt bist Du meine Gattin, und ich habe nichts mehr zu fürchten, als den Verlust Deiner Achtung. Es kann mir nicht schwer fallen, sie mir zu bewahren – heute noch werde ich die Forschungen nach den rechtmäßigen Besitzern meines Vermögens beginnen, zugleich aber auch meine Kenntnisse zu verwerthen suchen.“

Die junge Frau brach in Thränen freudiger Rührung aus.

„Nun bin ich getröstet,“ flüsterte sie, „nun kann ich stolz auf Dich sein!“

Philipp schloß von Neuem das herrliche Weib in seine Arme, und küßte ihr die Thränen von den sanft gerötheten Wangen. Josephine erhob sich und holte einen Brief aus dem Kasten ihres Schreibtisches.

„Vorgestern habe ich ein Schreiben von meinem Korrespondenten aus Moskau erhalten,“ sagte sie. „Damit Du auch siehst, wie meine Angelegenheiten stehen, lies!“

Philipp öffnete den Brief und las folgende Zeilen:

„Madame! Die amtliche Bestätigung des Todes Ihres Gatten, des Kaufmanns Herrn Lindsor, hatte ich bereits vor fünf Monaten die Ehre, Ihnen zu übersenden. Meine Bemühungen, eine Abschrift seines Testamentes zu erlangen, waren bis jetzt leider vergebens, das Dokument liegt noch versiegelt in dem Archive der Gouvernements-Kanzlei, und ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich es dem Einflusse des englischen Consuls hiesigen Orts zuschreibe, daß die Eröffnung desselben so lange hinausgeschoben wird. Trotzdem Herr Lindsor die letzten Jahre in Deutschland gelebt hat, so wird er doch stets noch als englischer Unterthan betrachtet, und steht mithin das Arrangement seiner Nachlaßangelegenheit unter der Leitung des englischen Consuls, der, wie ich vermuthe, nach Erben in England forscht, um das bedeutende Vermögen des Verblichenen seinem Vaterlande zu erhalten. Sie haben mich zu Ihrem Bevollmächtigten ernannt, und als solcher ertheile ich Ihnen wiederholt die Versicherung, daß ich Ihre Interessen scharf überwachen und wahrnehmen werde. Verfügt das Dokument zu Ihren Gunsten, so soll es keiner Anfechtung gelingen, Ihnen das Erbe zu entziehen oder zu schmälern. An eine Fälschung ist, bei der strengen Gerechtigkeit unserer Behörden, nicht zu denken, auch habe ich Vorsorge getroffen, daß das Testament nur in meiner Anwesenheit eröffnet werde. Der letzte Wille des Erblassers wird maßgebend sein, dafür birgt Ihnen mein Diensteifer.

Keraskoff, Advokat“ 

Der junge Mann gab schweigend den Brief zurück. Josephine warf das Papier auf den Schreibtisch, hing sich an den Arm ihres Gatten und ging langsam mit ihm im Zimmer auf und ab.

„Nun höre mich noch einen Augenblick an,“ begann sie schmeichelnd, „damit Du meine an Dich gerichtete Mahnung nicht auf Unkosten meiner Liebe deutest. Lindsor, mein erster Mann, war zwar ein guter, aber mit allen Eigenheiten seiner Nation behafteter Mensch. Er bewarb sich in Hamburg um mich, weil er sterblich verliebt war, wie er selbst sich ausdrückte, und ich nahm seine Bewerbung an, weil ich ihm nicht nur zu großer Dankbarkeit verpflichtet war, sondern auch die höchste Achtung vor ihm hegen mußte. Mein Vater, ein kleiner Kaufmann, stand mit ihm in Geschäftsverbindung, und wäre Lindsor nicht ein vortrefflicher Mann gewesen, so hätte meinen armen Aeltern eine traurige Zukunft bevorgestanden. Als ich seine Frau war, erfuhr ich erst, daß Lindsor ein ungeheures Vermögen besaß, und daß er durch die Heirath mit der armen Hamburgerin sich mit seiner stolzen Familie völlig entzweit habe. Dieser Umstand veranlaßte ihn, noch einige Jahre in Deutschland zu bleiben, um die erste Zeit seiner Ehe in Ruhe und Frieden zu verleben. Wir zogen nach Berlin und richteten uns standesgemäß ein. Von dort aus unternahm er eine Geschäftsreise durch Rußland, wohin ein großer Absatz seiner Fabrikate stattfand, und in Moskau starb er an der Cholera. Bin ich nun auch überzeugt, daß Lindsor in seinem Testamente für mich gesorgt hat, so muß ich dennoch befürchten, daß ich mit seinen englischen Verwandten, die höchst erbittert auf mich sind, eine genaue Abrechnung halten muß. Und sage selbst, Philipp, welchen Eindruck muß es bei jenen Leuten hervorbringen, wenn sie erfahren, daß ich kaum zwei Jahre nach dem Tode meines ersten Mannes schon wieder verheirathet bin? Ich habe Lindsor nicht geliebt, wie ich Dich liebe, mein Philipp; aber seine Verwandte sollen nicht daran zweifeln, daß ich ihm in Hochachtung und edler Freundschaft zugethan war, wie es der brave Mann verdiente. Ich bin es meiner Ehre schuldig, daß ich die Veröffentlichung meiner zweiten Ehe so lange unterlasse, bis ich in jeder Rücksicht frei und unabhängig geworden bin, bis ich dem Andenken meines Wohlthäters den vollsten Tribut gezollt habe. Trifft mich ein Vorwurf, so darf es nur der sein, daß ich meiner innigen Liebe zu Dir gefolgt bin, daß ich den Bitten dessen nachgab, an den ich mit der ersten glühenden Neigung des Mädchens hing. Ist es ein Fehltritt, so mag ihn mir Gott verzeihen, der Dich mir in einer Zeit zuführte, wo ich einsam und verlassen mich nach einem theilnehmenden Herzen sehnte. Ich weiß nicht, was Lindsor über mich bestimmt hat, Du kannst eine reiche, aber auch eine blutarme Gattin an mir haben –“

„Und dennoch räthst Du mir, mich meines Vermögens zu entäußern!“ rief Philipp. „Du bist eine edle, eine seltne Frau, Josephine, und ich werde Dir an Großmuth und Redlichkeit nicht nachstehen!“

„Begreifst Du nun den ganzen Umfang meiner Liebe? Philipp, du bleibst mir derselbe, auch wenn Du arm bist!“

„Josephine, wäre es möglich, so würdest Du mir noch mehr sein, wenn Dich Lindsor enterbt hätte, denn ich kann für Dich sorgen und arbeiten!“

„So leben wir von diesem Augenblicke an unserm Prinzipe getreu. Ich betrachte das Vermögen, über das ich bis jetzt noch zu verfügen haben, nur als ein anvertrautes Gut, und deshalb habe ich Berlin verlassen, um mich hier bescheiden einzurichten. Dort hätte man die plötzliche Veränderung meiner äußern Verhältnisse vielfach bekrittelt – hier wird man mich nehmen, wie ich mich gebe.“

„So mag Dich Leipzig als die Wittwe Lindsor, und mich als einen Schöngeist kennen lernen, der in einem Dachstübchen sein Brot verdient. Was Dir das Vermögen Deines Mannes, wird mir die Hinterlassenschaft meines Vaters sein!“

Ein glühender Kuß und eine innige Umarmung besiegelten den Bund, den diese beiden in unserer Zeit so seltenen Herzen geschlossen hatten. Denselben Tag noch bezog Philipp von Nerop eine bescheidene Wohnung, und Madame Lindsor traf ihre Einrichtungen, daß sie zwar ihrem Stande gemäß, aber höchst einfach lebte. Am folgenden Tage stellte sie sich der Familie eines Banquiers vor, mit dem ihr verstorbener Gatte in Geschäftsverbindung gestanden hatte. Diese gesellige Anknüpfung sollte die einzige sein; Josephine hielt sie für hinreichend, um sich der Medisance so wenig als möglich auszusetzen. Philipp erschien täglich in ihrem Hause, aber außer der vertrauten Kammerfrau, die Josephinen von Hamburg aus gefolgt war, ahnte Niemand sein wahres Verhältniß zu der jungen Frau.



II.

Ein Monat war verflossen, und die beiden jungen Gatten hatten in der Heimlichkeit ihrer Ehe einen Reiz gefunden, der ihr Glück zur höchsten Seligkeit erhob. Wie stolz war Philipp, wenn er seine Gattin im Theater oder im großen Concerte bewundert sah, wenn er sich die Leute in Vermuthungen über die junge reizende Frau erschöpfen hörte, die eine Freundin der so hochgeachteten Banquiersfamilie war. Auch nicht die leiseste Eifersucht regte sich in seinem Herzen, das eben so viel Liebe als bewundernde Hochachtung für Josephine empfand; nur von Zeit zu Zeit ward das Bedauern darüber in ihm wach, daß er sich nicht an ihrer Seite zeigen konnte, um sich wegen des Glücks dieses seltnen Besitzes beneiden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_416.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)