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Seite:Die Gartenlaube (1855) 414.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

ergriffen, den einzigen käuflichen Gegenstand, und kauften daher den ganzen auf dem Hofe umherwatschelnden Vorrath. Unsere gackernden Schätze wurden heimgetrieben und in zwei Abtheilungen für die Nacht einlogirt. Aber die ganze Nacht hindurch gackerten und kreischten sie sich gegenseitig die Ungerechtigkeit dieser Trennung zu, so daß sie sich erst beruhigten, bis sie wieder vereinigt worden waren. Während der Nacht war nach unserer Meinung der Preis der Gänse gestiegen, so daß wir einen großen, rumpfigen Slavonier, der uns zuweilen auf unseren Reitparthien als Verstärkung begleitete. mit noch einer Hand voll Piaster zu der Frau hinüber sandten. Der brave Kerl begnügte sich nicht damit, sondern zog auch seine graue mit gelben Schnuren besetzte Jacke aus, fegte ihre Stube, hackte ihr Holz, machte ihr Feuer und holte ihr verschiedene Bedürfnisse und Erquickungen zusammen. Ich habe seit der Zeit immer gern auf die grüngelbe Jacke und das breite, ehrliche Gesicht dieses Slavoniers geblickt, und er war immer sehr glücklich, wenn ich ihm ein freundliches Wort sagte.

Zwei Tage nachher erfuhren wir, daß das unglückliche Kind vollends erloschen war. Wir schickten der Mutter eine Arabah (ländliches Fuhrwerk) und beförderten sie in die nächste Stadt, wo wir für ihren nöthigsten Unterhalt Sorge trugen.

Das sind kleine, aber wirkliche Erlebnisse aus der asiatischen Türkei, hinreichend zu einem Bilde und zu der Ueberzeugung, daß diese herrliche Halbinsel, die einst die mächtigsten, blühendsten Völker und Staaten trug, der Alles durchdringenden modernen Kultur gegenüber nicht so bleiben kann. Der Krieg wüthet jetzt auch in ihren Eingeweiden, leider, wie die Sachen jetzt stehen, nicht zu einer Regeneration oder „Rettung der Türkei.“ Die civilisirten Westmächte haben im Ganzen Alles gethan und unterlassen, um sich den Türken verhaßt zu machen und den „kranken“ in einen wirklich sterbenden Mann zu verwandeln, der Rußland viel lieber zum Erben einsetzt, als irgend einen seiner Erretter.


Blätter und Blüthen.

Der verliebte Luftballone. Während unlängst Monsieur Godard, der Aeronaut, auf dem Marsfelde zu Paris einen ungeheuern Luftballon füllte, amüsirte er die Zuschauer durch verschiedene Kleinigkeiten, besonders durch Absendung eines kleinen Ballons, der ganz die Gestalt und Figur des kleinen Exdiplomaten Thiers hatte. Als der kleine Staatskünstler gehörig mit Luft gefüllt war, erhob er sich majestätisch in die Luft und verschwand unter dem Jauchzen der Menge in höheren Regionen, doch kam er an einer andern Stelle wieder unter Sterbliche, und benahm sich beinahe wie einst der verliebte Göttervater Zeus, der sich auch Jupiter schrieb. Der kleine Luftschiffer ward nämlich von einem Sturme gepackt und bei Bievre vor einem feinen Landhause mit der Erde in Berührung gebracht. Die junge Herrin des Hauses machte eben bei großem offenen Fenster, das in den Park öffnete und daher keine neugierigen Augen zuließ, Toilette für eine Abendparthie. Im größten Negligee war sie eben damit beschäftigt, ihre Taille zu einem bloßen Gedankenstrich der Gedankenlosigkeit zusammenzuschnüren, als der kleine Windbeutel Monsieurs Thiers sich wie ein ungestümer Liebhaber zum Fenster hereinstürzte und Miene machte, seine Flamme zu umarmen. Die Dame schreit, wirft einen Shawl um ihre schönen Schultern und bittet den ungestümen Don Juan: „O, Monsieur, gehen Sie! gehen Sie! Sie ruiniren mich!“ Aber der durch’s Fenster blasende Sturm giebt dem leichtsinnigen Anbeter einen Stoß, so daß er auf die Dame zuläuft. Sie schreit wieder, und da sie draußen auch nahende Schritte hört, spedirt sie ihn eiligst unter’s Bett. Der Gatte ras’t jetzt mit einem mächtigen Säbel in der Hand, herein, und ihn schwingend, brüllt er:

„Ha, jetzt hab' ich ihn! Jetzt soll der Schurke sterben!“ und sucht schnaubend nach dem Verführer.

Die Dame, mehr todt als lebendig bittet flehentlich, unter das Bett: „Monsieur, fliehen Sie und ersparen Sie mir eine blutige Tragödie!“

Aber Mr. Thiers liegt still und will lieber zu ihren Füßen sterben als schmachvoll Hackenleder zeigen. Freunde und Diener springen nun ebenfalls herbei. Einige halten den wüthenden Herrn, Andere suchen nach dem ungesetzmäßigen Anbeter der Frau, und ziehen ihn endlich an einem Beine unter’m Bett hervor. Jetzt reißt sich der eifersüchtige[WS 1] Gatte los und ist eben im Begriff, ihn zu durchbohren, als er sich erhebt[WS 2] und stumm und Ehrfurcht gebietend bis zur hohen Decke erhebt. Aber unterwegs hatte ihn das tödtliche Schwert in die Achillesferse gebohrt, es flieht die Leidenschaft aus ihm mit melancholischem pustenden Geräusch, der kleine Mann magert rasch ab an der Decke und sinkt sterbend wie ein Häufchen Unglück von luftdichtem, aber durchlöchertem Seidenzeug zu den Füßen der Angebeteten nieder. Keine Thräne des Schmerzes rieselt auf die Leiche[WS 3] nieder, wohl aber manche Thräne unbändigen Gelächters. Der Hausherr lacht nicht mit, sondern versteckt sein Schwert und zieht sich bald selbst zurück. Es war ihm, als Franzosen und Gatten, beinahe empfindlicher, sich lächerlich gemacht zu haben, als wenn Mr. Thiers ein wirklicher Concurrent seiner ehelichen Zärtlichkeit gewesen wäre.




Elephanten-Klugheit. Von der beinahe an Doctoren der Philosophie grenzenden Klugheit und Weisheit der Elephanten giebt es eine Menge geschichtliche Beweise, wenigstens mehr als von dem Verstande der Doctoren der Philosophie. Hier sind einige Thatsachen neuen Datums.

Ein indischer Rajah hatte eine Zahl Elephanten für die Armee gekauft und ließ sie in seine Residenz bringen. Unterwegs zeigte sich ein Wärter und Treiber gegen seinen Elephanten sehr nachlässig und unterschlug große Portionen seines Futters. Der Elephant merkte dies jedesmal und bewies dies durch verschiedene Zeichen seines Zornes. Doch da das Thier in seiner natürlichen Großmuth es bei Drohungen ließ, wurde der Wärter frecher und fuhr fort, ihn mit halben Portionen abzuspeisen. Eines Morgens wurden die Rekruten-Elephanten von dem Commandeur des Rajah inspicirt, und zu diesem Zwecke in Reihe und Glied aufgestellt. Als der Offizier eben den vernachlässigten Elephanten erreichte, stieß dieser einen eigenthümlichen Ton aus, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Offizier sah ihn auch besonders an. Und in demselben Augenblicke ergriff er seinen Wärter mit dem Rüssel, warf ihn zur Erde und stampfte ihn zu Brei. Dies war das Werk einer halben Minute. Jetzt fiel der Elephant auf seine Knie und bat, so gut er konnte, um Gnade. Der Offizier ließ das Verhältniß des Wärters zum Elephanten untersuchen und gab dem Letzteren Recht, obgleich er eigener Richter gewesen und „gelyncht“ hatte.

Zu tragischen Geschichte lieferte ein die Anderer die Komödie. Der komische Elephant stand zu seinem Wärter im zärtlichen Freundschaftsverhältnisse. So oft Letzterer zu Tische ging, ließ er einen kleinen, schwarzen, häßlichen Jungen unter Aufsicht des Elephanten, der nun, wie das beste Kindermädchen dafür sorgte, daß der Junge nicht davon kroch oder zu Schaden kam. Eines Tages war er aber doch in der drückenden Mittagshitze etwas eingedusselt, so daß der kleine schwarze Sprößling, davon gekrochen war und in eine lehmige Pfütze fiel. Der Elephant hörte in seinem Mittagsschläfchen das Geschrei des Jungen, und sah bald, was von seiner Nachlässigkeit gekommen war. Doch hatte er Geistesgegenwart genug, sich aus er Verlegenheit und den Jungen aus der Pfütze zu ziehen und die Beweise seiner Schuld abzuwaschen. Er brachte seinen mit Lehm beschönigten Schwarzen auf’s Trockene, lief hinunter an einen Fluß, holte sich einen tüchtigen Rüssel voll Wasser, kam zurück und gab dem Jungen erst von der einen, dann von der andern Seite eine Radical-Wäsche mit Sturzbad. Dann legte er die letzte Feile an, indem er jeden einzelnen noch gebliebenen Fleck abspülte, und trug nun das „weißgewaschene Mohrenkind“ in die Sonne zum Trocknen, da kein Handtuch zu Handen war. Hier stand und wartete er zärtlich und ernsthaft aufmerksam auf das Handtuchswerk der Sonne und sah, als der Mann vom Essen zurückkehrte, so ehrwürdig und unschuldig aus, als ob gar nichts vorgefallen wäre.




Mutterliebe der Spinne. Die Spinne, die aller Welt „spinnefeind“ ist und von keinem Menschen geliebt wird, außer von einigen wilden Völkern, denen recht fette Kreuzspinnen wahre Leckerbissen sind, die Spinne ist gleichwohl als Mutter ein wahres Muster von aufopfernder Zärtlichkeit. Man mag ihr einen Fuß nach dem andern ausreißen, sie läßt das zart gesponnene Nest nicht los, in welches sie ihre Eier gesponnen. Reißt man ihr das Nest geschickt so weg, daß sie nicht verletzt wird, scheint sie sofort vor Schmerz erstarrt und wickelt ihre zitternden Glieder zusammen, ohne sich dann weiter zu rühren oder je wieder ein Lebenszeichen von sich zu gehen. Schiebt man ihr das Nest mit den Eiern wieder so zu, daß sie es gewahr wird, bekommt sie plötzlich alle ihre Lebenskraft und ihren Todesmuth wieder, womit sie den wieder[WS 4] ergriffenen Schatz vertheidigt und festhält. Das Nest von ihr zu entfernen, ist sehr schwer, da sie sich in der Regel den ganzen Kopf eher abreißen, als es los läßt. Sonach wird wohl keine Spinnenmutter so vornehm sein, ihre Kinder in Pension zu geben.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: eifesüchtige
  2. Vorlage: errhebt
  3. Vorlage: Lechie
  4. Vorlage: wideer
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_414.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2023)