Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Lebensbilder aus der Türkei Kleinasiens.
Im Allgemeinen weiß Jeder, wie ein Türke etwa aussehen mag: ernst, würdig, beturbant, weithosig, krummbeinig, langbärtig und langpfeifig; aber Wenige können sich eine deutliche Vorstellung von ihrem Alltagsleben[WS 1] machen, wo und wie sie essen, schlafen, leben, lieben und arbeiten. Wie sieht der Türke ohne Turban aus? Oder wird er mit ihm geboren? Lächeln diese ernsten, traurigen, Untergang ahnungsvollen Gesichter nie? Beschleunigt sich zuweilen sein träumerischer Schritt zu einer modernen, geschäftigen Eile? Sind die Türken nie Kinder gewesen und wie sehen sie in diesem Stadium aus? Giebt es keine jungen, rosenwangigen, lebenslustigen türkischen Mädchen?
Ich habe lange Zeit in ihrem sonnigen Lande gelebt (sagt eine englische Dame, Tochter eines englischen Konsuls in Kleinasien, der wir diese nachfolgenden Mittheilungen verdanken) und kann daher Manches aus dem Privatleben der Türken zum Besten geben. In Kleidung, Sprache, Sitten und Gebräuchen, Bewegungen und allem Beiwerk sind die Türken als Volk so durchaus malerisch, daß man sie sich nur als lebende Gemälde, als „lebende Bilder“ denken kann. Mag man sie sich in ihrem Geschäftsleben vorstellen in den alten, wundervollen Bazars, wie wir sie aus den „Arabischen Nächten“ kennen, oder zu Hause auf ihren Füßen sitzend und Taback rauchend, oder an ihre Weiber denken, wie sie hinter vergitterten Fenstern ihr unwürdiges ziel- und gedankenloses Leben hinschleppen, überall kamen sie als seltsame Bilder und Gemälde vor unsere Erinnerung. Ich habe die Türken in ihrer eigentlichen, noch nicht von der Civilisation beleckten Heimath, in Kleinasien, kennen gelernt, und kann daher von ihrem wahren Wesen und ihren ächten Farben sprechen. Wir kamen ihnen von Hause aus mit vollkommenem Vertrauen entgegen und hatten nie Ursache, es zu bereuen. Furchtlos, ohne bewaffnete Diener – die ersten Engländer unter ihnen, ritten wir umher und wurden überall, besonders auf dem Lande, mit der größten Freude begrüßt. Mancher alte Türke gab uns ein trauliches Kopfnicken und freundliches Wort. Oft mußte ich vor dem gegitterten Fenster eines türkischen Mädchens stehen bleiben und mich neugierig ausfragen lassen wegen meines Unglaubens, meiner Kleidung und meiner Freiheit, um die sie mich herzlich beneideten – arme, gefangene Sklavinnen. Manche Frau kam auch heraus zu uns, um und um eingehülst, um sich vor meinem Vater nicht sehen zu lassen, sich mir nur dicht Auge gegen Auge zeigend, um mir Früchte, Quitten oder Pflaumen, zuzustecken und ein freundliches Wort von mir zu erhaschen.
Mit welcher Freude erinnere ich mich unserer köstlichen Spazierritte, vom dämmernden Morgen bis zur frisch aufgehenden Sonne, durch schwer beladene Weingärten, an curiosen, einsamen, ländlichen Hütten vorbei, in denen die Weinbergswächter schliefen, so oft es ging, nie aber, ohne ein Auge offen zu behalten, da die Trauben von Menschen und Thieren arg angefeindet werden, in wüste Strecken hinein, durch fichtendunkle Schluchten, durch welche nie ein Sonnenstrahl drang, hin an rauschenden, donnernden Wasserfällen und aufsteigend in Paradiese der wildesten, üppigsten Vegetation, aus welcher uns nicht selten kleine schwarze Bären, Bewohner der Berge, aber große Liebhaber der Trauben des Thales, oder scheußlich heulende Schakals entgegensprangen. Auch trafen wir manchen Deserteur von der Armee, der hier in diesen Wildnissen als freier Räuber sich häuslich eingerichtet und gern auf Alles schießt, was sich im nähert. Wir kamen immer gut davon. Auch die wilden Hunde, die hier einsamen Reitern (zu Fuße sieht man Niemand in diesen üppigen Wüsten) oft lebensgefährlich werden, wußten wir stets zu treffen oder abzuwehren. Wir waren das Wunder der Gegend zehn Meilen ringsum, und wenn wir zum Frühstück nach Hause kamen und abstiegen und der starke Araber Ibrahim unsere Pferde nahm, waren wir jedesmal von Neugierigen umringt.
Ibrahim war ein Herkules von Körper, der grimmigste Türkenhasser und meines Vaters persönliche, zuverlässige Leibgarde. Er spielte bei Tische den Kellner und sattelte unsere Pferde. Aller übrige Pferdedienst fiel einem Türken zu, der den Araber ebenso grimmig haßte, wie dieser ihn, so daß sie sich gegenseitig mit Luchsaugen bewachten und jeden kleinen Fehler vergrößert vor den Richterstuhl meines Vaters trugen. Außer dieser Bedienung hatten wir noch einen braunen Malteser und einen schwarzen Portugiesen aus einer Kolonie. Eine scharfe, brünette Griechin war meine Kammerjungfer und perfekte Köchin für unser ganzes Haus. Zu diesem seltsamen Personal paßte das Haus, ein langes, niedriges Gebäude, wie sie hier fast alle sind, mit einem Vorbau. Unmittelbar dem Eingange gegenüber war ein mysteriöser Raum, in welchem die Griechin stets commandirte, schabte und scharwerkte, um Frühstück, Mittag- und Abendmahlzeit zu componiren. Links eine lange Halle zum Essen und Besuche zu empfangen. Das eine Ende mit einer kleinen Anhöhe und Kissen ringsum, um Ehrengäste zu placiren. Die Wände weiß, Meublement ein grober Tisch, einige Stühle und zwei große Wasserkrüge – ein bedeutender Luxus, da die Türken in ihren Putzzimmern in der Regel weder Tische noch Stühle haben. Nichts als Divans ringsum. Auf einer Seite eine offene Abtheilung, Rauchzimmer, in welches ein Granatenbaum seine mit glühenden Früchten schwer beladenen Zweige hereinschüttelte. Die Schlafzimmer öffneten alle in diesen Hauptraum und waren mit Brettern, auf denen einige Decken und über welchen mousselinene Mosquito-Vorhänge angebracht waren, außerdem mit einigen einfachen Waschapparaten ausgestattet. So wenig braucht der civilisirte Mensch, wenn er’s nicht bequemer haben kann. Wir in unsern luxusüberstopften Läden und Ansprüchen werden all Lebtage nicht fertig, Stückchen in die Wirthschaft nachzukaufen.
Unser Haus stand auf der Braue eines Hügels, der einen steilen bewaldeten Abhang hinunter sah. Der Wald zirpte jede Nacht von Millionen Grashüpfern so laut, daß jeder andere Laut, selbst die gemüthliche Musik der grünen Frösche, darin unterging. Feigen und andere Bäume steckten ihre üppigen Fruchtarme durch jedes Fenster und jede Ritze in der Wand, als bäten sie uns, ihnen von ihrer schweren Bürde abzunehmen. Der Früchte aus dem Schooße der Natur sind ja hier so überschwenglich viele und der Menschen so traurig wenige! Wo die Natur zu freigebig und weichherzig ist, gedeiht der zum Kampfe mit der Natur bestimmte Mensch nicht. Das ist der natürliche Fluch der Türkei und aller schönsten Gegenden der Erde. Wer durch den Bosporus kommt, den schläfert die weiche, üppige Natur ein und flüstert ihm in’s Ohr: Erschlaffe an Geist und Leib, schlafe und rauche, vegetire und steige aus dem Geschichts- in das sonnige Pflanzenleben herab und laß dich beiläufig Tag und Nacht von Insekten aller Art quälen. –
Die andere Seite unseres Hauses wurde ganz von einem Bade eingenommen. Es bestand aus zwei Räumen, einem Kühlzimmer mit einem kleinen Bade für eine Person, und einem großen Gewölbe über einem ringsum von Stufen umgebenen Marmorbassin, das aus einer natürlichen Quelle fortwährend versehen ward. Es dampfte stets mit großem Geräusch hinzu und ab. Es gab verschiedene heiße Quellen in der Nachharschaft; unsere hieß wegen der Klarheit des Wassers die „Silberquelle.“ Die Weiber und Mädchen der Nachbarschaft hatten jeden Tag während gewisser Stunden die Erlaubniß, die Silberquelle zu benutzen. Von dieser Zeit ließen sie auch selten etwas nach. Die Mädchen und Frauen und selbst Kinderchen, die kaum laufen konnten, schwammen in dem heißen Silber von 45 – 48 Grad wie Enten und lachten, jauchzten, sangen und kreischten dazu, daß die ganze Halle von dieser Musik wiedertönte. Ich habe sie mehrmals belauscht und denke an diesen nackten Jubel unten, leicht verschleiert durch den stets aufqualmenden Dampf, wie an Zaubermährchen zurück. Ich hielt es höchstes eine Viertelstunde in diesem heißen Elemente aus; sie plätscherten Stunden lang darin herum, schliefen dann ein Weilchen im Kühlzimmer und sprangen dann mit neuem Jubel in das flüssige, dampfende Silber.
Eines Tages hört’ ich eine merkwürdig-eintönige Kindesstimme im Bade und ging, um zu sehen, wer es war; eine niedliche, sechsjährige Griechin aus unserer Nachbarschaft, die wie ein Kork auf dem klaren Wasser umhersprang und dazu aus Leibeskräften ihre Melodie kreischte. Von meiner Gegenwart erschreckt, tauchte
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Altagsleben
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_412.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2023)