Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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wissen will, und daß man in seinem Hause, in seiner Unterhaltung nicht genirt sein dürfe.
Was wir nun aber von einem solchen Gesellschafter, von einem so über alles liebenswürdigen Wirthe empfangen, es übertrifft alles, was wir ihm geben könnten, ja es könnte uns überwältigen, in solcher Fülle und Mannigfaltigkeit spendet er es, wenn der Wechsel des Gedankens, der Gegenstände, die hier von allen Seiten hereinspielen, nicht auch wieder kräftigte und neu entzündete. Aus einem solchen Brillantfeuer von Gelesenem und Selbstgedachtem, von geschichtlichen Fakten, Anekdoten (an denen Herr von Schön eben so reich ist, und die er eben so appetitlich anzubringen weiß, wie einst Kant), Notizen, Erfahrungen, persönlichen Begegnissen, Urtheilen, Schlüssen, Vermuthungen, Forderungen, Mißbilligungen und Anerkennungen entnahmen wir genugsam, um einstweilen eine Skizzirung auf das Papier zu bringen. Wir geben sie hier, theils aus dem unmittelbaren Eindrucke, den wir empfingen, theils aus Combinationen, die wir machten, und aus Folgerungen, die wir zogen, um eine so gewaltige Persönlichkeit, über welche erst die Geschichte vollständig berichten wird, freilich nur sehr mangelhaft zu charakterisiren.
Der philosophische Grundcharakter des Grafen von Marienburg, des Weltweisen von Preußisch-Arnau, des Staatsmannes mit den Mitteln der Intelligenz giebt sich bei allem zu erkennen, was aus seinem Munde und aus seiner Feder kommt. Der Weltweise von Arnau mit seinem Halten auf unverbrüchliche Ordnung und Pünktlichkeit, mit seiner unerbittlichen Wahrheitsliebe, seiner Strenge der Moralität gegen sich und gegen andere, will daß jeder Mensch ohne Ausnahme in seinem Denken geschult sein solle, damit er seiner Würde sich bewußt werde, seine Vernunft in Ausübung bringe, und so also auch im Besitze eines gesunden Menschenverstandes und eines Herzens ohne Falsch sei. Erst wenn die Vernunft in jedem einzelnen Menschen entwickeit, geklärt ist, kann man über Weiteres mit ihm unterhandeln, kann er begreifen, was die Vernunft für Forderungen macht, und wie sie zu Wahrheiten führt, die über allen Zweifel fest stehen. – Man sieht, die Philosophie des Herrn von Schön ist vor allem praktisch, sie ist Lebensweisheit, die sich für Jeden schickt, ob er Fürst oder Edelmann oder Bürger oder Bauer sei. Man sieht aber auch, Herr von Schön giebt noch etwas auf die alte Logik oder Lehre vom richtigen Denken. Er ist ein Todfeind von allem Drunter und Drüber, von aller Verwirrung der Begriffe, und fordert Theilung und Eintheilung, Ober- und Unterabtheilung, wenn auch nicht auf dem Papiere, stets aber im Kopfe, damit das, was der Mensch will, als ein Ganzes klar in das mündliche oder schriftliche Wort hinübertrete. In diesem Sinne construirt Herr von Schön sicher auch den Staat zum Wohle jedes Staatsbürgers, vom Haupte bis zu den Gliedern. Wie Heinrich IV. von Frankreich einst wünschte, daß jeder Bauer Sonntags ein Huhn in seinem Topfe habe, so wünscht ihm Herr von Schön gewiß dasselbe, aber auch Licht im Kopfe und Wärme im Herzen. Das also erworbene Licht und die also gewonnene Wärme müssen dann in einer reichen Welt der Erfahrung sich bewähren und in Anwendung bringen.
Es ist wahrhaft erhebend, in unserer Zeit eines überhand nehmenden genußsüchtigen Materialismus, einer Gedankenscheu ohne Gleichen, welche die Philosophie fürchtet und abschafft, weil sie ihr unbequem wird, weil sie für Haus und Staat Ordnung und Gesundheit will, einen Staatsmann und Menschenfreund vor sich zu erblicken, der auf dem Grunde der Weisheit und nach dem Plane eines richtigen Denkens den Bau des Einzellebens wie des Staates ausgeführt wissen will. Das mindestens muß man eingestehen, für das Zweckmäßige, Anwendbare solcher Lebensweisheit spricht dieses, daß Herr von Schön sich selbst als Beispiel geben darf, wie er im Besitze der ächten Lebenskunst sein müsse. Denn ein Mann, der sich im 83sten Lebensjahre befindet, der nie seine Seelenkräfte hat ruhen lassen, nie seinen Körper verweichlichte, sich in den verwickeltsten Lagen des Lebens zurecht fand, keiner Gefahr aus dem Wege ging, und der sich so beweglich in seinem Denken, so frisch in dem Interesse, Neues aufzunehmen, seinen Körper bis auf alle Sinne (Herr von Schön liest und studirt die umfangreichsten Werke ohne Brille) so brauchbar erhalten hat, ein solcher Mann von den reinsten Tugenden muß sich mit seiner Weisheit auf dem rechten Wege befinden. Er hat schwere Verluste erlitten! Vor nicht langer Zeit wurden ihm Gattin und Tochter - und wie seltene, hochgebildete, seelenvolle Persönlichkeiten Beide! – durch den Tod entrissen. Des Zurückbleibenden gewaltiger Geist wurde bis in’s Tiefste erschüttert, aber in seiner Lebensweise, in seinem auf alle Sphären des Geistes und der Tagesfragen gerichteten Streben änderte das nichts, blieb er bis auf diesen Augenblick derselbe. Wir erinnern uns aus dem Munde des Mannes von so seltener Weisheit vernommen zu haben, Zweierlei erhalte frisch und bis in’s höchste Alter ungeknickt. Einmal müsse man stets mit Jüngeren Umgang pflegen, sodann sich stets das Interesse für Literatur bewahren, also für jede neue Erscheinung, die sich auf dem Gebiete der sprachlichen Schöpfung kund giebt.
Kant, der im Gedankenreichthum ein Millionär, und ebenfalls im Besitze der weisesten Lebenskunst war (er erreichte ein sehr hohes Alter), Kant, der selbst unter den schlichtesten Bürgern Königbergs seine Anhänger hatte, und sogar jetzt noch unter ihnen in seinen verständlicheren Schriften eifrige Leser findet, Kant bemerkte einmal, man solle vor jeder Abfassung einer schriftlichen Arbeit erst „Lärm schlagen“ in seinem Kopfe, um die nöthigen Gedanken zu versammeln, diese Gedanken dann auf dem Papiere ordnen, und nun erst die Ausarbeitung vornehmen.
Herr von Schön, wohl der älteste und ohne Zweifel der tiefste der noch lebenden Schüler des Weisen von Königsberg, hat diese Kunst des Lärmschlagens im Geiste früh schon geübt, so daß dieses Gedankenheer jetzt auch in der Unterhaltung stets ihm zu Gebote steht. Wie er im Gespräche diese Gedanken, mit unermeßlichen Erfahrungen vereinigt, anrücken läßt, mit fliegender Eile sie in Bewegung setzt, so merkt man’s ihm ab, wie er auch jeden Andern, mit dem er spricht, auf den Gedanken und die Erfahrungen hin, die er etwa gemacht hat, beobachtet, wie er sie in ihm zum Appell ruft, um Rede zu stehen, und ihm beizustimmen oder ihn zu bekämpfen.
Am Strengsten dürfte Herr von Schön in seinem Urtheil über den Staatsmann und den publicistischen, historisch-politischen Schriftsteller sein. Der Burggraf von Marienburg und Schüler Kant’s wird die Ueberzeugung hegen, daß es in Deutschland bis dahin noch wenig ächte Staatsmänner gegeben hat, nicht aus Mangel an Talent, vielmehr aus Mangel an Gelegenheit, aus Mangel an Oeffentlichkeit des Staatslebens, (welches erst in den letzten Jahren unter uns sich entwickelt und schon glänzende Talente bekundet hat), ferner aus Mangel an hochherziger Freisinnigkeit im Zusammentreffen der Ideen, im Kampf mit der öffentlichen Meinung, in der Gegenseitigkeit aller Stände, um das Volk mit seinem Fürsten lebendig zu vermitteln. Den Staatsmännern Englands wird Herr von Schön Bedeutendes zuerkennen, aber auch sie werden ihm lange noch nicht genügen. Und wenn man an die Alten, zumal an die Griechen denkt, wie deren Weise den Staat construirt haben, so hat Herr von Schön Recht. Der Schüler Kant’s wird es in keiner Art zugeben, daß der wahre Staatsmann sich bilden könne auf dem Wege der bloßen Rechtswissenschaft, nur beim Studium der bisherigen Gesetze und der Akten, in Verbindung mit der cameralistischen Wissenschaft, der Statistik und Volkswirtschaftslehre, auch nicht blos im Kampf der öffentlichen Parteien, der Debatte, und wären es die Reden und Gegenreden beider Parlamente. Am Wenigsten wird der Weltweise von Arnau geneigt sein, einzuräumen, daß die bisherige Diplomatie, die Klugheit und Gewandtheit des Ausweichens und Vorgehens, des Geheimhaltens und Enthüllens, wenn auch mit der feinsten Berechnung und Abwägung durchgeführt, den Staatsmann, wie er sein soll, zur Folge haben könne. Dazu gehört, nach Herrn von Schön, philosophischer Grund und Boden, der in die ganze Bildung des Mannes, der sich dem Staate widmen will, mit seiner Saat hineinwachsen muß, um die Früchte davon dem Volke zu Gute kommen zu lassen. Daher auch den Staats-Weisen vor Allem Klarheit und Richtigkeit des Denkens, feste, aber nicht pedantische Grundsätze, Wahrheitsliebe um jeden Preis, moralische Unumstößlichkeit, Kenntniß des Volkes in allen seinen Ständen und Fähigkeit bei der Erhaltung des bewährten Alten auch auf Neues prüfend, aber auch willig einzugehen, bilden werden. Alles in Allem, ohne Philosophie, ohne die Weisheit und Gedankenlichtung dieser Wissenschaft auch auf das Volk zu übertragen, um dessen Reife immer entschiedener zu gewinnen, ist nach Herrn von Schön kein Staatsmann, und am Wenigsten ein deutscher, auch nur möglich, geschweige denn zu verwirklichen.
Den ähnlichen Maßstab wird der Verfasser des „Woher nicht Wohin“ an den publicistischen Schriftsteller legen. Dieser soll nicht
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_409.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)