Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Weißt Du was, komm’ nächsten Sonntag, um neun Uhr Morgens. Kannst Dir ja Urlaub geben lassen! Aber, höre, ich bin kein Maler, wie Petetin, was Du ja auch selber sagtest. Ich muß, wenn ich ein Portrait male, allerhand von dem wissen, den ich male. So sag' mir Deinen Namen.“
„Jean Dümmler!“
„Dein Alter?“
„Sechs und zwanzig Jahre!“
So fragte er ihn nach den Namen seiner Aeltern, seinem Wohnorte und Arrondissement, wie lange er Soldat sei, wenn sein Vater gestorben sei und wie alt seine Mutter.
Jean gab die genaueste Auskunft, konnte aber doch gar nicht begreifen, was das Alles mit seinem Portrait zu thun habe.
Er äußerte das.
„Ja, siehst Du,“ sagte Vernet, „das muß ich Alles wissen, sonst wird Dein Bild nicht ähnlich. Ich würde es Dir wohl auseinandersetzen, aber sieh’, Du würdest es am Ende doch nicht verstehen.“
Jean wiegte nachdenkend seinen Kopf in bejahender Weise und sagte dann: „Nun begreif’ ich, warum in den Bildern des Petetin auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit liegt; der fragt nach dem Allen nicht!“
Darauf reichte er dem Künstler traulich die Hand und ging.
„Ein köstlicher Junge!“ rief Horace[WS 1] Vernet aus, „und ein ächtes, treues, deutsches Gemüth! Du sollst nicht vergessen werden, guter Junge!“
Er nahm eine auf einen kleinen Rahmen gespannte, grundirte Leinwand, stellte sie auf eine Staffelei und begann sogleich das Portrait Jean’s zu entwerfen. Er hatte sich ihn so scharf angesehen, daß es keines Sitzens bedurfte. Er arbeitete rasch daran fort, so weit es thunlich war; dann kleidete er sich an, nahm die Notizen über Jean’s Familienverhältnisse zu sich und fuhr bei dem Kriegsministerio vor, in dessen Thüre er verschwand.
Der Wagen hielt mehrere Stunden, bis Vernet zurückkam, begleitet von einem hohen Beamten des Ministerium bis zum Thore. Noch einmal sprachen beide angelegentlich, dann stieg Vernet in seinen Wagen und rief dem Kutscher zu: „Nach den Tuilerien!“
Dort angekommen, ließ er um eine Audienz bei Louis Philippe in dringender Angelegenheit bitten.
Der König gewährte sie dem hochgeehrten Künstler und Horace Vernet trat in das Kabinet ein.
Hier erzählte er dem Könige fast wörtlich die Unterredung mit Jean. Der König, den dies ungemein amüsirte, wurde indeß sehr ernst, als Vernet den Punkt berührte, daß der arme Junge nicht habe zu seinem Abschied gelangen können, ob er gleich die einzige Stütze seiner armen, hochbetagten Mutter sei, die seit Jahren Wittwe.
„Lassen Sie mir Ihre Notizen hier,“ sagte der König, „ich werde die Sache untersuchen lassen und sogleich auf das Kriegsministerium senden.“
„Ich bin bereits dort gewesen, Sire,“ sagte Vernet und legte dem Könige einige Schriftstücke vor.
Der König las sie durch, setzte sich sodann, nahm eine Feder und schrieb einige Worte darunter; ließ alsdann einen der Ordonnanzoffiziere eintreten und sandte die Papiere dem Minister.
Zu Vernet gewendet, sagte er lächelnd: „Wenn Sie Ihr Portrait für zwei Franks so gut vollenden, wie ich die andere Sache, so denke ich, soll Jean Dümmler mit uns Beiden zufrieden sein!“
Ein höchst freundliches Neigen des Kopfes entließ den Maler, der seelenvergnügt nach den Champs Elysées fuhr, um sich im Freien zu ergehen. Niemals erinnerten sich seine Freunde, ihn heiterer, ja fröhlicher gesehen zu haben, als an diesem Abende. Sie ahneten nicht, daß dies der Segen einer guten That war, der nie ausbleibt und den Widerschein himmlischer Freude und Friedens in das Herz wirft. Horace Vernet kam spät in den Kreis der Seinen zurück, auch hier so heiter und glücklich erscheinend, wie selten; aber er sagte nichts über den Grund dieser heitern Seelenstimmung, weil er erst dann es ihnen erzählen wollte, wenn es eine vollendete Thatsache würde geworden sein.
Schon am andern Morgen, in der Frühe, stand Vernet vor seiner Staffelei und malte an dem Bildchen, darinnen er Jean portraitiren wollte. Er stellte ihn dar, wie er unter einem jener prächtigen Bäume auf einer Bank saß, die den Park von Versailles schmücken. Auf seinem Knie lag ein Brief, den seine Linke hielt, die Rechte ruhte auf dem Tschako, der neben im stand. In der Ferne sah man einen Theil des Schlosses, worin die historische Gallerie sich befindet. Das Gesicht war dem Beschauer zugewendet und der Blick des blauen Auges sah träumerisch in die Weite. Die Aehnlichkeit war vollkommen gelungen, als er am Abend mit selbst zufriedenem Lächeln den Pinsel weglegte.
Jean hätte den Künstler gern angeredet, als er seinen Kapitain besuchte, den er wohl kennen mußte, obgleich dieser nie dessen erwähnte – aber die Hochachtung hielt ihn zurück. Nur einen Gruß konnte er sich nicht versagen, der ebenso viel Liebe als Hochachtung ausdrückte, und den Vernet mit einem so freundlichen Gesichte erwiederte, daß es dem ehrlichen Elsasser im Grunde der Seele wohlthat und er Betrachtungen über den Unterschied zwischen diesem berühmten Maler des Königs und dem Tüncher Petetin anstellte, der unendlich hochmüthig war, während Vernet ebenso herablassend, als freundlich gegen ihn sich erwiesen hatte.
Jean konnte die Stunde kaum erwarten, in der er sich zu Vernet begeben sollte. Die Traurigkeit über seine Versetzung in den mörderischen Kampf zu den Kabylen machte ihm stillen Kummer, denn der Gedanke hatte sich bei ihm festgesetzt, daß, wenn er lebend aus dem Kampfe hervorgehen sollte, er dem wachsenden, heißen Klima erliegen würde, weil schon die Sommerhitze in Frankreich jedesmal seine Gesundheit bedeutend untergrub. Gedachte er dann der völlig trostlosen Lage seiner lieben, hochbetagten Mutter, so bangte es ihm gewaltig. Neue Schritte, seinen Abschied zu erhalten, mochte er jetzt nicht unternehmen, weil eines Theils sein Ehrgefühl dies nicht erlaubte, andern Theils er aber auch von der Erfolglosigkeit derselben völlig überzeugt war. Seine Stimmung war daher eine gedrückte, und nur der Gedanke, seiner Mutter ein ähnliches Bild von ihm senden zu können, brachte ihm einige erheiternde Augenblicke. Hätter er sie nur noch einmal wiedersehen können, ehe ihn der Ocean von ihr trennte – vielleicht ein Grab im Sande der Wüste! Sollte er diesen Wunsch seinem guten Kapitain äußern? – er ging lange mit sich zu Rathe. Endlich meinte er: es könne ihm ja doch nicht im Mindesten schaden, und so wagte er es, einst seinem Kapitain nach der Zeit der Einschiffung zu fragen.
„Sie stehe noch nicht nahe bevor,“ sagte der Kapitain.
Da wagte er einen Schritt weiter, und bat um zwölf Tage Urlaub, seine geliebte Mutter noch einmal sehen zu können.
Ganz unerwartet erwiederte freundlich der Kapitain, er werde ihm gerne diesen Urlaub gewähren; wenn er ihn anzutreten wünsche?
„Nächste Woche,“ war Jean’s Antwort.
„Warum denn nicht gleich?“ fragte der Kapitain.
„Weil – weil – “ stotterte Jean, „Herr Horace Vernet ihn malen würde.“
„Was?“ rief der Kapitain in erkünsteltem Erstaunen, „Du willst Dich von dem berühmten Maler des Königs malen lassen, Jean, was fällt Dir ein? Der malt unter tausend Franken kein Bildniß. Wo sollst Du das Geld dazu hernehmen?“
Jean fiel schier in Ohnmacht. Tausend Franken. Das Wort erstarrte auf seiner Lippe.
„Ach,“ sagte er, „mein Kapitain, Sie scherzen grausam! Einen Franken und fünfundsiebzig Centimes habe ich mir erspart, das, habe ich ihm gesagt, sei meine ganze Baarschaft und Habe, und er sagte mir zu, mich dafür zu malen.“
„Das muß ich sagen!“ rief der Kapitain aus. „Glaubst Du denn das? Laß mal sehen, wenn Du erst gemalt bist, wird er Dir eine Zeche an’s Bein hängen. Jean, das war ein dummer Streich! Mit den großen Künstlern ist nicht zu spaßen!“
Jean versicherte wiederholt, Vernet habe es ihm zugesagt, ihn für dies Geld zu malen, und er sei ein gar guter, freundlicher Mann.
Der Kapitain lachte ihn aus und blieb bei seiner Meinung, und Jean war in einer der quälendsten Lagen seines Lebens. Zum Glück war es am Samstag, als ihm sein Kapitain das sagte. So nahm er sich denn vor, das Bild Morgen gleich abzubestellen, „da ja Vernet noch nicht begonnen habe,“ dachte er, „lasse sich das auch ohne alle Schwierigkeit abthun, wenn ihn Herr Vernet, wie sein Kapitain glaubte, nicht sollte verstanden haben.“
Der quälende Gedanke ließ ihn übrigens kaum schlafen, und seine Seele war ungemein betrübt, daß nun seine liebe Mutter kein ähnliches Bild von ihm haben sollte.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Horaze
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_405.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)