Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Bildwerken schon aus ihren Gesichtszügen, wenn auch kein Name dem Bilde unterzeichnet wäre. Dahin gehören unter andern: Luther, Friedrich der Große, Schiller, Blücher, Alexander von Humboldt. Der immer schnellere Umschwung unserer illustrierten Zeitungen, unserer litho- und photographischen Anstalten, selbst unsrer parodirenden und carikirenden Blätter ist im Begriff, eine zahllose Menge von Persönlichkeiten dem allgemeinen Bewußtsein ebenfalls zu überliefern. Aber auch die Presse einer umfassenderen Literatur und die Geselligkeit sollen nicht zurückbleiben, und wenn die letzte noch viel zu wünschen übrig läßt, so wird das immer mehr erleichterte Reiseleben, so werden Dampfschiffe und Eisenbahnen, so werden Erfindungen, die schon an die Thüre klopfen, das Ihrige dazu beitragen, den Wechselverkehr zu erhöhen, die trennenden Räume und Zeiten verschwinden zu lassen, die verschiedensten Stände und Persönlichkeiten einander näher zu bringen. Es ist nicht in Abrede zu stellen, das letzte Jahrzehnt unseres laufenden Jahrhunderts hatte der höheren Geselligkeit zu Gunsten der Nationalität schon weitere Bahnen eröffnet. Das Vereinswesen, welches in Deutschland zum Zwecke einer umfassenderen Gedankenäußerung Aller an Alle aufblühete, hatte der zunehmenden Bildung ganz neue Gebiete erobert. Leider verlor man sich wieder in einseitige, ja sogar in bedenkliche Richtungen, um es zu Grunde zu richten, und an dessen Stelle traten Gesellschaften, welche die Stände wieder ängstlich absonderten, oder, indem sie sie zusammenbrachten, den Argwohn hervorriefen, statt die Unbefangenheit zu mehren und zu nähren.
Wir unsrerseits sehen in all’ dem und wie die genannte Ausbildung in den mittlern und höhern Ständen einer gewissen Gedankenlosigkeit Platz macht, einen bedeutenden Rückschritt, eine traurige Verkümmerung und Verödung unserer gesellschaftlichen Zustände und wie wir überzeugt sind, daß es hohe Zeit ist, auch in dem gedruckten Wort über der jetzt so beliebten Natur, ihrer Wissenschaft und ihren bildlichen Darstellungen nicht den Menschen zu vergessen, sondern ihn der Nation immer wieder vorzuführen, so wollen wir in dem Folgenden das Bild eines Mannes entwerfen, welcher zu den ausgezeichnetsten unsrer Gegenwart gehört. Möchte unsere Darstellung hinter dem Leben nicht zu weit zurückbleiben! Da dieses Bild einen Mann betrifft, welcher schon durch Geburt, mehr aber noch durch das, was er aus sich gemacht, was er für das Gemeinwohl geleistet hat, den höheren und höchsten Kreisen angehört, so werden wir durch diese Skizze auch dazu mitwirken, daß die Stände und Individuen der Gesellschaft einander näher treten. Der gesunde und fröhliche Herzschlag eines Volkes wird erst dadurch ermöglicht, daß die obern und die unteren Theile des Gesammtkörpers, der nationalen Constitution zu einem lebendigen Ganzen zusammenwirken. Daraus erst springt als Ergebniß die Nationalität als solche hervor. Deutschland würde, ungeachtet seiner Vielgetrenntheit durch Glaubens- und Staatenunterschiede und die daraus folgende Vielspaltigkeit seiner Ansichten, Maßregeln, Interessen, dennoch seiner höheren Einheit sich stets bewußt sein, wenn es sie in der Bildung zu finden wüßte, in der Gewißheit, daß alle seine geistigen Größen, seine gediegenen Charaktere einem und demselben Vaterlande gehören, welches seine Marken nur durch die gemeinsame Sprache vom Auslande abgrenzen kann. Doch – wir gehen auf unsern Zweck ein.
Heinrich Theodor von Schön wurde geboren den 20. Januar 1773, auf dem Landsitze seines Vaters, zu Löbegallen in Litthauen. Der Vater machte den der Familie gewährten Adel wieder geltend, da er die Absicht hatte, vier seiner Söhne dem Militärstande zu widmen. Daß Litthauen das Land ist, in welchem unser Held geboren wurde, erachten wir sogleich von guter Vorbedeutung, denn es ist eine Gegend von trefflicher Bodenbeschaffenheit, gesundem Klima, von einem Menschenschlage bewohnt, der, lettischen Ursprungs, kräftige Eigenthümlichkeit in Sprache und Sitte, Vaterlandsliebe, Rührigkeit im Frieden und Tapferkeit im Kriege zu erkennen giebt, und dem Forscher sogar in poetischer Beziehung reiche Ausbeute gewährt. Gründliche wissenschaftliche Vorbildung erhält Theodor von Schön durch Hauslehrer, so daß er in einem Alter von siebzehn Jahren die Universität zu Königsberg bezieht. Hier ist es sogleich charakteristisch und für den ganzen Lebenslauf von heilsamer Entscheidung, daß Herr von Schön, wie das sonst so beliebt ist, sich keineswegs mit denjenigen Wissenschaften begnügt, welche zum Amte führen, sondern daß er sich aus ganz besonderer Vorliebe auch philosophischen Studien ergiebt. Kant und Kraus sind die Männer gewesen (zumal der erste), deren Geister in dem Geiste ihres eifrigen Zuhörers große Bewegungen veranlaßt, und ihn später, man darf geradewegs sagen, zu einer staatsmännischen Einzigkeit gemacht haben. Wir kommen auf diesen Punkt wiederholt zurück, da er auch für die deutsche Nation und ihre Folgezeit, bis in die fernste Zukunft, von außerordentlicher Wichtigkeit ist, nur dieses müssen wir ausdrücklich schon jetzt bemerken: Nie wird sich Deutschland ungestraft der Philosophie abwenden, die auch die Erfüllung seines politischen Berufs, der für die Zukunft ein so großer ist, mit einbedingt. Die wahre Philosophie, nicht die der bloßen Mode und Scheinbildung, sollte daher in ihren Hauptergebnissen, so wie in der Zucht des Denkens, sowohl den höheren Ständen, wie dem Bürger schon auf Schulen, wie in populär gehaltenen Schriften, zugänglich gemacht werden. Die Klarheit, die Schärfe und Richtigkeit der Gedankenentwickelung, die Jeder für’s Leben, auch für’s Staatsleben braucht, die Liebe zum Licht und nicht zur Finsterniß, die Aufgeschlossenheit aller Sinne zu um so größerer Aufgewecktheit der Seele nach allen Seiten hin, bis in’s höchste Alter; alles das ist der Segen philosophischer Bildung, welcher sich an dem Manne, den wir hier in Betracht ziehen, bis auf diesen Tag vollauf bewährt hat.
So ausgerüstet, von eigenem Geiste auf’s lebhafteste beseelt, mit tüchtigen positiven Kenntnissen erfüllt, lebensfrisch in jedem Betracht, konnte Herr von Schön, nach vollendeten akademischen Studien, nichts Glücklicheres ausführen als eine Reise nach England, um daselbst einen längeren Aufenthalt zu nehmen. Dieses Land solider, kerngesunder Praxis, und doch in seiner Verfassung, in seiner ganzen Bildung und Geistesart, auf Theorien beruhend, welche wahrlich aus der Tiefe geschöpft sind, sich durch die Erfahrung bewährt und und bereichert haben; dieser Staat, welcher seinen Bürger- und Stände-Verband historisch gewonnen, ein Organismus, welcher seine Festigkeit unter dem Anbranden von Revolutionsstürmen und Parteikämpfen nur noch mehr abgerundet und gestählt hat, wie mußte er unsern jungen Reisenden beschäftigen, erregen, zu Folgerungen, Vergleichungen, Anwendungen auf sein Vaterland veranlassen! Vielleicht machte auch der Zug dieses Inselland ihm so lieb, daß der Weltweise von Königsberg, daß sein geliebter Lehrer Kant, in seinen Schriften hier eine solche Aufmerksamkeit und sogar eifriges Studium gefunden hatte. Die vielfache Verwandtschaft zwischen Engländern und Deutschen, bei eben so großer Abweichung, mußte ohnehin reizen. Kurz, Herr von Schön benutzte seine Tage in England so weise und umsichtig, er studirte die politischen und ökonomischen Einrichtungen der englischen Nation so gründlich, er lernte die vornehme Welt wie das Volk in ihrem besonderen Bestehen wie in der Gegenseitigkeit ihres öffentlichen Verkehrs, ihrer Verfassung, so bis auf jede Lebensfaser kennen, daß er mit den seltensten Schätzen bereichert in seine Heimath zurückkehrte. Wir hören, daß Herr von Schön damals eine Schrift abfaßte, die auch dem Druck übergeben wurde, in welcher er über sein Verweilen in England Berichte giebt. Wir wünschten sehr, daß diese Aufzeichnung auf’s Neue der Oeffentlichkeit mitgetheilt würde. England wird hier, von einem so scharfen, stets zu eigenthümlichen, fruchtbaren Bemerkungen aufgelegten Beobachter gesehen, die interessantesten Vergleiche zwischen einst und jetzt darbieten, und das Werden des Mannes, der nun ehestens in seinem Vaterlande eine so weltwichtige Stellung und Bedeutung erhalten sollte, in ein noch helleres Licht setzen.
Schon in nächster Zeit war Herr von Schön als Beamter beschäftigt „bei der Regierung zu Königsberg.“ Er wurde sodann Kriegs- und Domainenrath an der Regierung zu Bialystock („damaligem Neuostpreußen“). Herr von Schön verheirathete sich 1802 mit „der Tochter des Präsidenten dieser Provinz,“ Lydia von Auerswald (ein Name, der in der preußischen Geschichte bis in die neueste Zeit hin vom reinsten Klange ist, indem sich an denselben die seltensten Verdienste knüpfen). Darauf wurde von Schön 1806 Geheimer Finanzrath am General-Directorium zu Berlin. Welche Schmerzen mußten durch eines solchen Mannes Brust gehen unter den Demüthigungen, welche Deutschland, welche Preußen damals erlitt von dem immer drückender werdenden Joche der Fremdherrschaft! In demselben Jahre 1806 kam der Genannte, indem er seinem Hofe folgte, nach Königsberg, wo er „als Geheimer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_396.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)