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Seite:Die Gartenlaube (1855) 415.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 32. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Eine seltsame Frau.
Von A. S.


I.

Der Winter war streng und anhaltend, noch zu Anfang des März kreischte der Schnee unter den Fußtritten und die Lerchen zeigten sich in den Straßen. Leipzig, das einen Theil seines wohlverdienten Rufes diesen armen Thieren verdankt, steht um diese Zeit in voller Blüthe, das heißt in der Blüthe seiner Concerte, Bälle, Soiréen, Vorlesungen, Opern und Recensionen. Wir führen dessen ungeachtet den Leser Morgens um die elfte Stunde in eine große, prachtvolle Privatwohnung, die sich in dem ersten Stocke eines Hauses in dem neu angebaueten Theile der Stadt befindet. Wir öffnen die Thür eines eleganten Boudoirs. Da sitzt auf einem Sopha von rothem Sammet eine junge Dame, von deren Schönheit ein blasser junger Mann bezaubert zu sein scheint, denn er liegt knieend auf derselben Fußbank, welche die Spitzen ihrer kleinen Füße berühren. Die zarte weiße Hand der vielleicht vierundzwanzigjährigen jungen Frau ruht auf dem blonden Haupte ihres Anbeters, der im stummen Entzücken zu ihr emporsieht. Die Schönheit ihres feinen Gesichts wird durch ein anmuthiges Lächeln verklärt, das offenbar der Ausdruck einer innigen Liebe ist; es verräth aber auch das Glück, das sie in dieser Liebe findet.

„Sollte ich mich getäuscht haben, Philipp?“ fragte sie mit einer lieblichen Stimme, die den Worten jenen Zauber verlieh, der sich in ihrem ganzen Wesen aussprach. „Sollte Deine Liebe zu mir nicht stark genug sein, um ohne Zögern einen Wunsch zu erfüllen, der Dir einen kleinen materiellen Verlust zufügt, zugleich aber das uns umschlingende Band noch heiliger und fester macht, als es bisher gewesen ist? Ich bestürme Dich nicht, Philipp, denn mein letzter Brief, den ich Dir nach Berlin sandte, hat Dich darauf vorbereitet.“

Der junge Mann ergriff ihre beiden Hände und bedeckte sie mit Küssen.

„Josephine,“ rief er aus, „hast Du auch reiflich überlegt, hast Du Deine und meine Zukunft in’s Auge gefaßt, als Du Dir den Plan bildetest, den ich nur aus Rücksicht für Dich nicht billige?“

„Ich habe nichts außer Acht gelassen, mein geliebter Freund;“ flüsterte sie. „Selbst den Fall nicht, daß uns die Mittel fehlen können, unser Leben wie bisher fortzusetzen. Doch, ich habe schon zu viel gesagt,“ fügte sie mit ruhigem Ernste hinzu. „Nicht weil ich Dich bitte, sollst Du handeln, sondern aus freiem Antriebe, nachdem Du mit Deinem Gewissen zu Rathe gegangen bist. Die Handlung der Gerechtigkeit, von der wir sprechen, soll kein Opfer sein, das mir Deine Liebe bringt, denn ich bin ja Deine Gattin, und nicht Deine Geliebte; es kann sich nicht darum handeln, daß Du mehr gefällst – nein, Philipp, ich liebe Dich, wie Du eben bist, und deshalb möchte ich, daß du mir die tiefste Achtung auferlegst. Ich mache Dich nicht verantwortlich für die Handlungen Deines Vaters; aber ich glaube fordern zu dürfen, daß Du alles Heilige achtest, das Deine Gattin in Dich legt. Du bist meine Ehre, mein Glück, mein Alles. Und doch hast Du Dich gegen mich vergangen, Philipp!“

Sie drückte einen Kuß auf seine hohe, jugendliche Stirn, und fügte mit einem Lächeln hinzu, das den Ernst, der sich ihrer unwillkürlich bemächtigt hatte, mildern sollte:

„Deine letzte Mittheilung, Philipp, hat mein früheres Glück getrübt. Am Tage nach unserer heimlichen Verbindung erzähltest Du mir die Heldenthat des Advokaten, durch die Dein Vater zum Besitze seines Vermögens gelangt ist. Ich schwieg, mein Geliebter; aber ich fand mich in Dir gedemüthigt, in dem Gatten, den ich für den Reinsten der Menschen hielt. Eine Geschäftsreise hielt Dich vier Wochen fern von mir, und, so schwer mir das Bekenntniß auch wird, ich muß es ablegen – die Sehnsucht nach Dir ward durch den Gedanken geschwächt: der Vater deines Mannes hat das Vermögen entwendet, mit dem du einst vor der Welt glänzen sollst. Philipp, du bist ein Edelmann – hast Du auch darüber nachgedacht, was Vermögen und Redlichkeit ist? Hast Du die Handlung Deines Vaters recht begriffen? Bedenke, daß es eine zu Grunde gerichtete Familie giebt, die unter Thränen ihr kärgliches Brot ißt, die vielleicht dich und mich verwünscht, weil wir Beide von ihrem Vermögen ein bequemes Leben führen.“

„Genug, Josephine!“ rief Philipp bewegt. „Besitze ich nicht in Dir alles Glück der Welt? Wohlan, ich habe den Willen und die Kraft, es mir rein und ungeschmälert zu erhalten. Du sollst mich achten, wie Du mich liebst, und der Segen jener armen Familie soll unserm Glücke die schönste Weihe geben. Zweifle nicht, Geliebte, daß ich über Deinen Brief nachgedacht habe –“

„Philipp!“ rief Josephine, indem sie ihn mit beiden Armen umschlang. „O, ich wußte es wohl, was ich von Dir erwarten durfte! Und was ist das Resultat Deines Nachdenkens?“

„Daß ich das Vermögen meines verblendeten Vaters wieder ausgleichen muß. Er ist nicht so strafbar, als es vielleicht den Anschein haben mag, denn seine Handlung ging aus der Liebe zu mir, seinem einzigen Sohne, hervor. Ich habe Dir noch nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_415.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)